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Den Finger auf die Wunde legen

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina möchte Akademien und Wissenschaftsorganisationen zu einem Konvent zusammenführen. Spektrum der Wissenschaft sprach darüber mit dem Präsidenten der Leopoldina, dem Biologen Benno Parthier.


Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Parthier, Sie haben einmal gesagt, die Leopoldina sei "mit ihren Strukturen aus der Vergangenheit kaum in der Lage, zukunftsbestimmende wissenschaftsorientierte Aufgaben zu bewältigen". Mittlerweile hat der Senat der Akademie dem Konzept eines Nationalen Wissenschaftskonvents grundsätzlich zugestimmt. Wie stehen die rund tausend Mitglieder der Leopoldina heute dazu?

Prof. Benno Parthier: Der Senat steht voll dahinter. Den Mitgliedern habe ich das Projekt ausführlich vorgestellt. Wir brauchen dafür zwar nicht die Zustimmung aller Mitglieder, wollten aber ein Meinungsbild haben. In den Diskussionen wollten mehrere Mitglieder einige Formulierungen geändert haben, abgelehnt wurde das Konzept aber nicht.

Spektrum: Wie soll der Konvent an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zusammengesetzt sein?

Parthier: Eine der Aufgaben des Konvents soll sein, die Öffentlichkeit stärker an die Wissenschaft heranzuführen. Das macht zwar auch die Leopoldina. Nur: Wir gehen nicht in das Volk, sondern hoffen, dass das Volk zu unseren öffentlichen Veranstaltungen kommt.

Der Konvent hingegen ist als eine geballte Einheit der Akademien und der Wissenschaftsorganisationen gedacht. Auch der Wissenschaftsrat müsste angebunden sein. Im Gegensatz zu der "Allianz" der etablierten Wissenschaftsorganisationen vertritt hier jeder Teilnehmer nicht die Interessen seiner Organisation, sondern alle Konventsmitglieder entscheiden ihren Fachkompetenzen und individuellen Überzeugungen gemäß unabhängig.

Spektrum: Und die Politikberatung?

Parthier: Ich stelle mir vor, dass im Konvent die wichtigen Probleme erkannt und erarbeitet werden. Daraus sollen Empfehlungen, Expertisen oder Prognosen entstehen. Dann erst sollte er an die Politik herantreten, vorher noch nicht. Erst müssen sich die Wissenschaftler untereinander einigen. Wenn man so etwas aufbaut, muss das anders finanziert werden als bisher. Ist die Finanzierung geregelt, wären wir auch bereit, der Politik Empfehlungen vorzulegen, die gesellschaftlich und politisch relevante Themen betreffen, aber in der Regel keine Tagesfragen und keine Auftragsarbeit von der Politik sind. Doch auch solche kann es in Ausnahmefällen geben.

Spektrum: Schon zweimal hat die Leopoldina aus wissenschaftlicher Sicht versucht, der Politik Hinweise zum Verhalten im Falle von BSE zu geben – beide Male vergeblich.

Parthier: Das ist ein klassisches Beispiel. Die Verbraucherschutzministerin Künast macht jetzt alles das, was wir damals empfohlen haben.

Spektrum: Auch bei Maul- und Klauenseuche herrscht in der Öffentlichkeit eine große Unsicherheit: Soll man impfen oder nicht? Müsste der Konvent, wenn es ihn schon gäbe, dazu Stellung nehmen?

Parthier: Ja, und zwar schon frühzeitig. Das wäre ein Fall, in dem er tatsächlich verpflichtet wäre, eine Art Hilferuf der Politik aufzunehmen und sehr schnell zu reagieren. Das wäre einer der erwähnten Ausnahmefälle.

Spektrum: Der Konvent soll also ungefragt seine Meinung abgeben können?

Parthier: Sein Spezifikum ist, dass er keine Auftragsarbeiten ausführt. Die Wissenschaft selbst soll sich mit den Problemen der Gesellschaft so beschäftigen, dass sie die Finger auf die Wunde legen und feststellen kann: Dort müssen wir der Gesellschaft und auch der Politik etwas sagen. Das wäre der richtige Weg.

Spektrum: Wer müsste die Initiative dazu ergreifen?

Parthier: Die Gründungsinitiative sollte von der Leopoldina ausgehen. Als eine in sich geschlossene Akademie ist sie dazu geeignet. Bei der Union der sieben Landesakademien wird es schwieriger. Wir wollen das aber unbedingt mit diesen und nicht gegen sie machen.

Spektrum: Sollte der Konvent nicht ursprünglich ziemlich politiknah sein?

Parthier: Jein – wir haben eingesehen, dass das nicht gehen wird. Im Prinzip hat Anfang März der sächsische Wissenschaftsminister Meyer, der auch Mitglied unseres Senats ist, in einem Artikel im "Tagesspiegel" ein nationales Forum der Wissenschaft zur Politikberatung vorgeschlagen. Er hält es für richtig, wenn dieses "durch eine Initiative aus der Wissenschaft und im Zusammenwirken mit der Politik geschaffen würde". Nach unseren Vorstellungen, die der Senat bestätigt hat, soll ein deutscher Wissenschaftskonvent als interdisziplinäre Gesamtrepräsentation der Wissenschaft gegründet werden – durch Bund und Länder mischfinanziert und hoheitlich im Bundespräsidialbereich angebunden. Parlamentarischen Parteienstreit in die Wissenschaft hineinzutragen wäre in diesem Fall kontraproduktiv und könnte kaum dem Ansehen einer solchen Einrichtung und dem Grundkonsens nützen, die Unabhängigkeit zu bewahren.

Spektrum: Sie haben in Ihrer Rede von einer Dreiteilung der Schuld in Bring-, Objektivitäts- und Aufnahmeschuld gesprochen. Wie beziehen Sie die Öffentlichkeit mit ein?

Parthier: Zunächst einmal: Wir haben beschlossen, dass alle Entscheidungen veröffentlicht werden. Natürlich geht das auch über die Presse. Wir wollen die Medien ja nicht ausgrenzen. Am Beispiel BSE zeigte sich, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, in dem sich der Forscher selbst stärker in die Wissensvermittlung einschaltet, zweifellos verbesserungswürdig ist. Es wäre fatal, wenn sich in dem magischen, untrennbaren Dreieck – Wissenschaft mit ihrer Bringschuld, Medien mit ihrer Objektivitätsschuld, Gesellschaft und Politik mit ihrer Aufnahmeschuld – alle unschuldig fühlten.

Spektrum: Warum ist von Ihren Aktivitäten – wie etwa zu BSE – so wenig an die Öffentlichkeit hinausgegangen?

Parthier: Das kann man alles unter Objektivitätsschuld subsummieren. Die Medien als wichtigste Informationsquelle der Bürger sollen etwa im Falle BSE nicht immer nur Hysterie ankurbeln. Das macht die Menschen unsicher, übertriebene Darstellungen jagen sie in Ängste. Vielmehr sollte endlich über die Dinge so geschrieben werden, wie sie wirklich sind.

In meiner Rede bin ich auf den seltsamen Bürgerkrieg an der Agrarfront in Europa eingegangen: Politiker und Medien haben die verunsicherte Öffentlichkeit in die von BSE ausgehobenen Schützengräben getrieben. Plötzlich sehen alle weiße Creutzfeldt-Jakob-Mäuse an den grünen Wänden unserer Verbraucherwelt, umräuchert vom tierischen Gestank der Scheiterhaufen des 21. Jahrhunderts, der "Verbrennungsanlagen für die Vernichtung von Tieren zur Marktbereinigung". Aus aktuellem Anlass eines BSE-erkrankten Rindes wurden eintausend Rinder aus Mücheln "gekeult" – ein besonders vornehmer seuchenpolizeilicher Ausdruck für "gekillt".

Weder Öffentlichkeit noch Politik noch Wissenschaft haben bislang erfahren, ob und in wie vielen der anderen 999 getöteten Tiere ohne BSE-Symptome die pathogenen Prionen nachweisbar waren. Aus statistischen Angaben anderer Länder hochgerechnet, wird es höch-stens ein weiteres Rind sein. Und bei der Maul- und Klauenseuche haben wir noch nicht einmal einen Fall in Deutschland. Auch Normalbürger haben das Recht, ohne Horrormeldungen aufgeklärt zu werden.

Spektrum: Wie wird nach Ihrer Meinung der deutsche Akademien-Konvent zu Europa stehen, also zu den europäischen Organisationen wie All European Academies (ALLEA)?

Parthier: Bedarf an Mitarbeit besteht auch im internationalen Bereich, wenn wir unsere Präsenz im europäischen Raum deutlich verbessern wollen. Vielleicht wäre es am besten, wenn in der ALLEA die deutsche Wissenschaft durch den Konvent vertreten würde. Dessen Vertreter müssten die Repräsentanz für Deutschland ausüben.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2001, Seite 103
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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