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Das Große, das Kleine und der menschliche Geist.

Aus dem Englischen von Renate Dohmen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1998. 232 Seiten, DM 39,80.

Der von Roger Penrose die beiden populärwissenschaftlichen Bücher „Computerdenken“ (1991) und „Schatten des Geistes“ (1996; beide Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg) durchstudiert hat, wird in diesem Buch kaum Neues aus seiner Feder finden. Der Oxforder Mathematiker faßt die Botschaft der etwa 1000 großen Seiten seiner beiden früheren Bücher auf nur 199 kleinen Seiten wohltuend knapp und klar zusammen. Die Kürze erreicht er vor allem dadurch, daß er auf ausführliche Begründungen seiner kontroversen Thesen verzichtet und statt dessen auf Passagen der früheren Bücher verweist.

Penroses kontroverse Thesen betreffen die Bereiche zwischen den drei im Titel genannten Gebieten. Alle Physiker erwarten eine Vereinigung der Allgemeinen Relativitätstheorie als Wissenschaft vom Großen mit der Wissenschaft vom Kleinen, der Quantenmechanik. Dabei werden beide laut Penrose Modifikationen erleiden, deren Grundzüge er zu kennen glaubt und darstellt. Zudem werde sich herausstellen, daß in menschlichen Gehirnen Prozesse ablaufen, die direkte Manifestationen der vereinigten Wissenschaft vom Großen und vom Kleinen sind und sich insbesondere mit der konventionellen Chemie von Atomen und Molekülen nicht erklären lassen.

Prozesse der konventionellen Chemie sind zu solchen äquivalent, die in Rechnern ablaufen können, und diese unterliegen nach der Theorie der Berechenbarkeit gewissen Beschränkungen. Das menschliche Gehirn aber, so Penrose, sei diesen Beschränkungen nicht unterworfen. Also müßten in Gehirnen Prozesse ablaufen, welche die konventionelle Chemie für sich allein nicht ermöglichen kann, und es sei prinzipiell unmöglich, einen konventionell arbeitenden Computer zu bauen, der für den menschlichen Geist typische Leistungen erbrächte.

Diese Spekulationen, die über die etablierte Wissenschaft weit hinausgehen, ordnet Penrose ein in Beschreibungen des gegenwärtigen Standes der (noch getrennten) Wissenschaften vom Großen, Kleinen und dem menschlichen Geist. Dies ist sowohl solide als auch inspirierte und stellenweise amüsante Populärwissenschaft, wobei ich allerdings nicht beurteilen kann, wie ausgewogen und genau die Darstellungen von Aufbau und Funktion des Gehirns sind.

Neu gegenüber den Vorgängerbüchern sind 36 Seiten mit kritischen Anmerkungen der Philosophen Abner Shimony und Nancy Cartwright sowie des Mathematikers und Physikers Stephen Hawking zu den kontroversen Thesen des Buches. Auf sie antwortet Penrose auf den abschließenden 16 Seiten. Während Shimony und Hawking die Thesen von Penrose im Rahmen der etablierten Physik und Logik diskutieren, fordert Cartwright, diesen Rahmen zugunsten einer eigenständigen Biologie zu verlassen. Anders als alles andere im Buch konnte ich diesen Beitrag und Penroses Erwiderung rational nicht nachvollziehen.

Leider nimmt in dem Buch kein Vertreter der Hirnforschung oder der künstlichen Intelligenz Stellung zu den kontroversen Thesen vom menschlichen Geist. Nach allem, was ich von den Angehörigen dieser Zünfte vernommen habe, können sie keine Anzeichen dafür entdecken, daß in Gehirnen andere Prozesse als die der konventionellen Chemie ablaufen. Die Antwort von Penrose auf eine detaillierte Stellungnahme dieser Art hätte ich gern gelesen.

Insgesamt ist „Das Große, das Kleine und der menschliche Geist“ ein immer interessantes Buch, das in seinen kontroversen Thesen den Rahmen der etablierten Wissenschaft sprengt. Die Übersetzung ist ausgezeichnet und trifft den Stil des englischen Originals.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1999, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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