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Denken unterwegs. Fünfzehn metawissenschaftliche Exkursionen


Philosophische Fragen geben von jeher einen Ansporn zum Forschen in den Einzelwissenschaften, und wo diese mitunter revolutionär das Weltbild verändern oder aber an ihre Grenzen stoßen, begegnen sie grundsätzlichen Fragen der Philosophie. Wer dieses Wechselspiel fallweise mitverfolgen will, ist eingeladen, dies auf den "fünfzehn metawissenschaftlichen Exkursionen" des vorliegenden Buches zu tun. Die Herausgeber haben dazu Essays namhafter Wissenschaftler aus den verschiedensten Gebieten zusammengetragen und auch selber je einen Beitrag geschrieben. Heinz-Dieter Ebbinghaus, Mathematiker an der Universität Freiburg, ist unter anderem bekannt durch sein Buch "Zahlen", das mit einer Fülle geschichtlicher Bemerkungen auf unkonventionelle Weise in den Aufbau des Zahlensystems einführt; Gerhard Vollmer, Professor für Erziehungswissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig, hat in Physik und Philosophie promoviert und Bücher über Erkenntnistheorie veröffentlicht.

Die Vielfalt der Formen ist beeindruckend: Spannend ist der Kriminalroman über die in der Physik verlorengegangenen klassischen Teilchen, packend die fiktive Diskussion unter Mathematikern über die Grundlagen ihrer Disziplin. Sachorientierte Beiträge zu aktuellen Fragen finden sich neben Reflexion und Kritik an der eigenen Fachrichtung.

Gleichwohl stoßen Beiträge aus sehr verschiedenen Disziplinen immer wieder auf dieselben Punkte, benutzen sogar dasselbe Vokabular. Begriffe wie "Kausalität", "Gleichgewichtstheorie", "geschlossenes System" und "Regelkreis" finden sich nicht etwa im Essay eines Physikers, sondern in dem eines Historikers. Wie Sterne am Firmament der gedanklichen Spekulationen leuchten so zentrale Themen auf wie die Dualität aller Erscheinungen dieser Welt, die Frage nach Objektivierbarkeit beziehungsweise einer von unserer Wahrnehmung unabhängigen Realität sowie Zeitlichkeit und Veränderlichkeit als Charakteristika alles Lebendigen.

Der Dualitätsgedanke findet sich im Nachsinnen eines Pathologen über Gesundheit und Krankheit ebenso wie in dem Überblick eines Physikers über die Theorie der Elementarteilchen. Dualität in Form von Polarität scheint sogar Voraussetzung für die Dynamik alles Lebendigen zu sein. In diesem Punkt – Bewegung und Veränderlichkeit als Wesenseigenschaft alles Lebendigen – begegnet der Pathologe wieder einem Physiker. Dessen Nachdenken über den Begriff "Zeit" hatte allerdings einen ganz anderen Ausgangspunkt.

Daß Wahrnehmung nicht objektivierbar ist und immer mit dem erkennenden Subjekt zusammenhängt, muß sich ein Physiker, der mit dem Welle-Teilchen-Dualismus kämpft, ebenso klarmachen wie ein Historiker, der zugibt, daß Geschichtsschreibung interpretierend ist. Aber wo ist dann noch Platz für die "reale" Welt Platons, die sich hinter all dem, was wir erkennen, verbirgt? Wo finden sich die idealen Kreise der Mathematiker, die, zu Papier gebracht, doch immer ein wenig verdellert sind?

Weil die Essays alphabetisch nach Autoren und nicht thematisch geordnet sind, ist es um so reizvoller, innere Zusammenhänge der verschiedenen Disziplinen zu entdecken. Es ist wie bei einem guten Kunstwerk: Jede Betrachtung bringt neue Assoziationen mit sich, und es wird nie langweilig. Ansprechend ist auch das Layout mit einem Kurzporträt zu jedem Autor.

Vielleicht hat man am Ende des Buches einen Eindruck davon gewonnen, was "Metawissenschaft" bedeuten kann. Die Autoren verstehen schon unter "Metaphysik" alles von der "widerspruchsfreien Erweiterung der Naturwissenschaften" bis hin zum "Kampfplatz endloser Streitigkeiten". Dementsprechend fordern die einen dringend einen Dialog zwischen Einzelwissenschaften und Philosophie, während die anderen Vorsicht vor dem Verlassen des eigenen Terrains für geboten halten.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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