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Das Universum des Stephen W. Hawking. Eine Biographie


Seit fast 30 Jahren leidet der 1942 geborene Physiker Stephen W. Hawking an einem lebensbedrohenden Muskelschwund. Schon während seines Studiums in Oxford machte die Krankheit all seinen sportlichen Aktivitäten (er war unter anderem Steuermann im Ruderboot der Universität) ein Ende, und noch vor Abschluß seiner Doktorarbeit unter Denis Sciama war seine körperliche Bewegungsfähigkeit erheblich behindert. Er war schon seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt, als er 1979 im Alter von 37 Jahren auf den traditionsreichen lukasischen Lehrstuhl an der Universität Cambridge berufen wurde, den von 1669 an Isaac Newton (1643 bis 1727) und in unserem Jahrhundert Paul Dirac (1902 bis 1984, Physik-Nobelpreis 1933) innehatten. Seine Antrittsrede am 29. April 1980 mußte ein Mitarbeiter für ihn verlesen. Er war damals schon nicht mehr in der Lage, deutlich zu sprechen, zu gehen, zu schreiben oder auch nur selbständig zu essen.

Wie erklärt sich das Phänomen, daß ein Mann, der ständig den baldigen Tod vor Augen hat, noch wissenschaftlich mit großem Erfolg arbeiten kann? Seine physikalischen Arbeiten waren so bahnbrechend, daß er in der Presse zu einem neuen Einstein hochstilisiert wurde. Wenn auch er und seine Fachkollegen diesen Vergleich nicht gern hören, mag man sich überlegen, was Hawking ohne seine Behinderung hätte leisten können.

Eine Biographie über diesen bewundernswürdigen Menschen muß einerseits erklären, wie Hawking mit dieser fortschreitenden Behinderung leben, arbeiten und eine Familie mit seiner aufopferungsvollen Frau Jane und drei Kindern – Robert (geboren 1967), Lucy (1970) und Timmy (1979) – gründen konnte. Andererseits muß sie ausführlich über seine wissenschaftlichen Erfolge berichten, so daß ein gebildeter Laie die Quintessenz der Resultate in der Physik der Schwarzen Löcher und in den Fragen nach dem Ursprung und der Entwicklung des Kosmos verstehen kann.

Mir scheint, daß Kitty Ferguson diese Synthese in großartiger Weise gelungen ist. Dadurch, daß die zehn Kapitel auf der Wechselbeziehung zwischen dem menschlichen Aspekt seiner immer schwieriger werdenden Lebensumstände und der immer erfolgreicher verlaufenden wissenschaftlichen Karriere aufbauen, wird das Buch zu einer bewegenden und zugleich spannenden Lektüre. Zum Verständnis der wissenschaftlichen Erklärungen ist es nützlich, aber nicht notwendig, wenn der Leser zuvor Hawkings Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“ gelesen hat (vergleiche meine gemeinsam mit Hans Joachim Blome verfaßte Besprechung dieses Buches in Spektrum der Wissenschaft, April 1989, Seite 131).

Wir wollen uns hier auf die Kardinalfrage in Hawkings Arbeiten beschränken: Gab es einen Urknall, bei dem aus einer Singularität Raum, Zeit und Materie zugleich entstanden sind?

Man kann es der Autorin nicht verübeln, daß auf den 240 Seiten ihres sehr lesenswerten Buches nicht genügend Raum für eine vollständige Darstellung der Theorie ist. Ich muß jedoch auf einige Lücken hinweisen, um dem interessierten Leser irreführende Schlüsse zu ersparen.

Im Jahre 1970 hatte Hawking bewiesen, daß die Urknall-Singularität unvermeidlich ist, wenn die Allgemeine Relativitätstheorie bis in den extrem dichten Zustand des frühen Kosmos brauchbar bleibt und wenn der Druck dort nicht wesentlich negativ wird. Das ist, vereinfacht ausgedrückt, der Inhalt des Hawking-Penrose-Theorems. Leider fehlt im vorliegenden Buch (Seite 85) der zweite Satzteil. Nur durch ihn wird verständlich, warum in den achtziger Jahren bei Hawking – und anderen – Zweifel an der Allgemeingültigkeit seines Theorems auftauchten.

Diese Zweifel gipfelten 1983 in seinem Denkmodell eines Universums, in dem sich der Unterschied zwischen Raum und Zeit vollständig verliert: eines in sich geschlossenen Universums, das keine Grenzen hat, weder im Raum noch in der Zeit. Insbesondere gibt es in diesem Modell keine Singularität (vergleiche „Quantenkosmologie und die Entstehung des Universums“ von Jonathan J. Halliwell, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1992, Seite 50).

Wenn in einem kosmologischen Modell die Singularität als ursacheloser Existenzanfang aufgefaßt wird, ist eine deduktive und kausale Erklärung des Urknalls unmöglich, da die Anfangsbedingungen früher sein müssen als das Ereignis. Die Autorin beschreibt, wie Hawking dieses Dilemma durch Richard Feynmans Methode der Wegintegrale zu umgehen versucht. Zur technischen Durchführung des Verfahrens mußte Hawking als mathematischen Kunstgriff eine imaginäre Zeitkoordinate einführen. Das Verschwinden der Singularität und die frühe schnelle Expansion des Raumes erweisen sich als abhängig vom gewählten Materiemodell. Somit bleibt Hawkings Modell auch nur eine Denkmöglichkeit, was er selbst stets betont hat (Seite 170). Beweise seiner Theorie durch astrophysikalische Beobachtungen, die Rückschlüsse auf den ganz frühen Kosmos zulassen, kann man nicht erwarten.

In der öffentlichen Diskussion über Hawkings Buch steht die Gottes-Frage sehr im Vordergrund; auch Kitty Ferguson kann nicht daran vorbeigehen. Niemals hat Hawking behauptet, das „Keine-Grenzen-Universum“ schließe die Existenz Gottes aus. Er wirft jedoch die Frage auf: „Wo wäre in einem Universum, das keine zeitliche Grenze und keinen räumlichen Rand hat, noch Raum für einen Schöpfer?“ Dieser Ausspruch hat zu erheblichen Kontroversen Anlaß gegeben. Denn selbst wenn es gelänge, unsere Vorstellungen über Raum und Zeit und die Entstehung der Materie weiter einzugrenzen und die Natur mit noch allgemeineren physikalischen Gesetzen zu beschreiben, bliebe immer noch die Frage, die Hawking selbst so formuliert (Seite 172): „Wer bläst den Gleichungen den Odem ein und erschafft ihnen ein Universum, das sie beschreiben können?“

Albert Einstein wollte 1917 diese Frage umgehen, indem er – mit dem damaligen Kenntnisstand vereinbar – ein statisches, nicht-expandierendes Universum postulierte, das „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ währt. Im Jahre 1922 konnte dann der russische Mathematiker Alexander Friedmann mit seiner ersten fundamentalen Arbeit in der „Zeitschrift für Physik“ zeigen, daß die Einsteinschen Feldgleichungen in ihrer vollständigen Form mit der kosmologischen Konstanten einen expandierenden Kosmos erfordern. Allerdings gab es auch expandierende Lösungen, wenn die Konstante den Wert null haben sollte. Da es eine Integrationskonstante der Feldgleichungen ist, ist ihr Zahlenwert nicht aus den Gleichungen selbst, sondern nur aus Beobachtungen bestimmbar.

Leider kolportiert die Autorin (auf Seite 81 und in Abbildung 4.6 auf Seite 86), Friedmann habe Lösungen der Feldgleichungen mit verschwindender Konstante behandelt. Diese weitverbreitete, aber falsche Darstellung hat mehrere Generationen von Astronomen irregeführt. Allerdings war auch Einsteins Hoffnung dabei maßgebend, daß die Konstante null sein könnte. Damals war nicht zu erwarten, ihren Zahlenwert aus der Beobachtung bestimmen zu können. Diese Situation hat sich in letzter Zeit drastisch geändert.

Bedauerlich ist auch, daß die Autorin die kosmologische Konstante mit der Energiedichte des Quanten-Vakuums gleichsetzt (Seite 201). Während weitgehend Einigkeit unter den Experten besteht, daß die Entstehung der Materie im frühen Kosmos durch einen Phasenübergang aus dem energiereichen Quanten-Vakuum erklärbar ist, darf die kosmologische Konstante des Einstein-Tensors nicht a priori mit einem möglichen heutigen Energie-Niveau des Quanten-Vakuums gleichgesetzt werden; das kann in eine Sackgasse führen. Offensichtlich hat der amerikanische Physik-Professor Sidney Coleman der Autorin aus dieser Sackgasse herausgeholfen (Seite 202) mit seiner Hypothese, daß – und warum – die kosmologische Konstante im Vergleich zum frühen energiereichen Quanten-Vakuum extrem klein, aber keineswegs notwendig null sein könnte. Dies hat für die Entwicklung des Kosmos und das Weltalter entscheidende Konsequenzen.

Eine Ende der Entwicklung der Kosmologie ist noch nicht in Sicht! Wir möchten Stephen Hawking wünschen, daß er dazu noch entscheidende Beiträge leisten kann.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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