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Das Wasserkraftwerk Zülow - eines unter Hunderten von Technik-Touren-Zielen

Die Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft hat ein inzwischen 18 Führer umfassendes Kartenwerk aufgelegt, das zum Besuch musealer und neuester technischer Anlagen in Deutschland anregt.

Die Mildenitz ist ein kleines, kurzes Flüßchen, von dem kaum jemand reden würde, wenn es nicht für das Flachland inmitten der Mecklenburgischen Seenplatte eine Besonderheit aufzuweisen hätte: auf nur vier Kilometern Fließstrecke ein Gefälle von mehr als 22 Metern. Das hatte schon nach dem Ersten Weltkrieg Ingenieure auf die Idee gebracht, hier alternativ Energie zu erzeugen – auch wenn dieser Begriff damals so nicht gebraucht wurde.

Als 1922 die Bauarbeiten für das Wasserkraftwerk begannen, war das einer der ersten Schritte zur Elektrifizierung der ländlichen Gebiete im Einzugsbereich der Warnow. Bereits 1924 lieferte es den ersten Strom für die Dörfer zwischen Schwerin und Güstrow. Diese kurze Bauzeit ist um so bemerkenswerter, als nicht nur das Turbinenhaus, eine Transformatorenstation sowie ein Rechenhaus (wo zum Schutz der Turbinen Gras, Äste und andere Schwimmstoffe aus dem Flußwasser gefischt werden) zu errichten und die zugehörigen technischen Einrichtungen zu installieren waren; zusätzlich mußten auch drei Kilometer Oberwasserkanal – davon 300 Meter untertunnelt, um die Feldwirtschaft nicht zu behindern – und ein Kilometer Unterwasserkanal gegraben werden, die das Mildenitz-Wasser erst zum Kraftwerk hin und dann wieder zum Fluß leiten.

Die Anlage bei dem kleinen Dorf Zülow in der Nähe des Städtchens Sternberg ist durchaus kein technisches Museum. In Zeiten des Spitzenbedarfs speist sie noch immer Strom in das Leitungsnetz der Westmecklenburgischen Energieversorgungs AG.

Freilich machen die etwa 3,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr lediglich etwa 0,1 Prozent der von allen WEMAG-Kraftwerken erzeugten Elektrizität aus. Das Speicherkraftwerk kann kontinuierlich jeweils nur wenige Stunden in Betrieb bleiben, weil die beiden im Bereich des Oberwassers liegenden Stauseen so rasch leerlaufen. Über das 1,80 Meter starke Druckrohr mit 45 Prozent Gefälle sind dann etwa 40000 Kubikmeter Wasser auf die Schaufeln der beiden 900 PS starken Francis-Spiralturbinen geschossen. Bei diesem Turbinentyp, entwickelt von dem anglo-amerikanischen Ingenieur James Bicheno Francis (1815 bis 1892), tritt das Wasser radial in das Laufrad ein und verläßt die Turbine axial.

Die Generatoren des Zülower Kraftwerks haben zusammen eine maximale Leistung von 1100 Kilowatt. Der Strom wird gleich dort von 6,5 auf 20 Kilovolt hochtransformiert.

Sowohl Turbinen und Generatoren als auch die Transformatorenstation – noch ausgestattet mit vielen Handschaltern – interessieren sicherlich nicht nur Technik-Nostalgiker. Wegen der Einfachheit der Anlagen wird hier schnell verständlich, wie Strom erzeugt und zum Verbraucher geleitet wird.

Zwar hatte die Rote Armee die ursprünglichen Turbinen und Generatoren nach dem Zweiten Weltkrieg demontiert, doch sind sie durch bauähnliche ersetzt worden; die neuen Turbinen lieferten 1953 die Turbowerke Meißen, die Generatoren das Elektromotorenwerk Dessau.

Das Kartenwerk für Technik-Touren

Einen Abstecher oder Ausflug zu dem bescheidenen Wasserkraftwerk empfiehlt einer von mittlerweile 18 Regionalführern durch Geschichte und Gegenwart der Ingenieurkunst in Deutschland. Herausgegeben werden sie von der Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft (IZE). Dem Kartenwerk lag denn auch die Idee zugrunde, der sich gerade auf Einrichtungen zur Stromerzeugung – insbesondere Kernkraftanlagen – richtenden Technikfeindlichkeit von Teilen der Bevölkerung mit Offenheit zu begegnen und ein besseres Verständnis durch eigene Anschauung zu wecken.

Das PR-Projekt wandelte sich indes zu dem Plan, informative Wegweiser zu technischen Monumenten aller Art – historischen wie modernen – zu schaffen. So entstand die Reihe „Tips für Technik-Trips“, in die auch viele Vorschläge interessierter Bürger eingingen; zu allgemeinem Nutzen könnte sie zur intensiven Beschäftigung mit der industriellen Zivilisation anregen.

Die bisher erschienenen Karten decken – bis auf einen nordwestlichen Streifen und das Saarland – fast das gesamte alte Bundesgebiet ab, vom Sonnenkraftwerk auf Pellworm bis zur alten Hammerschmiede Hindelang im Oberallgäu. Mit der 15. Karte „Zwischen Lübeck, Rostock und Schwerin“ wird erstmals auch eine Region der neuen Bundesländer erschlossen; als technische Sehenswürdigkeiten sind darin außer dem Zülower Kraftwerk unter anderem der Fährhafen in Warnemünde, der Dampfeisbrecher „Stettin“ in Travemünde, die Deponiegas-Nutzungsanlage Niemark und das Agrarhistorische Museum in Altschwerin aufgeführt.

Jeder Führer verzeichnet bis zu 40 Ziele auf aktuellen Straßenkarten im Maßstab 1 zu 100000, die auf der Rückseite Kurzbeschreibungen samt Bild, Anschrift und Öffnungszeiten enthalten; in der Karte sind außerdem Wanderwege, Naturparks sowie Freizeit- und Touristik-Einrichtungen eingetragen. Nach gleichem Konzept ist ein Taschenbuch „Mit 100 Touren auf Technik-Spuren“ über besonders attraktive Einrichtungen in ganz Deutschland gestaltet, das Karten im Maßstab 1 zu 800000 und speziell für das Ruhrgebiet im Maßstab 1 zu 250000 enthält. Die Regionalkarten sind zum Stückpreis von DM 8,80 bei der IZE (Stresemann-Allee 23, 60596 Frankfurt am Main), bei örtlichen Energieversorgungsunternehmen sowie im Buchhandel erhältlich; das Taschenbuch kostet DM 14,80.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1993, Seite 128
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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