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Das neue Radar-Bild der Erde

Mit einem komplexen Radar-Interferometriesystem tastete die US-Raumfähre Endeavour rund 80 Prozent der irdischen Landmassen ab. Daraus entsteht das erste umfassende digitale Höhenmodell unseres Heimatplaneten.

Die Erde ist außerhalb der technisch hoch entwickelten Länder zumeist nur mit mäßiger Genauigkeit kartiert. Dies liegt unter anderem daran, dass weite Landstriche – wie zum Beispiel in Afrika und Südamerika – für terrestrische Vermessungen nur schwer zugänglich sind und die häufige Bewölkung eine flächendeckende fotografische Erfassung von Satelliten aus behindert. Die im Februar von den Raumfahrtbehörden der USA, Deutschlands und Italiens gemeinsam durchgeführte Shuttle-Radar-Topographie-Mission (SRTM) wird diesem Missstand nun abhelfen. Deren Daten sind Grundlage für eine umfassende 3-D-Karte der Erdoberfläche. Die Raumfähre Endeavour führte dazu ein komplexes Radar-Interferometriesystem mit, das die gesamte Landfläche zwischen etwa 60 Grad nördlicher und 55 Grad südlicher Breite mit einheitlicher, hoher Auflösung räumlich vermessen hat. Das so genannte Synthetik-Apertur-Radar (SAR) simulierte eine Antennenfläche, die viel größer ist als die realen Abmessungen des Radarsystems, und erreichte so eine Auflösung von nur 30 Metern. Die beiden Instrumente arbeiteten mit zwei unterschiedlichen Frequenzen, also bei zwei verschiedenen „Farben“ im Mikrowellenbereich des elektromagnetischen Spektrums. Mikrowellen haben gegenüber sichtbarem Licht den Vorteil, dass sie auch Wolken durchdringen und deshalb von der Wettersituation kaum beeinflusst werden; zudem dient das Radarsystem selbst als Beleuchtungsquelle und ist darum nicht auf das Tageslicht angewiesen. Vorläufer-Versionen der beiden Radargeräte kamen bereits in früheren Shuttle-Missionen zum Einsatz (siehe Spektrum der Wissenschaft, 1/1995, S. 86, und 2/1995, S. 56). Damals konnten auch die ersten Radar-Stereobilder gewonnen werden: Durch Kombinieren zweier Aufnahmen, die denselben Ausschnitt der Erdoberfläche aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zeigten, ließ sich ein räumliches Bild erstellen. Allerdings waren die Aufnahmen nicht gleichzeitig gewonnen worden, sondern im Abstand von mehreren Stunden oder sogar Tagen, als die Raumfähre die betreffenden Gebiete in fast derselben Höhe und Position erneut überflog. Dies ist die so genannte multi-pass-Interferometrie (Spektrum der Wissenschaft, 9/1997, S. 56 und 65). Doch dieses Verfahren hat einen Nachteil: In dem Zeitintervall zwischen den beiden Überflügen hat sich in der Regel sowohl die Atmosphäre verändert als auch der Pflanzenbewuchs (durch Einfluß von Wind und Niederschlägen). Dies führt zu Fehlern in der Laufzeit der Radarsignale beziehungsweise zu veränderten Reflexionseigenschaften. Beides beeinträchtigt die interferometrische Überlagerung der zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommenen Radarbilder. Im schlimmsten Falle ist die Dekorrelation so groß, dass die Daten überhaupt nicht mehr ausgewertet werden können. Die jetzige SRT-Mission vermied diese Probleme, indem man von einer multi-pass- zu einer single-pass-Interferometrie überging. Hierbei wird die Erdoberfläche nur einmal mit einem Radarstrahl ausgeleuchtet und das rückgestreute Echo fast zeitgleich mit zwei Antennen registriert, die einen festen Abstand zueinander haben. Zu diesem Zweck nahm die Raumfähre Endeavour eine spezielle Vorrichtung mit, die in der Erdumlaufbahn zu einem 60 Meter langen Ausleger ausgefahren wurde. Im Laderaum des Shuttles befanden sich die beiden SAR-Systeme: ein C-Band-Radar, das Mikrowellen mit einer Frequenz von 5,3 Gigahertz sendet und empfängt, sowie das im X-Band bei einer Frequenz von 9,6 Gigahertz arbeitende Gerät namens X-SAR. Zwei weitere Empfangsantennen für das C- und das X-Band befanden sich am Ende des Auslegers. Dieser bildete sozusagen die Basislinie zwischen den beiden „Augen“, die das vom Radarsystem der Endeavour ausgesandte und von der Erdoberfläche rückgestreute Radarsignal registrierten. Gegenüber der früheren multi-pass-Interferometrie vereinfacht das neue Verfahren die Auswertung der Daten und die Umsetzung in ein dreidimensionales Geländemodell erheblich: Man kann die Prozessierung automatisieren. Auch für lange Bildstreifen braucht das Fachpersonal nur selten interaktiv einzugreifen. Zudem ist die erzielte Messgenauigkeit weitaus größer, weil Position und Lage der Interferometerbasis exakter bestimmt werden können. Für die früheren Shuttle-Flüge und auch für die beiden 1991 und 1995 gestarteten Radarsatelliten ERS-1 und -2 ließen sich die Umlaufbahnen mit einem Positionsfehler von nur einem Meter in jeder Raumrichtung bestimmen. Dies geschah mit Hilfe von Bord-Navigationssystemen und genauem Nachrechnen der Umlaufbahnen. Doch trotz dieser extremen Präzision ergaben sich bei Basislängen zwischen etwa 30 und 300 Metern – dem Abstand zweier benachbarter Umlaufbahnen – Restfehler für die relative Länge und Lage der Interferometerbasis, die sich nachteilig auf die Genauigkeit der Topographiemessung auswirkten. Hohe Auflösung durch aufwendige Technik Diese Restfehler vermochte man nun während der SRT-Mission zu minimieren. Dazu trugen das Global Positioning System (GPS) – ein satellitengestütztes Navigations-Messsystem – und ein aufwendiger Kontrollmechanismus bei. Die absolute Position aller Antennen wurde mit GPS-Empfängern auf einen Meter, ihre Geschwindigkeit auf 0,05 Meter pro Sekunde genau bestimmt. Der 60 Meter lange Mast war möglichst starr ausgebildet, und die relativen Änderungen seiner Länge und Lage durch Schwingungen und Drehbewegungen wurden ständig sehr genau vermessen. Spezielle Sensoren ermittelten dazu die Lage der SAR-Antennen in der Ladebucht der Raumfähre in Bezug zum Sternenhimmel, wobei die Zeitspanne zwischen zwei Einzelmessungen durch ein Trägheitsnavigationssystem überbrückt wurde. Optische Systeme bestimmten wiederum die Lage der Empfangsantennen am Ende des Mastes relativ zu denen in der Ladebucht. Auf diese Weise konnte man die Länge des Mastes auf 0,5 Millimeter, seitliche Abweichungen von der Ideallage und Torsionsbewegungen des Mastes auf 0,8 Bogensekunden genau ermitteln. Durch diese extreme Messgenauigkeit für Position und Lage der Interferometerbasis können die einzelnen Bildpunkte – die so genannten Pixel – mit Abweichungen von weniger als 20 Meter in horizontaler Richtung dem Erdboden zugeordnet werden. Der Höhenfehler für die zu berechnenden digitalen Geländemodelle beträgt fünf bis 20 Meter. Etwa ein Drittel davon ist auf einen Restfehler in der Phase des Interferometers zurückzuführen, der sich trotz aufwendiger interner Kalibrierung nicht vermeiden lässt. Für diese interne Kalibrierung während des Fluges wurden zum Beispiel die Laufzeitfehler in den Kabelverbindungen zwischen der Shuttle-Ladebucht und den am Mast befestigten Empfangsantennen kompensiert. Solche Laufzeitfehler wurden insbesondere durch Schwankungen der Temperatur verursacht, die etwa zwischen –10 und –50 Grad Celsius variierte. Des Weiteren musste während des Fluges darauf geachtet werden, dass die so genannten Antennendiagramme, also die Empfangscharakteristiken der Antennenpaare in der Shuttle-Ladebucht und am Mast synchron auf dasselbe Gebiet auf der Erde ausgerichtet waren. Abweichungen in und quer zur Flugrichtung wurden durch elektronische Strahlschwenkung beziehungsweise durch mechanisches Schwenken der X-SAR-Ladebuchtantenne um ihre Elevationsachse kompensiert. Die Umlaufbahn der Endeavour war um 57 Grad gegen den Äquator geneigt. Weil die Antennendiagramme nach Norden ausgerichtet waren, konnte das Radar einen Bereich bis mehr als 60 Grad nördlicher Breite erfassen. Auf der Südhalbkugel wurden entsprechend nur etwa 55 Grad Breite erreicht, was aber völlig genügte, um die dortigen Kontinente zu kartieren. Bis auf die Antarktis sowie die nördlichsten Teile von Skandinavien, Russland, Alaska und Kanada sowie Grönland wurden somit alle Landmassen der Erde topographisch vermessen. Die Bahnparameter der Endeavour waren ferner so gewählt, dass zwei benachbarte Umlaufbahnen am Äquator 200 Kilometer auseinanderlagen. Diese Breite entspricht dem von dem C-Band-Radar erfassten Streifen. Dieses Gerät leuchtete zwar jeweils nur ein ungefähr 50 Kilometer breites Gebiet aus, doch sorgte ein spezielles Scan-Verfahren dafür, dass der Strahl in vier Stufen quer zur Flugrichtung versetzt wurde. Auf diese Weise konnten die überflogenen Gebiete vollständig abgedeckt werden. Der Nachteil dieses Verfahrens ist jedoch, dass sich die geometrische Auflösung in Flugrichtung verschlechterte. Das X-SAR-Interferometer leuchtete ebenfalls einen 50 Kilometer breiten Streifen aus. Hier wurde auf ein Scannen verzichtet, so dass man die volle geometrische Auflösung erreichte. Als Folge davon deckte das X-SAR die Erdoberfläche aber nicht vollständig, sondern nur gitterförmig ab. Mit der Landung der Endeavour am 22. Februar ist die SRT-Mission keineswegs beendet. Es wird etwa zwei Jahre dauern, bis alle Daten ausgewertet sind. Das X-SAR-Interferometer hat in jeder Sekunde seines Betriebes 90 Megabit an Daten geliefert. Während der elftägigen Mission kamen so 3,2 Terabytes (3,2 ¥ 1012 Bytes) zusammen, die 124 Magnetbandkassetten füllen. Für die Verarbeitung dieses Datenwustes ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zuständig, das zusammen mit der italienischen Raumfahrtbehörde ASI das X-SAR-System entwickelt hat. Auf das Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena, das für die Entwicklung des C-Band-Radars verantwortlich war, und die National Imagery and Mapping Agency (NIMA), die als militärische Behörde für die Bildauswertung und Kartenerstellung in den USA zuständig ist, kommen noch größere Datenmengen zu. Insgesamt sind 10 Terabytes an Daten angefallen, die dem Fassungsvermögen von etwa 15000 CDs entsprechen. Um während des Fluges der Endeavour die Funktion des Radarinterferometers zu kontrollieren, musste zumindest ein Teil dieser Messdaten nahezu in Echtzeit an die Auswertezentren übermittelt und dort mit leistungsfähigen Rechnern verarbeitet werden. Eine Datenübertragung vom Shuttle direkt zu einer der Empfangsstationen am Boden wäre nur in den kurzen Zeitspannen möglich gewesen, in denen Sichtkontakt bestand. Deshalb sandte die Besatzung des Shuttles die Daten über ein System aus geostationären Relaissatelliten an die Auswertezentren in den USA. Von dort wurden sie mit der gleichen Übertragungsrate – 45 Megabit pro Sekunde – ebenfalls über Satellit an das Fernerkundungs-Datenzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen weitergeleitet. Die etwa 40 Spezialisten des DLR, die an der SRT-Mission beteiligt sind, konnten jeweils innerhalb weniger Minuten die Rohdaten eines streifenförmig abgetasteten Gebiets in ein dreidimensionales Geländemodell umsetzen. Die hier gezeigten Bildbeispiele gehören zu den ersten ausgewerteten topographischen Daten. Für die Auswertung werden die Rohdaten zunächst gefiltert und dann die Datensätze beider Empfangsantennen im Rechner zu einem Interferogramm überlagert. Aus den Phasenunterschieden der Radarsignale lässt sich die Höhe einzelner Punkte auf der Erde berechnen. Hierbei fließen auch die Daten bekannter Referenzpunkte auf der Erde mit ein. Die vorbehandelten Daten werden dann noch mit einem geographischen Koordinatensystem in Beziehung gesetzt. Das heißt: Jeder Punkt, den die Radarsysteme vermessen haben, wird auf der Erdoberfläche lokalisiert. Nach dem Zusammensetzen einzelner bearbeiteter Streifen hat man schließlich das digitale Höhenmodell: eine moderne Landkarte, die für alle 30 Meter einen auf etwa fünf bis maximal 20 Höhenmeter genau vermessenen Punkt auf der Erde enthält. Das ist eine bedeutende Verbesserung, denn der beste bisher vorhandene weltumspannende Datensatz enthält nur alle 1000 Meter einen auf 100 Höhenmeter genau vermessenen Punkt. Wenn das komplette digitale Höhenmodell in zwei Jahren vorliegt, wird es zur Grundlage für Geo-Informationssysteme, mit denen sich die verschiedensten geographischen und sozioökonomischen Daten verknüpfen lassen (siehe „Satelliten und Internet als Aufbauhelfer“, Spektrum der Wissenschaft, 3/2000, S. 94). Solche raumbezogenen Informationssysteme werden bald die traditionellen Landkarten ablösen. Sie erlauben es, die von verschiedenen Sensoren oder Quellen gelieferten Daten zu kombinieren und so den Informationsgehalt zu steigern. Mit solchen Methoden wird man künftig eine genauere thematische Kartierung der topographisch erfassten Gebiete angehen können. Letztlich möchte man auch aus Vorsorge für künftige Generationen eine Inventur unseres Planeten in seinem jetzigen Zustand, um Veränderungen rechtzeitig zu bemerken und – so weit möglich – Verschlechterungen entgegenzusteuern.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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  • Infos
Shuttle Radar Topography Mission -> http://www.dlr.de/srtm/
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