Interview : Den Teilchenschauern auf der Spur
Sterne und Weltraum: Herr Hofmann, würden Sie uns in einigen Worten Ihr Forschungsgebiet beschreiben?
Werner Hofmann: Grundsätzlich: Die moderne Astronomie hat dazu geführt, dass man sich über das sichtbare Spektrum hinaus andere Spektralbereiche ansieht. Wichtige Gebiete sind dabei etwa die Radio- und die Röntgenastronomie. Wir betreiben Astronomie im ganz extremen Bereich des Spektrums: Das sind etwa die 10 oberen Oktaven dieses 70 Oktaven umfassenden Spektrums der elektromagnetischen Strahlung aus dem Weltall.
Abgesehen von der hohen Energie, wie unterscheiden sich die Astroteilchenphysik und die Gammaastronomie von der übrigen Astronomie?
Die überwiegende Anzahl der Quellen in der normalen Astronomie sind thermische Quellen. Das sind heiße Objekte, die leuchten bis hinein in den Röntgenbereich. Mit der Hochenergieastronomie sieht man das nicht-thermische Universum. Es sind letztlich hochenergetische Teilchenpopulationen, die diese Strahlung abgeben. Im Grunde suchen wir kosmische Teilchenbeschleuniger. Denn die Gammastrahlung ist am Ort des Beschleunigers, wo die Teilchendichte sehr hoch ist, besonders intensiv. Gammastrahlung breitet sich im Gegensatz zur kosmischen Teilchenstrahlung geradlinig aus. Der ganze Trick der Hochenergiegammaastronomie ist daher, dass man zum ersten Mal kosmische Teilchenbeschleuniger direkt sehen kann.
Welche Objekte kann man sich als Ursprung für solche kosmischen Teilchenbeschleuniger vorstellen?
Das klassische Objekt ist eine Supernova. In der Sternexplosion wird eine Plasmastoßwelle erzeugt, die mit bis zu einigen Prozent der Lichtgeschwindigkeit über viele Lichtjahre hinweg durchs All läuft. An dieser Stoßwelle werden die Teilchen mehrfach gestreut und gewinnen so Energie. Die meisten galaktischen Objekte sind aber Pulsarnebel. Dann gibt es noch die Blazare als extragalaktische Quellen. Das sind aktive Galaxienkerne mit einem extrem massereichen Schwarzen Loch im Zentrum.
Auf welche Beobachtungen ist H.E.S.S. spezialisiert?
Letztendlich darauf, Gammaquanten im Bereich von etwa 1011 bis 1013 Elektronvolt nachzuweisen. Die Gammaquanten aus dem All wechselwirken in etwa 20 Kilometer Höhe mit der Erdatmosphäre und lösen dort eine Kaskade von Sekundärteilchen aus. Tscherenkow-Teleskope nutzen diese Teilchenkaskaden zum Nachweis. Bei diesen Energien entstehen einige hundert bis einige tausend Elektronen und Positronen, die mit nahezu Vakuumlichtgeschwindigkeit durch die Atmosphäre rauschen; das ist schneller als die Lichtgeschwindigkeit im Medium Atmosphäre selbst. Dann passiert das Analog zu einem Überschallknall bei einem Flugzeug: Es wird Tscherenkow-Strahlung abgestrahlt. Dieses blaue Licht ist nach vorne fokussiert, mit einem Öffnungswinkel von etwa einem Grad, und leuchtet auf dem Erdboden eine Fläche von rund hunderttausend Quadratmetern aus.
Und das möchte man mit H.E.S.S. einfangen?
Ja, man stellt irgendwo in diese hunderttausend Quadratmeter Teleskope hinein, die einfach die Teilchenkaskade in diesem Tscherenkow-Licht abbilden. Das kann man sich so vorstellen, als wäre da eine lange Meteorspur am Himmel, die man fotografiert und so zurückverfolgt. Die Intensität des Leuchtens korreliert zur Energie des Gammaquants. Und die Richtung der Spur sagt uns, woher es am Himmel kommt.
Das H.E.S.S.-Teleskop ist also ein optisches Observatorium?
Es ist ein ganz normales optisches Teleskop. Im Prinzip könnte man das mit jedem anderen optischen Teleskop machen. Zum einen ist aber ein sehr großer Spiegel notwendig, weil diese Phänomene sehr lichtschwach sind. Es kommen typischerweise einige zehn Photonen pro Quadratmeter an. Um davon ein Bild zu erzeugen, braucht man viele Quadratmeter Lichtsammelfläche. Außerdem brauchen wir sehr kurze Belichtungszeiten. Um diese einige hundert Lichtquanten aus dem Nachthimmelsrauschen herauszufiltern, belichten wir einige Nanosekunden, also einige Milliardstel Sekunden. Wenn wir eine Millisekunde belichten würden, sähe der Nachthimmel einfach weiß aus, da diese Teleskope bei den großen Lichtsammelflächen und hohen Nachweiseffizienzen so empfindlich sind.
Welche Nationalitäten sind an der Kollaboration beteiligt?
Bei H.E.S.S. sind im Moment knapp 200 Personen aus zwölf Nationen beteiligt. Dabei bilden Deutschland und Frankreich den Schwerpunkt. Dann sind unter anderem noch England, Irland, Schweden, Österreich, Polen, Tschechien und Armenien dabei, aber auch Australien, Südafrika und Namibia.
Es ist also hauptsächlich ein europäisches Projekt?
Das Zentrum bilden sicher die europäischen Institute. Gebaut wurden die Teleskope im Wesentlichen von Deutschland und Frankreich.
Und warum der Standort Namibia?
Wir wollten auf die südliche Hemisphäre, weil man da den zentralen Bereich der Galaxis am besten sieht. Letztlich braucht man Bedingungen wie bei der optischen Astronomie: einen wolkenfreien und einen dunklen Himmel. Die Standorte, die das liefern, sind im Wesentlichen Namibia und die Westküste von Südamerika, wo die ESO-Teleskope stehen. Wir hatten uns beides überlegt. Dass wir letztlich in Namibia gelandet sind, hat zum Teil historische Gründe; die Max-Planck-Gesellschaft war schon früher dort aktiv und hat Teleskopstandorte untersucht.
War es rein politisch schwierig, die Projekte in diesem Land umzusetzen, oder war es einfach, das durchzubekommen?
So ganz einfach war es nicht. Es hat uns letztlich fast zwei Jahre gekostet, aber man muss sagen, dass wir sehr große Unterstützung aus dem Land bekommen haben. Es gibt ein deutsch-namibisches Kulturaustauschabkommen, in das H.E.S.S. eingebettet ist. Wir hatten auch hervorragende lokale Firmen, die beim Aufbau geholfen haben. Es ist natürlich immer logistisch ein bisschen schwierig, etwas zu machen, was halb um die Welt ist.
Ist eigentlich permanent Personal vor Ort oder wird das Observatorium per Fernsteuerung betrieben?
Sie haben dort Teleskope mit Massen im Bereich von 60 Tonnen, oder jetzt mit H.E.S.S.-II 600 Tonnen, die sich beim Positionieren relativ schnell durch die Gegend bewegen. Dabei müssen immer Leute vor Ort sein. H.E.S.S wird in Schichten von Wissenschaftlern betrieben, und wir haben permanent einen Site Manager und einen Techniker vor Ort, die die Wartung und Koordination machen. Ohne das ginge es nicht.
Was finden Sie persönlich an Ihrem Forschungsbereich besonders faszinierend? Könnten Sie da ein Highlight oder zwei nennen?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn Sie mal zu H.E.S.S. II hinkommen: Das Teleskop ist ein bisschen höher als der schiefe Turm von Pisa. So ein Gerät irgendwo in der Einöde aufzubauen, zu betreiben und damit den Kosmos zu studieren – wir haben damit einen Himmel gesehen, den so noch nie jemand zuvor gesehen hat. Das ist einfach faszinierend. Ich selbst komme aus der Teilchenphysik, und wir hoffen, mit H.E.S.S. auch ganz fundamentale Fragen der Physik angehen zu können. Die Suche nach Dunkler Materie ist eines der ganz großen Themen. Das andere, was ich auch sehr faszinierend finde, ist die Suche nach Effekten der Quantengravitation. Bei diesen hohen Energien sind die Wellenlängen der Gammaquanten extrem kurz. Wenn tatsächlich die Raumzeit eine körnige Struktur hat, müsste man das sehen können: Diese Gammaquanten würden dann ein bisschen langsamer laufen als normale Lichtquanten. Nach solchen Effekten haben wir gesucht, bis jetzt aber leider noch nichts gefunden.
Verbringen Sie als Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik noch irgendwelche Zeit mit eigener Forschung? Was macht die Aufgabe an sich so spannend für Sie?
Beim Bau von H.E.S.S. habe ich eigentlich sehr viel selber mitgewirkt. Ich habe zum Teil das Teleskop-Layout nachgerechnet, sogar teilweise die Ingenieuraspekte, und auch sehr viel an den Beobachtungsprogrammen und der Datenanalyse mitgewirkt. Man hat da schon sehr große Einflussnahme. Das Problem ist jetzt ein bisschen: Im Moment versuchen wir, das CTA-Projekt, das Cherenkow Telescope Array, auf die Schienen zu setzen, das noch einmal eine Größenordnung größer ist. Daran arbeiten etwa 170 Institute aus 25 Nationen mit mehr als 1000 Personen mit. Entsprechend höher ist der Koordinationsaufwand.
Soll das CTA auch nach Namibia kommen?
Das ist eine heiß diskutierte Frage. Für das CTA ist eigentlich vorgesehen, einen Standort auf jeder Hemisphäre zu haben, so dass man den ganzen Himmel sieht. Für die südlichen Standorte kommen entweder Namibia oder Südamerika in Frage.
Nun gerät die Wissenschaft immer mehr unter Druck, sich wirtschaftlich zu rechtfertigen. Riesige Teleskope wie H.E.S.S. sind nicht ganz billig. Was ist der Nutzen von hochenergetischer Astroteilchenphysik, wie man es dem Normalbürger darlegen würde?
Ich glaube, es zeichnet den Menschen als vernunftbegabtes Wesen aus, dass wir versuchen, uns in unser Weltall einzuordnen und zu verstehen, warum das Weltall so aussieht, wie es aussieht. Wir haben gelernt, dass das Weltall, das wir mit unseren Augen sehen, nur ein Aspekt ist; dass gerade auch die hochenergetischen Teilchen wesentlich sind, weil sie mithelfen, die Evolution des Weltalls zu formen. Ob sich das nun direkt auszahlt oder nicht, ist nicht so einfach zu sagen. Aber wir haben zum Beispiel mit H.E.S.S. rund hundert Doktoranden ausgebildet, die eine sehr breite Ausbildung haben, in der es um Elektronik, Analysetechnik oder Simulationstechniken geht. Wenn sie nicht in der Wissenschaft geblieben sind, was natürlich nur einem relativ kleinen Teil möglich ist, gehen sie dann in die verschiedensten Bereiche der Wirtschaft und wenden da ihre Ausbildung nutzbringend an.
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