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Das Projekt „Mars Direct“

Es ist kein teures interplanetares Raumschiff erforderlich, um zum Mars zu gelangen – wenn man mit leichtem Gepäck reist und die Rohstoffe des Roten Planeten nutzt.


Die meisten Vorschläge für einen bemannten Flug zum Mars sehen riesige Raumschiffe vor, mitunter mit exotischer Technik. Doch ein solcher Aufwand wäre gar nicht nötig: Dieselbe Technik, die bereits vor 30 Jahren die Apollo-Astronauten zum Mond brachte, kann auch ein relativ kleines bemanntes Marsschiff in den Weltraum hieven. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer Strategie, die sich bereits bei den ersten Entdeckungsreisen auf unserem eigenen Planeten bewährt hat: Gepäck sparen und vorgefundene Ressourcen nutzen.

Das Projekt, das ich Mars Direct nenne, könnte in wenigen Jahren beginnen – vielleicht schon 2005. Zunächst schickt eine mehrstufige Rakete mit etwa derselben Schubkraft wie die damalige Saturn V ein 45 Tonnen schweres unbemanntes Raumfahrzeug auf eine direkte Bahn zum Mars. Diese Rückkehreinheit (Earth Return Vehicle, ERV) soll die Astronauten später wieder zur Erde bringen. An Bord sind sechs Tonnen flüssiger Wasserstoff, verschiedene Kompressoren, eine kleine vollautomatische chemische Fabrik, ein mit Methan und Sauerstoff betriebenes Gefährt, an dessen Heck ein kleiner Kernreaktor mit 100 Kilowatt Leistung befestigt ist, sowie einige weitere kleine Mars-Rover. Die für den Rückflug vorgesehenen Methan- und Sauerstofftanks des ERV sind allerdings leer.

Nach acht Monaten erreicht das ERV den Mars, wird durch Reibung in dessen oberer Atmosphäre abgebremst und schwenkt dadurch in eine Umlaufbahn um den Planeten ein. Durch weiteres Abbremsen mittels Bremsraketen und Fallschirmen landet das Raumfahrzeug schließlich an geeigneter Stelle. Funkbefehle von der Erde steuern nun den großen Rover in eine Parkposition in einigen hundert Metern Entfernung und aktivieren den Kernreaktor, der Strom für die Kompressoren und die chemische Anlage erzeugt.

Diese Anlage produziert aus dem mitgebrachten Wasserstoff und dem in der Marsatmosphäre reichlich vorhandenen Kohlendioxid Wasser und Methan. Das Wasser wird elektrolytisch in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Während der Sauerstoff gespeichert wird, nutzt die Anlage den zusätzlich erzeugten Wasserstoff für die weitere Produktion von Methan und Wasser. Das Methan lässt sich mit einem der Kompressoren relativ einfach verflüssigen und dann aufbewahren. Ein weiterer Prozess gewinnt aus dem Kohlendioxid der Marsatmosphäre zusätzlichen Sauerstoff. Nach zehn Monaten hat die Anlage aus den mitgebrachten sechs Tonnen flüssigem Wasserstoff und der Marsluft 108 Tonnen Methan und Sauerstoff erzeugt, die als Treibstoff für den Rückflug zur Erde bereitstehen.

Nun beginnt die nächste Phase des Unternehmens. Zwei weitere Raketen starten von der Erde. Eine transportiert ein weiteres unbemanntes ERV, die andere hat eine Fähre mit vier Astronauten an Bord. Mit dabei sind Verpflegung und anderer Reisebedarf für drei Jahre sowie ein großes, mit Methan und Sauerstoff angetriebenes Fahrzeug, in dem die Insassen ausgedehnte Ausflüge um ihre spätere Landestelle unternehmen können.

Die Astronauten sind während ihrer Reise einer künstlichen Gravitation ausgesetzt, die jener auf dem Mars entspricht. Hierzu hat man die Fähre durch ein Seil mit der ausgebrannten oberen Raketenstufe verbunden. Nun kreisen die beiden mit einer genau abgestimmten Geschwindigkeit umeinander. Kurz bevor der Mars erreicht ist, wird das Seil gekappt und das Bremsmanöver eingeleitet. Die Fähre setzt in der Nähe der vollgetankt bereitstehenden Rückkehreinheit auf.

Für den Fall, dass die vorgesehene Landestelle verfehlt wird, können die Astronauten entweder mit ihrem Rover dorthin gelangen oder aber das zweite ERV für die Rückkehr benutzen. Sie haben sogar genug Proviant und Sauerstoff bei sich, um notfalls die Ankunft eines dritten ERV abwarten zu können.

Das zweite ERV landet in einigen hundert Kilometern Entfernung, wo es seinerseits beginnt, Treibstoff für eine nachfolgende Mannschaft bereitzustellen. Auf diese Weise könnten sukzessive weite Gebiete auf Mars erforscht werden. Alle zwei Jahre würden zwei Raketen von der Erde starten: Eine mit vier Astronauten an Bord, die andere, um mit einem ERV bereits die nächste bemannte Mission vorzubereiten.

Die Astronauten bleiben jeweils für etwa anderthalb Erdjahre auf dem Nachbarplaneten, um umfangreiche Forschungsprogramme durchzuführen. Nach Ablauf dieser Zeit besteigen sie das ERV und treten die Rückreise zur Erde an. Sie lassen eine funktionsfähige Marsstation mit wissenschaftlichen Geräten und Aggregaten zur Treibstoff- und Sauerstoffgewinnung zurück. Alle zwei Jahre kommt solch eine Station hinzu, sodass nach und nach ein ganzer Gürtel von Stützpunkten entsteht, der die weitere Erforschung und mögliche Besiedelung des Mars erleichtert.

Als mein Kollege David A. Baker und ich 1990 unsere erste Version des Mars-Direct-Projektes vorstellten, erachtete die Nasa es als zu radikal. Doch mittlerweile wird unser Vorschlag durchaus in Erwägung gezogen. Bereits 1994 schätzten Forscher des John-son-Raumfahrtzentrums der Nasa die Kosten eines etwa auf den doppelten Umfang erweiterten Mars-Direct-Programms auf rund 50 Milliarden Dollar. Dieselbe Gruppe kalkulierte eine MarsExpedition konventioneller Planung – also ohne Treibstoffgewinnung auf dem Mars und mit bemannter Orbitalstation – auf 400 Milliarden Dollar, also auf das Achtfache. Ich glaube, dass weitere Rationalisierungen im Zuschnitt der Mars-Direct-Mission die Kosten sogar auf 20 bis 30 Milliarden Dollar reduzieren könnten. Verteilt auf zehn Jahre entspräche dies etwa einem Fünftel des Nasa-Budgets oder einem Hundertstel des US-Militärhaushalts.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2000, Seite 61
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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