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Demenz: Risikofaktor Psyche

Wer psychisch krank ist oder war, entwickelt im Schnitt häufiger und früher eine Demenz. Die Gründe sind unklar, doch diverse Spuren führen in eine ganz bestimmte Hirnregion: den Hippocampus.
Eine Pflegekraft in blauer Uniform unterstützt eine ältere Person, die einen Gehstock hält, indem sie den Arm der älteren Person stützt. Die Szene vermittelt Fürsorge und Unterstützung im Pflegeumfeld.

Demenzen entwickeln sich schleichend. Anfangs tun sich Betroffene immer schwerer damit, neue Informationen abzuspeichern. Oft lässt auch ihre Orientierung nach. Mit der Zeit verblassen Erinnerungen. Für die meisten Patientinnen und Patienten ist der Alltag irgendwann ohne Hilfe nicht mehr zu stemmen; sie brauchen dauerhaft Pflege und Betreuung. Bisher gibt es keine Möglichkeit, den geistigen Abbau zu stoppen oder umzukehren – erhältliche Therapien können den Prozess lediglich verlangsamen und Betroffene sowie Angehö­rige dabei unterstützen, mit der neurodegene­rativen Krankheit zurechtzukommen. 2021 schätzte man die Zahl der weltweit erkrankten Menschen auf 55,2 Millionen. Das sind mehr als doppelt so viele wie 1990. Allein in Deutschland leben rund 1,8 Millionen Personen mit einer Demenz, die meisten von ihnen mit Morbus Alzheimer. Bis zum Jahr 2050 dürften es auf Grund der ­alternden Bevölkerung bis zu 2,8 Millionen werden, schätzt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.

Forschende suchen mit Hochdruck nach Möglichkeiten, um die Krankheitslast zu senken. Verstärkte Prävention könnte einen Beitrag dazu leisten. Eine viel zitierte Übersichtsarbeit von internationalen Fachleuten um Gill Livingston vom University College London aus dem Jahr 2020 beschreibt zwölf beeinflussbare Faktoren, die für rund 40 Prozent der Demenzfälle weltweit verantwortlich sein sollen. Bei ihnen anzusetzen, könnte daher zahlreichen Erkrankungen vorbeugen. Genannt werden unter anderem Adipositas, Bluthochdruck und Diabetes mellitus sowie ein niedriges Bildungsniveau, soziale Isolation – und psychische Störungen.

Welchen Einfluss Letztere haben, demonstrierte ein Team um Leah Richmond-Rakerd von der University of Michigan in Ann Arbor 2022 in einer groß angelegten Studie. Es analysierte dafür Daten von 1,7 Millionen Menschen in Neuseeland, die zwischen 1967 bis 2018 erhoben worden waren. Anhand der Werte wurde geprüft, ob Personen, bei denen im Lauf ihres Lebens eine psychische Krankheit auftrat, später vermehrt eine Demenz entwickelten. Dabei zeigte sich, dass jene mit einer Angststörung, Depression oder einer bipolaren Störung etwa viermal so oft betroffen waren. Menschen mit Psychose oder Schizophrenie erkrankten sogar sechsmal häufiger als mental gesunde Vergleichspersonen. Zudem begann der geistige Abbau bei den Vorerkrankten im Schnitt 5,6 Jahre früher. Warum das so ist, lässt sich aus diesen Daten nicht ableiten. Allerdings äußert das Forschungsteam einen Verdacht: Es könnte der mit psychischen Störungen einhergehende chronische Stress sein, der dem Gehirn dauerhaft schadet…

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  • Quellen

Belleau, E. L. et al.: The impact of sstress and major depressive disorder on hippocampal and medial prefrontal cortex morphology. Biological Psychiatry 85, 2019

Dafsari, F. S., Jessen, F.: Depression – an underrecognized target for prevention of dementia in Alzheimer’s disease. Translational Psychiatry 10, 2020

Dobson, K. S.: The science of CBT: Toward a metacognitive model of change? Behavior Therapy 44, 2013

Livingston, G. et al.: Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. The Lancet 396, 2020

Richmond-Rakerd, L. S. et al.: Longitudinal associations of mental disorders with dementia. JAMA Psychiatry 79, 2022

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