Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Soziale Wahrnehmung: Der erste Eindruck

Innerhalb von Sekunden bilden wir uns ein Urteil über eine Person, das überwiegend auf Faustregeln und Erfahrungswerten basiert. Richtig ist diese erste Einschätzung selten – doch sie beeinflusst unser Verhalten.
Händedruck zur Begrüßung

Das ganze Dorf ist in Aufruhr: Ein Fremder betrat gerade die Schenke! In Windeseile verbreitet sich die Nachricht, und an diesem Abend kann sich der Wirt über ungewöhnlich viele Gäste freuen. Fast jeder ist gekommen, um den Unbekannten zu beäugen. Es wird getuschelt und gemunkelt, so laut, dass der Neuankömmling es kaum überhören kann.

So oder so ähnlich war es früher – normalerweise war man umringt von bekannten Gesichtern; Fremde waren die Ausnahme. Ganz anders heutzutage. Die meisten Menschen treffen schon auf dem Weg zur Arbeit auf viele Unbekannte. Und so geht es den ganzen Tag weiter, ob man nun als Verkäufer seine Kunden ­einschätzen muss oder in einem Bewerbungsgespräch selbst einen guten Eindruck machen will.

Andere Menschen blitzschnell beurteilen zu können, ist heute wichtiger denn je. Innerhalb weniger Sekunden müssen wir oft entscheiden, mit wem wir überhaupt in Kontakt treten wollen oder wie wir mit einem Fremden umgehen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, nutzen wir oft oberflächliche Hinweise, weiß Alexander Todorov, Professor für Psychologie an der Princeton University: »In den ersten Eindruck fließen vor allem Merkmale des Gesichts, aber auch der Kleidung, der Körperhaltung oder aus dem Umfeld eines Fremden ein.«

2010 zeigten Todorov und seine Kollegen Studenten Bilder von Gesichtern, welche diese spontan als »vertrauenswürdig« oder »nicht vertrauenswürdig« klassifizieren sollten. Die Wissenschaftler hatten die Gesichtszüge mit Hilfe eines aus Einschätzungen anderer Probanden entwickelten Computermodells so manipuliert, dass sie deutlich in eine der beiden Kategorien passten. Dafür variierte zum Beispiel die Höhe der Augenbrauen oder der Mundwinkel. So wirken Menschen mit niedrigeren Brauen eher ärgerlich, was im Betrachter Misstrauen weckt. Runde Konturen vermitteln dagegen einen vertrauenswürdigen Eindruck. Manche Gesichter waren in der Studie jedoch aus einer oberen Hälfte und einer unteren Hälfte zusammengesetzt, die jeweils zu entgegengesetzten Kategorien gehörten. Die Studenten sollten sich bei ihrem Urteil entweder auf den oberen oder den unteren Bereich des Gesichts konzentrieren ...

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Verbrechen: Die Psychologie des Bösen

Warum faszinieren wahre Verbrechen? True Crime ist ein Spiegel unserer psychologischen Neugier: Was macht Menschen zu Tätern – und wie gelingt es Ermittlern, die Wahrheit ans Licht zu bringen? In dieser Ausgabe geht es um die Kräfte, die Menschen in den Abgrund treiben oder zurückholen. Wir zeigen, warum Rache selten Frieden bringt, wie gefährliche Häftlinge in Sicherungsverwahrung leben, was das Stockholm-Syndrom über Überlebensstrategien verrät und mehr.

Gehirn&Geist – Selbstüberschätzung: Wie Unwissenheit zu falschem Selbstvertrauen führt

Laut dem Dunning-Kruger-Effekt führt Unwissenheit zur Selbstüberschätzung, weil die Kompetenz fehlt, seine Grenzen zu erkennen. Andere Fachleute bezweifeln die psychologische Erklärung, manche halten den Effekt sogar für ein reines statistisches Artefakt. Ist dem wirklich so? Daneben geht David Dunning im Interview auf seine Studien über Selbstüberschätzung, Wunschdenken und leichtfertiges Vertrauen ein. Darüber hinaus erfahren Sie in dieser Ausgabe, wie künstliche Intelligenz die Analyse von Hirnaktivitäten auf ein neues Niveau hebt und damit neue Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Gehirns ermöglicht. Lähmungen oder Zittern ohne erkennbare Ursache galten lange als rätselhaft, doch langsam werden funktionelle Bewegungsstörungen immer besser verstanden und wirksame Therapien entwickelt. Im Rahmen der Serie »Die Sprache der Wale« stellen wir die komplexe Sprache der Delfine und Wale vor und wie diese mit künstlicher Intelligenz entschlüsselt wird. Zudem berichtet der Biologe Lars Chittka über seine Forschungen an Bienen und andere Insekten, die weitaus komplexere kognitive Fähigkeiten besitzen als bislang gedacht.

Spektrum - Die Woche – Wer inkompetent ist, überschätzt sich gern

Wer in Tübingen lebt, kommt kaum am Stocherkahn vorbei – charmant wie eine Gondel, aber mit Muskelkraft betrieben. Was einfach aussieht, entpuppt sich als schweißtreibend. Warum wir uns oft überschätzen und was der Dunning-Kruger-Effekt wirklich erklärt, lesen Sie in unserer Titelgeschichte.

  • Quellen

Devine, P. G. et al.: Long-term reduction in implicit race bias: A prejudice habit-breaking intervention. Journal of Experimental Social Psychology 48, 2012

Eberhardt, J. L. et al.: Looking deathworthy: perceived stereotypicality of black defendants predicts capital-sentencing outcome. Psychological Science 17, 2006

FeldmanHall, O. et al.: Stimulus generalization as a mechanism for learning to trust. PNAS 115, 2018

Forscher, P. S. et al.: Breaking the prejudice habit: Mechanisms, timecourse, and longevity. Journal of Experimental Social Psychology 72, 2017

Livingston, R. W., Pearce, N. A.: The teddy-bear effect: Does having a baby face benefit black chief executive officers?Psychological Science 20, 2009

Lopez, R. B. et al.: Media multitasking is associated with altered processing of incidental, irrelevant cues during person perception. BMC Psychology 6, 2018

Stolier, R. M. et al.: The conceptual structure of face impressions. PNAS 115, 2018

Todorov, A. et al.: Social attributions from faces: Determinants, consequences, accuracy, and functional significance. Annual Review of Psychology 66, 2015

Todorov, A. et al.: The obligatory nature of holistic processing of faces in social judgments. Perception 39, 2010

Zebrowitz, L. A.: First impressions from faces. Current Directions in Psychological Science 26, 2017

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.