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Das Unbewusste: Der Autopilot im Kopf

Einer neuen Theorie zufolge entsteht Bewusstsein nur dann, wenn die Prognosen unseres Gehirns versagen. Denn dessen oberste Maxime lautet: bloß keine Überraschungen!
Frau schaut in die Ferne

In Worcester bei Boston an der Ostküste der USA trafen im September 1909 fünf Männer ein, um die Neue Welt mit einer Idee zu erobern. Kopf der Truppe war ein gewisser Doktor Freud aus Wien. Zehn Jahre zuvor hatte dieser Nervenarzt in seinem Buch »Die Traumdeutung« eine neuartige Behandlung der Hysterie vorgestellt. Das Werk enthielt zugleich eine skandalträchtige Sicht auf die menschliche Psyche: Laut Freud rumort es unter der Oberfläche des Bewusstseins gewaltig. Tief verwurzelte Triebe, vor allem die sexuelle Energie oder Libido, würden von den erlernten Prinzipien der Moral mühsam in Schach gehalten und suchten sich ein Ventil in Versprechern, Träumen und Neurosen. Diese seien Verkleidungen – Sublimierungen, wie Freud es nannte – des Unbewussten.

Auf Einladung des berühmten Psychologen Stanley Hall (1846–1924) hielt Freud fünf Vorträge an der Clark University in Worcester. Unter seinen Zuhörern war auch der Philosoph William James (1842–1910), der eigens aus Harvard angereist war, um Freud zu treffen. Nach einem gemeinsamen Spaziergang auf dem Campus habe James, so wird kolportiert, dem Analytiker Großes verheißen: »Die Zukunft der Psychologie gehört Ihrem Werk«, soll er gesagt haben. Und James behielt damit Recht

Das Bild vom Menschen als einem von dunklen Seelenmächten Getriebenen, der nicht Herr im eigenen Haus sei, ist heute Allgemeingut. In uns tobt demnach ein ständiger Kampf zwischen den Ansprüchen des ­Bewusstseins auf der einen Seite und den geheimen Wünschen des Unbewussten auf der anderen. Diese Sichtweise hat allerdings einen Haken: Bewusstes und Unbewusstes arbeiten meist gar nicht gegeneinander! ...

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Gehirn&Geist – Wer entscheidet? Wie das Gehirn unseren freien Willen beeinflusst

Was bedeutet es, ein Bewusstsein zu haben? Haben wir einen freien Willen? Diese Fragen beschäftigt Neurowissenschaft, Philosophie und Theologie gleichermaßen. Der erste Artikel zum Titelthema zeichnet die Entwicklung der neurowissenschaftlichen Forschung nach und zeigt, wie das Gehirn das subjektive Erleben formt. Anschließend geht es im Interview mit dem Neurophilosophen Michael Plauen um die Frage, ob wir frei und selbstbestimmt handeln, oder nur Marionetten unseres Gehirns sind. Die Antwort hat Konsequenzen für unser Selbstbild, die Rechtsprechung und unseren Umgang mit KI. Daneben berichten wir, wie virtuelle Szenarien die traditionelle Psychotherapie erfolgreich ergänzen und vor allem Angststörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen lindern können. Ein weiterer Artikel beleuchtet neue Therapieansätze bei Suchterkrankungen, die die Traumata, die viele Suchterkrankte in ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben, berücksichtigen. Zudem beschäftigen wir uns mit der Theorienkrise in der Psychologie: Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer erklärt, warum die Psychologie dringend wieder lernen muss, ihre Theorien zu präzisieren.

Spektrum Kompakt – Das Unbewusste

Viele unserer Denkprozesse laufen auf Autopilot ab. Untersucht wurden sie schon von Sigmund Freud, C. G. Jung und Alfred Adler. Heute arbeitet man daran, das Zusammenspiel von Unbewusstem und Bewusstem neuronal sichtbar zu machen oder psychische Abwehrmechanismen durch bestimmte Tests zu ergründen.

Gehirn&Geist – Gehirn und KI im Dialog: Was uns künstliche Intelligenz über menschliches Denken lehrt

Ist künstliche Intelligenz in der Lage, echtes Bewusstsein zu simulieren? Neue Ansätze in der KI-Forschung versuchen KI-Systeme menschenähnlicher zu machen, indem sie den modularen Aufbau des Gehirns nachahmen. Mit diesem Artikel startet die neue Serie »Wechselspiel der Intelligenzen«, in der wir beleuchten, wie sich künstliche und menschliche Intelligenz gegenseitig beeinflussen. Im Schwerpunktthema »Demokratie in Gefahr?« klären wir im Interview, ob sich wissenschaftlich fassen lässt, wie eine Demokratie in eine Autokratie abgleitet. Ein weiterer Artikel zu diesem Thema erklärt, wie sich trotz zunehmend kontroverser Gesellschaftsdebatten ein kühler Kopf bewahren lässt. Daneben berichten wir, warum noch Jahre nach Konsum von Psychedelika visuelle Störungen auftreten können, ob Hirnstimulation gegen Depressionen hilft, oder Eisbaden und Kältekammern wirklich gesund sind.

  • Literaturtipps und Quellen

Literaturtipps

Bargh, J.: Vor dem Denken. Wie das Unbewusste uns steuert. Droemer, München 2018

Ein Priming-Forscher erklärt die Wissenschaft vom Unbewussten (siehe Rezension S. 82 in diesem Heft).

Clark, A.: Surfing Uncertainty. Prediction, Action, and the Embodied Mind. Oxford University Press 2016

Der britische Philosoph Andy Clark legt auf 300 Seiten die Theorie der »Vorhersage-Maschine« Gehirn dar.

Quellen

Merker, B.: Consciousness without Cerebral Cortex. In: Behavioral and Brain Sciences 30, S. 63–81, 2007

Schuck, N. W. et al.: Medial Prefrontal Cortex Predicts Internally Driven Strategy Shifts. In: Neuron 86, S. 331–340, 2015

Solms, M., Friston, K.: How and why Consciousness Arises: Some Considerations from Physics and Physiology. In: Journal for Consciousness Studies 25, S. 202–237, 2018

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