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Das Greenpeace-Buch vom Wasser

Naturbuch, Augsburg 1995.
168 Seiten, DM 39,80.

Greenpeace steht für Aktion, auch für Aktionismus – nicht aber unbedingt für ausgewogene, differenzierte Aufklärung. Und doch: Nach dem "Greenpeace-Buch der Korallenriffe", herausgegeben von Sue Wells und Nick Hanna (München 1992), liegt erneut eine Dokumentation vor, die ihre Überzeugungskraft aus dem schlichten Aufzeigen natürlicher Zusammenhänge und Werte gewinnt.

Das Lebenselement Wasser ist so gefährdet wie noch nie, weil es zunehmend als billiges Produktions- und Transportmittel herzuhalten hat; gleichzeitig muß es aber seine uralte Funktion als Lebensraum und Lebensmittel erfüllen. Klaus Lanz, promovierter Chemiker mit Forschungserfahrung am Grey Freshwater Biological Institute der Universität von Minnesota in Minneapolis und am staatlichen Wasserforschungsinstitut der Schweiz (EAWAG) bei Luzern, hat von 1988 bis 1992 die Wasserkampagne von Greenpeace in Deutschland geleitet.

Nach einem kulturgeschichtlichen Blick in die Vergangenheit macht er eine Bestandsaufnahme der Gegenwart und zeigt unter anderem an den Themenkreisen Trinkwasser, Waschen, Drainage und Flußbau, Bewässerung, Staudammbau sowie Wasserwege, wie selbstverständlich und anscheinend zwangsläufig aus kleinen, lokalen Nutzungen gigantische Veränderungen der Umwelt erwachsen sind. Am Beispiel diverser fataler Großprojekte wird kritisch hinterfragt, welcher Nutzen letztlich der betroffenen Bevölkerung zugute gekommen ist: Rechtfertigt ein Wasserkraftwerk mit Bruchteilen eines Kilowatts elektrischer Leistung pro versunkenem Hektar Ackerland dieses Opfer und dazu die Zwangsumsiedlung Tausender von Menschen?

Großprojekte haben ihre eigene Dynamik. Für die einmal gebildete Allianz von Planungsteam und Baukonsortium ist der Folgeauftrag das vorrangige Ziel; geltungssüchtige Politiker lassen sich dafür leicht als Bundesgenossen gewinnen. Die geplante Abtreppung von Amazonas-Zuflüssen mit Überflutung von vielen tausend Quadratkilometern Regenwald für Kraftwerke, deren Strom dort niemand braucht, kann man den im Buch genannten Torheiten als ein weiteres Beispiel anfügen. Schon jetzt erzeugen die Staudammprojekte in Brasilien mehr treibhauseffekt-steigernde Faulgase als die Kohlekraftwerke. Lanz stellt Investititionen in die sogenannten Negawatts, das heißt in das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, Strom zu sparen, als einzig sinnvolles Entwicklungsziel heraus (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1982, Seite 86, November 1989, Seite 116, sowie die Ausgabe November 1990 mit dem Generalthema Energie).

Auch in Deutschland werden Steuergelder für unrentable Naturzerstörung ausgegeben. Zu Recht führt Lanz die Kanalisierung der Altmühl an; schon drohen Eintiefung und Verschleusung der Elbe, damit große Schiffe sie auch sommers befahren können. Am Rhein und seinen allesamt korsettierten Nebenflüssen tritt mittlerweile fast regelmäßig Hochwasser mit seinen Folgen auf. Der Abschnitt "Gezähmte Flüsse" macht für jeden die Gesetzmäßigkeiten einsichtig, die nach dem Bau einer Staustufe die nächste erfordern – am Oberrhein ist es inzwischen die elfte. Würde man die Regulierung der Elbe nachholen, wäre hierdurch auch ihr gesamtes Einzugsgebiet betroffen und die gegenwärtig noch große Wasserrückhaltefähigkeit der Zuflüsse beeinträchtigt. Der Autor plädiert deshalb dafür, die Schiffe dem Fluß anzupassen und nicht umgekehrt.

Mit Verve weist Lanz auf die Vergeudung von Trinkwasser und die Verschmutzung von Reserven hin. Vorräte an Tiefengrundwasser, die sich in Jahrtausenden gebildet haben, werden in kurzer Zeit erschöpft oder durch nachsickerndes belastetes Wasser unbrauchbar gemacht. Kostspielige Aufbereitung ist dann erforderlich. "Statt angebotsorientierter Planung mit angepaßten Strategien der dezentralen Nutzung von Regenwasser und Wiederverwendung von Grauwasser reißen sich europäische Wassermultis auch um die Versorgung lateinamerikanischer Megastädte... Hier winken lukrative Großaufträge für den Bau von Staudämmen, Fernwasserleitungen und Aufbereitungsanlagen."

Noch akzeptiert die Gesellschaft das Prinzip nachträglicher Reparaturen entstandener Schäden (end of the pipe strategy) und damit die Gewinne einschlägiger Sanierungsunternehmen. Um diese Wachstumsbranche zu pflegen, setzen Politiker auf die Zahlungsbereitschaft umweltbewußter Bürger, auch wenn Vorsorge und Vermeidung mehr Nutzen für die Umwelt bringen würden und billiger wären. Mit Blick auf die wachsende Bedeutung europäischer Regelungen warnt Lanz: "Sämtliche Gesetze der EU werden... auf Auswirkungen für die Industrie geprüft – nicht auf Umweltverträglichkeit"; es gelte das Konzept der "Duldung einer gerade noch erträglichen Verschmutzung" (Seite 144).

Der Autor argumentiert vornehmlich aus wirtschaftlicher Sicht; er erreicht damit den kostenbewußten Bürger eher als etwa mit Hinweisen auf die auch ethische Problematik der Artenverdrängung bei der Degradierung von Lebensräumen. Dabei werden die schleichenden Änderungen und Ausdünnungen von Lebensgemeinschaften immer weniger bemerkt, weil immer weniger Spezialisten ausgebildet und beschäftigt werden, die Tier- und Pflanzenarten überhaupt erkennen können. Die profunde Kenntnis ihrer Lebensansprüche – eben auch an die Feuchte eines Biotops – erwächst aus Erfahrung, sie läßt sich nicht ad hoc beschaffen wie ein Meßgerät oder ein Computerprogramm.

Das letzte Kapitel des Buches erweckt Hoffnung mit Beispielen für erfolgreiche Lösungen von Wasserproblemen; sie basieren auf dem Wiederentdecken uralter Weisheit und der Anpassung traditioneller Methoden. Das "Total Water Cycle Management" für das Olympiadorf Sydney 2000 etwa nutzt konsequent Möglichkeiten des Sparens sowie der Weiter- und Wiederverwendung von Regen-, Brauch- und Abwasser. Der Hinweis, daß hinter diesem ganzheitlichen Konzept ein Auftrag von Greenpeace steht, ist fast der einzige Fall von Eigenwerbung in diesem Buch. Ähnlich gerichtete Projekte gibt es im Rahmen der Internationalen Bau-Ausstellung Emscherpark im Ruhrgebiet.

Fazit: Ein preiswertes Buch, das dem mündigen Bürger Entscheidungsgrundlagen gibt, in der Umweltpolitik Position zu beziehen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 126
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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