Wissenschaftsgeschichte: Das Wissen der Griechen
Eine Enzyklopädie
Aus dem Französischen von Volker Breidecker et al. Wilhelm Fink, München 2000. 916 Seiten, € 75,67
Aus dem Französischen von Volker Breidecker et al. Wilhelm Fink, München 2000. 916 Seiten, € 75,67
Wer in diesem Buch die herkömmlichen Weisheiten über die Anfänge der Wissenschaft, die Ursprünge der Philosophie und des abendländischen Denkens erwartet, sieht sich getäuscht. Aber auf durchaus angenehme Weise.
Die Herausgeber wollen in ihrem Buch "den Griechen dabei zusehen, wie sie sich selbst zusehen", wie sie dachten, handelten und planten. Das ist den beiden Historikern – aus Paris der eine, aus Cambridge der andere – mit Unterstützung von 45 weiteren Autoren aus Frankreich, Großbritannien, Italien und den USA sehr gut gelungen. Ihre neuartige Konzeption verdient höchstes Lob, ebenso wie die ausgezeichnete Arbeit der Übersetzer.
Gegliedert ist das bilderlose Buch – es gibt lediglich eine Zeittafel und zwei Übersichtskarten – in vier Kapitel. Das erste, "Philosophie", beschreibt zunächst den volkstümlichen und mythischen Hintergrund, vor dem sich philosophische Gedankengänge zu entwickeln begannen. Von diesen ersten Erkenntnisprozessen bis zur Herausbildung eines klaren wissenschaftlichen Denkens war es ein weiter Weg. Den Autoren gelingt es, in manchmal weitschweifiger, aber eindrucksvoller Darstellung die antike Sichtweise der Philosophie zu veranschaulichen, die sich erheblich von der heutigen unterscheidet.
Im zweiten Kapitel, "Politik", stehen nicht etwa die politischen Instrumente und Institutionen selbst im Vordergrund, sondern – dem Grundgedanken dieser Enzyklopädie folgend – deren Rechtfertigung und das Nachdenken über sie: die vielfältigen Aspekte politischen Handelns und Denkens etwa, oder das Spannungsfeld zwischen der erklärten Ideologie und der Praxis des staatsbürgerlichen Lebens.
Das dritte Kapitel, "Forschung und Wissenschaft", beginnt mit einer zusammenfassenden Darstellung der institutionellen und begrifflichen Vo-raussetzungen für einen – auch nach modernen Kriterien – wissenschaftlich fundierten Erkenntnisgewinn. Es folgen 15 Artikel über einzelne Wissensgebiete, von "Astronomie" über "Harmonik", "Logik", "Physik" und "Poetik" bis hin zur "Theorie der Sprache".
Ebenfalls alphabetisch, wie in Enzyklopädien üblich, sind die "Denker und geistigen Strömungen" des Schlusskapitels sortiert. Die Auswahl der Gelehrten und Denkschulen wirkt etwas eigenwillig. Doch Querverweise am Ende jeder Einzeldarstellung und ein ausführliches Namen- und Sachregister am Ende des Buches verweisen auch auf Forscher und Werke, denen kein eigener Beitrag gewidmet ist.
Für wen eignet sich nun diese Enzyklopädie? Für den schnellen Leser gewiss nicht. Wer aber bereit ist, die neuartige Herangehensweise der Autoren zu akzeptieren und immer wieder im Buch zu schmökern, dem wird sich ein ungewohntes und vielfältiges Bild des griechischen Wissens erschließen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2002, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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