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Der Delphin im Schiffsbug. Wie Natur die Technik inspiriert.

Aus dem Amerikanischen von Andreas Held. Birkhäuser, Basel 1997. 256 Seiten, DM 49,80.

Das Buch ist keine trockene Faktenaufzählung, sondern ein Feuerwerk von Geschichten und Geschichtchen. Um Personen geht es der Journalistin Delta Willis besonders. Man erfährt, daß Claus Mattheck, Physiker am Forschungszentrum Karlsruhe mit besonderem Faible für die „Körpersprache der Bäume“ (Spektrum der Wissenschaft, November 1989, Seite 14), gerne mit handgeschriebenen Faxen agiert (was ich bestätigen kann) und daß der britische Fledermausforscher Jeremy Rayner auch dienstlich kakhifarbene Safari-Anzüge trägt (was ich nicht bestätigen kann). Dazu viele Querbeziehungen und Zitate, lesbar aufbereitet: Es ergibt sich eine amüsante Mischung. Ich gestehe, daß ich das Buch in einer Nacht durchgelesen habe, und die Mühe des Lesens muß man sich machen, ein Bilderbuch ist es nicht.

Runde zehn Kapitel hat das Buch. Sie handeln von der Harmonie der Zahlen, von Kuppeln und Netzen, von Bäumen als Konstruktionen konstanter Spannung. Sie berichten über die Kunst des Fliegens und über die Formansätze des schottischen Biologen d’Arcy Thompson (1860 bis 1948), von Fibonacci-Zahlen in der Sonnenblume, den Tensegrity-Strukturen in Bauwerken und dem Schalenkonzept der Radiolarien (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, März 1998, Seite 32). Sie verfolgen Probleme der Selbstorganisation und der Morphogenese, Aspekte der Fortbewegung in Technik und Biologie (hier lernt man auch etwas über frühe Ansätze, so die des britischen Photographen Eadweard Muybridge und des französischen Erfinders und Physiologen Étienne-Jules Marey) und über ökologisches Konstruieren.

Das Literaturverzeichnis ist mit rund 130 Zitaten eher bescheiden angesichts der ungeheuren Vielfalt verfügbarer Daten. Von wenigen, reichlich schlecht reproduzierten Photos abgesehen ist das Buch nur mit einer geringen Zahl von Strichzeichnungen bebildert. Der Index ist ausgesprochen dürftig.

Alles in allem könnte einem das Buch schon gefallen, wenn nur die vielen Schrägheiten nicht wären! Zwei Beispiele: Daß die Gebrüder Wright sich die Flügelenden von Vögeln angeschaut haben, ist verbürgt, daß sie danach aber Stabilisatoren gebaut hätten, mit denen ein Geier „bei geringen Geschwindigkeiten Turbulenzen verringert“, das kann nicht gut sein, denn die freien Handschwingen beeinflussen alles mögliche (zum Beispiel die Druckausgleichsströmung von der Druck- zur Saugseite), nur nicht dieses. Oder: „Untersucht man den Energieverbrauch bei der Fortbewegung (Verbrauch der Kalorien mal zurückgelegte Entfernung mal Zeit) …“: Die Kalorien alleine sind schon die Maßeinheit der Energie!

Ich habe in dem Buch auch Engagement gespürt, nehme der Autorin ab, daß sie das alles begeistert (mich begeistert es auch), und bescheinige ihr eine beachtliche journalistische Leistung. Man erfährt viel, muß es aber Zeile für Zeile durch den Filter einer sehr mißtrauischen Lesehaltung schicken. Das Ganze ist weder technisch noch biologisch sonderlich fundiert. Aber auch nicht falsch: Die Darstellung hält sich noch diesseits der Grenze des Erträglichen. Warum sind sich die Journalisten regelmäßig zu gut, ihre Artikel oder Buchkapitel einmal von den zuständigen Spezialisten überfliegen zu lassen?

„Wie Natur die Technik inspiriert“: Was die Philosophie hinter diesem Vergleich ist, wo die Bionik ihre Berechtigung hat und wo ihre Grenzen – das erfährt man in diesem Buch nicht so recht. Trotzdem ist es ein wichtiger Meilenstein auf dem Wege zur Verankerung der bionischen Denkweise in der Gesellschaft.

Claus Mattheck sieht das Ganze lockerer und hält in seinem Vorwort die Hoffnung hoch, „daß es uns gelingt, die Technik durch ökologisches Konstruieren zu einem Teil der Natur zu machen“. Er schreibt: „Es ist ein kurzweiliges Buch, das den Blick schärft“ – und das ist es nun wirklich.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1998, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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