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Der Nachhall des Urknalls

Winzige Unregelmäßigkeiten in der kosmischen Hintergrundstrahlung könnten Spuren von Gravitationswellen sein, die das Universum kurz nach dem Urknall erschütterten. In naher Zukunft sollen speziell dafür konstruierte Satelliten-Sonden nach solchen Spuren suchen.


Die Kosmologen stellen heute im-mer noch dieselben Fragen, die bereits die ersten Beobachter des Himmels in der Antike aufwarfen: Woher stammt das Universum? Was – wenn überhaupt – gab es vor seinem Beginn? Wie erlangte das Universum seinen gegenwärtigen Zustand? Wie sieht seine Zukunft aus?

Obwohl Theoretiker lange über den Ursprung des Weltalls nachgedacht haben, war ihnen bis vor kurzem jede Möglichkeit verschlossen, die ersten Augenblicke des Universums direkt zu untersuchen und so ihre Hypothesen zu testen. In den vergangenen Jahren stießen Forscher jedoch auf eine Methode, das Universum so zu beobachten, wie es in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall war. Die Suche gilt dabei bestimmten Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung.

Bei dieser Strahlung handelt es sich um ein elektromagnetisches "Echo" aus der heißen Phase des frühen Kosmos; seit fast 15 Milliarden Jahren durchdringt es das Universum, inzwischen in stark abgekühlter Form. Da sie im Bereich der Mikrowellen am stärksten auftritt, sprechen Forscher oft auch von der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung.

Die kosmische Hintergrundstrahlung wurde etwa 500000 Jahre nach dem Urknall erzeugt, als das Universum noch vom kosmischen Urplasma, einem heißen, dichten Gemisch subatomarer Teilchen, erfüllt war. Zu dieser Zeit fanden sich die Elektronen und Protonen in diesem "primordialen" Plasma zusammen, um neutrale Wasserstoffatome zu bilden. Das kosmische Gas wurde daraufhin für die Strahlung durchsichtig. Seither durcheilt diese elektromagnetische Strahlung ungehindert das All und trägt damit noch immer die Information über ihre Entstehung, vor allem über die Verteilung des Urgases zu jener Zeit.

Damit überliefert die Hintergrundstrahlung eine Momentaufnahme des Universums von diesem Zeitpunkt. Mit der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung im Jahre 1965 hielten die Forscher sozusagen den Rosetta-Stein der modernen Kosmologie in der Hand. Sie stellten fest, dass

- diese Strahlung die Erde aus allen Richtungen des Himmels erreicht, also das ganze All gleichmäßig durchdringt;

- das Strahlungsspektrum dem eines idealen "schwarzen Körpers" gleicht, dessen Temperatur bei 2,7 Kelvin liegt – nur knapp drei Grad über dem absoluten Nullpunkt;

- die Temperatur der Hintergrundstrahlung in jeder Richtung des Himmels – innerhalb der damaligen Messgrenzen – den gleichen Wert hat. Mit anderen Worten: Die kosmische Hintergrundstrahlung erscheint "isotrop", also "in allen Richtungen gleich".

Aus dieser bemerkenswerten Beobachtung folgte unmittelbar, dass auch das Urplasma im frühen Universum selbst besonders gleichförmig verteilt gewesen sein musste; jede größere Schwankung der Materiedichte hätte sich sonst auch als Temperaturschwankung der Hintergrundstrahlung bemerkbar gemacht.

Anfang der neunziger Jahre jedoch entdeckte der Satellit Cobe (Cosmic Background Explorer) dennoch minimale Variationen in der Strahlungstemperatur, und zwar im Bereich von 0,001 Prozent. Diese winzigen Unterschiede zwischen verschiedenen Himmelsrichtungen lieferten Hinweise auf ebenso geringe Verdichtungen und Verdünnungen im Urplasma. Aus diesen Fluktuationen der Materieverteilung entwickelten sich später großräumige kosmische Strukturen: die Galaxien und Galaxienhaufen, die wir heute sehen.

Ende der neunziger Jahre wurde die kosmische Hintergrundstrahlung mit Detektoren auf der Erde und auf Ballons mit viel feinerer Winkelauflösung als mit Cobe vermessen. Dabei offenbarten sich Strukturen im primordialen Plasma, die am Himmel weniger als ein Grad auseinander liegen. Zum Vergleich: Der Mond hat etwa einen Durchmesser von einem halben Grad am Himmel. Verteilung und Muster dieser Strukturen legten nahe, dass die Geometrie des Universums flach ist (siehe auch "Das neue Bild vom Kosmos", Spektrum der Wissenschaft 3/1999, Seite 38).

Diese Beobachtungen sind auch mit der so genannten Inflationstheorie verträglich. Sie besagt, dass direkt nach dem Urknall eine Phase außerordentlich schneller Expansion stattgefunden haben muss; durch die fast ruckartige und gewaltige Aufblähung über viele Größenordnungen hätte das Universum seine flache Geometrie angenommen. In diesem Jahr plant die Nasa, den Satelliten Map (Microwave Anisotropy Probe) zu starten. Mit diesem Himmelsspäher wollen die Kosmologen die Präzisionsvermessung der kosmischen Hintergrundstrahlung auf den ganzen Himmel ausdehnen.

Der Planck-Satellit der europäischen Raumfahrtbehörde Esa soll ab dem Jahre 2007 eine noch genauere Durchmusterung der kosmischen Hintergrundstrahlung durchführen. Kosmologen erwarten, dass diese Daten eine fast unermessliche Fülle neuer Informationen über das frühe Universum zutage fördern werden. Insbesondere hoffen sie, damit endlich direkte Anzeichen für die Inflationsphase aufspüren zu können. Das wichtigste Indiz wäre die Beobachtung von Gravitationswellen, die der Kosmos während dieser kurzen Zeitspanne erzeugte: so genannte inflationäre Gravitationswellen. Im Jahr 1918 behauptete Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen als Konsequenz seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie ähneln den elektromagnetischen Wellen – sichtbarem Licht, Radiowellen oder Röntgenstrahlen –, das heißt lichtschnell wandernden Störungen des elektromagnetischen Feldes: Gravitationswellen sind Störungen des Schwerefeldes, die sich gleichfalls mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten.

Wie Licht- oder Radiowellen können auch Gravitationswellen Energie und Information transportieren, die sie ihrer Quelle entziehen. Mehr noch, Gravitationswellen können ungehindert Materie durchdringen, die keinerlei elektromagnetische Strahlung passieren ließe. So wie Mediziner mit Röntgenstrahlen durch Substanzen blicken können, die für sichtbares Licht undurchlässig sind, sollten die Gravitationswellen den Forschern astrophysikalische Phänomene offenbaren, die sonst unbeobachtbar wären. Obwohl der direkte Nachweis von Gravitationswellen bisher noch nicht gelungen ist, weisen astronomische Beobachtungen darauf hin, dass Paare kompakter Himmelskörper – Neutronensterne oder Schwarze Löcher – Gravitationswellen abstrahlen (siehe "Jagd auf Gravitationswellen", Spektrum der Wissenschaft 12/2000, Seite 48).

Das Urplasma, welches das Universum während seiner ersten 500000 Jahre erfüllte, war für elektromagnetische Strahlung zunächst undurchlässig; denn jedes ausgesandte Photon wurde in dem heißen Urgebräu subatomarer Elementarteilchen sofort gestreut. Deshalb können Astronomen auch keinerlei elektromagnetische Signale beobachten, die aus der Zeit vor der Entstehung der kosmischen Hintergrundstrahlung stammen.

Im Gegensatz dazu konnten sich Gravitationswellen durch das Plasma frei fortpflanzen. Die Inflationstheorie besagt, dass die explosive Expansion des Universums 10E-38 Sekunden nach dem Urknall eben jene "inflationären" Gravitationswellen erzeugt hat. Wenn diese Theorie zutrifft, dann müssten die Echos dieser Wellen 500000 Jahre später in der kosmischen Hintergrundstrahlung winzige Irregularitäten hinterlassen haben. Deren Spuren sollen nun mit den empfindlichen Sensoren der Satelliten Map und Planck aufgespürt werden.

Wie die kosmische Inflation Gravitationswellen erzeugt haben könnte, erklärt sich durch eine der faszinierendsten Aussagen der Quantenmechanik: Der leere Raum – das "Vakuum" – ist in Wahrheit gar nicht leer. Im Vakuum werden ständig so genannte virtuelle Paare von Elementarteilchen erzeugt und wieder vernichtet – jeweils ein Teilchen und ein Antiteilchen. Nach Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation können solche Teilchenpaare (mit der Energie DE) laufend entstehen und wieder vergehen, indem sie sich selbst wieder vernichten. Zwischendurch können sie (für eine extrem kurze Zeit Dt) real existieren.

Dabei gilt folgende Einschränkung: Das Produkt DE¥Dt ist stets kleiner oder gleich der Konstanten h/4p (h = 6,626 ¥ 10E-34 Joulesekunden ist das Plancksche Wirkungsquantum). Je größer also die Energie oder die Masse der virtuellen Teilchenpaare, desto kürzer ihre maximale Lebensdauer. Man braucht aber nicht zu befürchten, dass plötzlich aus dem leeren Raum virtuelle Äpfel oder Bananen auftauchen. Heisenbergs Formel gilt nur für Elementarteilchen und spielt für makroskopische Körper keine Rolle.

Ein solches Elementarteilchen ist das Graviton. Dieses Partikel bildet die kleinste Quanteneinheit von Gravitationswellen – ähnlich wie das Photon bei elektromagnetischen Wellen. Auch Paare virtueller Gravitonen entstehen und vergehen ständig im Gravitationsvakuum des Weltraums. Während der inflationären Expansionsphase sind die meisten virtuellen Gravitonen jedoch so schnell auseinandergerissen worden, dass sie sich nicht gleich wieder gegenseitig vernichten konnten. Deshalb wandelten sich viel mehr virtuelle Teilchen in reale Teilchen um als nach der Inflationsphase. Außerdem dehnte die rapide Expansion des jungen Kosmos die Wellenlänge der Gravitonen von mikroskopischen auf makroskopische Größenordnungen aus.

Auf diese Weise pumpte die kosmische Inflation Energie in die Erzeugung von Gravitonen und produzierte ein Spektrum von Gravitationswellen, das bis heute die Bedingungen in jenen ersten Momenten des Urknalls widerspiegelt. Wenn inflationäre Gravitationswellen tatsächlich existieren, sind sie die ältesten Überbleibsel im Universum – entstanden 500000 Jahre vor Entstehung der kosmischen Hintergrundstrahlung.

Während die kosmische Hintergrundstrahlung am stärksten im Wellenlängenbereich zwischen 1 und 5 Millimetern empfangen wird (mit einem Intensitätsmaximum bei 2 Millimetern), erstrecken sich die Wellenlängen der inflationären Gravitationswellen über einen viel weiteren Bereich: von einem Zentimeter bis zu 10E23 Kilometern, der Größe des heute beobachtbaren Universums. Mit Hilfe der Inflationstheorie konnten die Theoretiker folgende Eigenschaften dieser Wellen voraussagen:

- Die inflationären Gravitationswellen mit den größten Wellenlängen sind zugleich auch die intensivsten.

- Ihre Intensität hängt von der Expansionsrate des Universums während der Inflation ab. Diese Rate wird bestimmt von der kosmischen Energie am Beginn der Inflation und damit von der Temperatur des Universums zu jenem Zeitpunkt.

- Weil das Universum früher heißer war, hängt die Intensität der Gravitationswellen letztlich von dem Zeitpunkt ab, an dem die Inflation einsetzte.

Unglücklicherweise können die Kosmologen diesen Zeitpunkt selbst nicht genau berechnen. Denn die physikalische Ursache der Inflation ist vorläufig unbekannt. Einige Physiker stellten die Theorie auf, dass die Inflation einsetzte, als sich kurz nach der Entstehung des Universums drei der vier fundamentalen Wechselwirkungen voneinander entkoppelten: die starke, die schwache und die elektromagnetische Kraft. Nach dieser Theorie bildeten die drei Kräfte vorher eine einheitliche Urkraft, die sich 10E-38 Sekunden nach dem Urknall aufspaltete. Dieses Ereignis hätte demnach irgendwie die plötzliche Expansion des Kosmos ausgelöst.

Gravitationswellen-Detektoren


Dieser Theorie zufolge hätte die Inflation bei typischen Energien von 1015 bis 1016 GeV eingesetzt. (Ein GeV oder Gigaelektronenvolt ist die Energie, die ein Elektron aufnimmt, wenn es mit einer Spannung von einer Milliarde Volt beschleunigt wird. Die größten Teilchenbeschleuniger erreichen heutzutage Energien von 10E3 GeV.) – Andererseits: Wäre die Inflation des Kosmos durch ein anderes physikalisches Phänomen etwa zu einem späteren Zeitpunkt ausgelöst worden, so hätten diese Gravitationswellen dementsprechend weniger Energie mitbekommen.

Nach ihrer Erzeugung im ersten Sekundenbruchteil des Urknalls pflanzen sich die inflationären Gravitationswellen für alle Zeiten durch das All fort. Sie sollten also noch heute das Universum durchwandern. Aber wie können Kosmologen diese extrem schwachen und extrem langwelligen Signale beobachten? Dazu erinnern wir uns, wie ein gewöhnlicher Radioempfänger ein Signal empfängt: Radiowellen bestehen aus oszillierenden elektrischen und magnetischen Feldern, welche die Elektronen in der Antenne des Empfängers zum Hin- und Herschwingen anregen. Diese Bewegung der Elektronen erzeugt den Strom, den der Radioempfänger aufnimmt.

Auf die gleiche Weise erzeugt eine Gravitationswelle ein oszillierendes Dehnen und Kontrahieren des Raumes, durch den sie sich bewegt. Diese Oszillationen versetzen nach Einsteins Relativitätstheorie frei schwebende Testteilchen in winzige Erschütterungen. In den späten fünfziger Jahren versuchte Hermann Bondi, skeptische Kollegen von der physikalischen Realität solcher Wellen zu überzeugen. Der Physiker vom King’s College in London beschrieb, wie ein hypothetischer Empfänger für Gravitationswellen funktionieren könnte. Bondis idealisierter Apparat bestand aus einem Paar von Ringen, die frei beweglich an einem langen, festen Balken hingen. Eine einlaufende Gravitationswelle der Amplitude h und der Frequenz f staucht und dehnt die Strecke L zwischen den beiden Ringen mit der Frequenz f, und zwar um den Betrag h ¥ L. Die Ringe reiben dabei am Balken – und diese Reibungswärme zeigt an, dass die Gravitationswelle Energie transportiert.

Gegenwärtig bauen Wissenschaftler komplizierte Gravitationswellen-Detektoren (Spektrum der Wissenschaft 12/2000, S. 48). Mittels Laserstrahlen sollen die winzigen Bewegungen von hängenden Spiegeln als Testmassen aufgespürt werden. Die Entfernung zwischen den Spiegeln legt den Wellenlängenbereich fest, den diese Experimente registrieren können: je größer, desto breitbandiger. Der größte dieser Detektoren – mit vier Kilometern Entfernung zwischen den Spiegeln – wird in der Lage sein, Gravitationswellen mit Wellenlängen von 30 bis 30000 Kilometern einzufangen.

Ein weiteres von der Nasa geplantes Weltraum-Observatorium soll noch tausendmal größere Wellenlängen registrieren, etwa von Gravitationswellen, die bei der Kollision von Neutronensternen oder beim Zusammenstoß Schwarzer Löcher entstehen. Aber die inflationären Gravitationswellen sind in diesem Wellenlängenbereich viel zu schwach, um in solchen Detektoren direkt messbare Signale zu erzeugen.

Die stärksten der inflationären Gravitationswellen sind, wie erwähnt, die mit den längsten Wellenlängen – vergleichbar dem Durchmesser des sichtbaren Universums. Um sie nachzuweisen, müssen die Forscher eine Anordnung von frei schwebenden Testmassen beobachten, die ähnlich weit voneinander entfernt sind. Zum Glück stellt uns die Natur eine solche Anordnung zur Verfügung: das kosmische Urplasma, von dem einst die kosmische Hintergrundstrahlung ausging.

Während der 500000 Jahre zwischen dem Zeitpunkt der Inflation und der Emission der kosmischen Hintergrundstrahlung durcheilten die extrem langen inflationären Gravitationswellen das frühe Universum und dehnten und stauchten dabei abwechselnd das Plasma. Forscher können diese Oszillationen heutzutage beobachten, indem sie in der kosmischen Hintergrundstrahlung nach winzigen so genannten Doppler-Verschiebungen suchen. Durch den Doppler-Effekt werden die von einem Sender, der sich auf uns zu bewegt, ausgehenden Wellen verkürzt ("bläulicher"), und bei einem Sender, der sich von uns entfernt, verlängert ("rötlicher").

Wenn zu der Zeit, als die kosmische Hintergrundstrahlung emittiert wurde, eine Gravitationswelle eine Region des Plasmas in unsere Richtung – das heißt in Richtung des Teils des Universums, aus dem später unsere Milchstraße wurde – gedehnt hat, so wird die Strahlung aus dieser Region bläulicher erscheinen; denn sie wurde zu kürzeren Wellenlängen (und damit höherer Temperatur) verschoben. Wenn hingegen eine Gravitationswelle damals eine Plasmaregion von uns weg bewegte, wird uns die Hintergrundstrahlung von dort heute rötlicher erscheinen; denn sie wurde zu längeren Wellenlängen (und damit tieferer Temperatur) verschoben.

Solche blauen und roten Stellen in der kosmischen Hintergrundstrahlung, die mit wärmerer und kälterer Strahlung zusammenhängen, würden Plasmabewegungen offenbaren, die von inflationären Gravitationswellen stammen. Das gesamte Universum selbst würde dabei als Gravitationswellendetektor dienen.

Doch die Umsetzung dieser Idee ist nicht so einfach. Denn auch die Dichteschwankungen im frühen Universum verursachten Temperaturunterschiede in der kosmischen Hintergrundstrahlung. So sind zwei konkurrierende Effekte am Werk: Das Gravitationsfeld etwa der dichteren Plasmaregionen verschob die von dort stammenden Photonen nach rot, was für einen Teil der von Cobe beobachteten Temperaturfluktuationen verantwortlich ist. Wenn die Kosmologen allein auf die Temperaturunterschiede der Hintergrundstrahlung schauen, können sie also nicht unmittelbar sagen, welcher Anteil von inflationären Gravitationswellen stammt.

Verräterische Polarisationsmuster


Zumindest eines steht fest: Dieser Anteil kann nicht größer sein als die Fluktuationen, die mit Cobe und anderen Detektoren beobachtet wurden. Allein diese Tatsache liefert eine interessante Schranke für das physikalische Phänomen, das die Ursache für die Inflation war: Die Inflationsenergie muss, so läßt sich berechnen, geringer als 10E16 GeV gewesen sein. Schon deshalb kann die inflationäre Phase nicht früher als 10E-38 Sekunden nach dem Urknall eingetreten sein.

Aber wie kommen die Kosmologen nun weiter? Wie können sie die Unsicherheit über den Ursprung der Temperaturdifferenzen umgehen? Die Antwort steckt in der Polarisation der Hintergrundstrahlung. Wird ein Lichtstrahl von einer Oberfläche um fast 90 Grad gestreut, so wird er dabei "linear polarisiert": Die Wellen schwingen nur mehr in einer bestimmten Ebene. Das ist der Effekt, den polarisierte Sonnenbrillen ausnutzen: Weil das vom Boden gestreute Licht typischerweise horizontal polarisiert ist, reduzieren die Filter in diesen Gläsern das Blenden, indem sie Lichtwellen mit horizontaler Schwingungsebene absorbieren.

Auch die kosmische Hintergrundstrahlung ist teilweise polarisiert. Kurz bevor das frühe Universum für Strahlung durchlässig wurde, streuten die Photonen der Hintergrundstrahlung ein letztes Mal an den Plasma-Elektronen. Einige Photonen wurden stark gestreut und dadurch polarisiert.

Dieser Effekt liefert den Forschern einen Schlüssel zum Nachweis der inflationären Gravitationswellen: Die von solchen Wellen verursachten Plasmabewegungen erzeugen ein anderes Polarisationsmuster als die Dichteschwankungen. Die Idee ist eigentlich recht einfach. Die lineare Polarisation der Hintergrundstrahlung lässt sich durch kurze Striche darstellen, welche die Polarisationsrichtung in der jeweiligen Himmelsregion angeben. Diese Striche sind manchmal in ringförmigen oder in radialen Mustern angeordnet. Die Striche können auch rotierende Wirbel bilden, die sich rechts- oder linkshändig – im Uhrzeigersinn oder gegen ihn – zu drehen scheinen.

Der Drehsinn dieser Muster verrät ihren Ursprung. Die Dichteschwankungen des Urplasmas konnten solche Polarisationsmuster nicht erzeugen, denn dichte oder dünne Plasmaregionen haben keine rechts- oder linkshändige Orientierung. Gravitationswellen dagegen zeigen eine bestimmte Händigkeit: Sie pflanzen sich in einer entweder rechts- oder linksdrehenden Schraubenbewegung fort. Das von Gravitationswellen erzeugte Polarisationsmuster sieht aus wie eine zufällige Überlagerung vieler verschieden großer rotierender Wirbel. Diese Muster haben also einen Drehsinn, die von Masseninhomogenitäten verursachten Muster nicht.

Nicht einmal das schärfste Auge vermag in dem Polarisationsdiagramm auf Seite 53 Muster mit Drehsinn zu entdecken. Aber eine so genannte Fourier-Analyse (ein mathematisches Verfahren, das ein Bild in eine Reihe von Wellenformen auflöst) kann ein Polarisationsmuster in Bestandteile mit und ohne Drehsinn auflösen. Gelingt es den Kosmologen, die Polarisation der Hintergrundstrahlung zu messen und den Anteil der Muster mit Drehsinn zu bestimmen, dann können sie damit auch die Amplitude der extrem langen inflationären Gravitationswellen berechnen. Weil die Amplitude durch die Energie der Inflation bestimmt wurde, lässt sich daraus die Größenordnung dieser Energie direkt ableiten. Das Resultat würde die Frage klären, ob die Inflation durch das Entkoppeln der vereinigten Fundamentalkräfte ausgelöst wurde.

Wie gut sind die Aussichten, solche Drehmuster zu entdecken? Der Nasa-Satellit Map sowie andere Experimente auf der Erde und auf Ballons könnten vielleicht zum allerersten Mal die Polarisation der kosmischen Hintergrundstrahlung nachweisen. Aber die Instrumente sind wohl noch nicht empfindlich genug, um die von inflationären Gravitationswellen verursachte Drehkomponente aufzuspüren. Erst spätere Experimente dürften diesem Ziel näher kommen.

Falls die Inflation tatsächlich durch die Entkopplung von drei Urkräften ausgelöst wurde, ist ihr Gravitationswellen-Echo möglicherweise stark genug, um vom geplanten Satelliten Planck entdeckt zu werden. Aber wenn die Inflation durch einen anderen Prozess später und damit bei geringeren kosmischen Energien stattfand, wären die Gravitationswellen viel zu schwach, um sie in absehbarer Zukunft entdecken zu können.

Noch sind sich die Forscher über den Ursprung der kosmischen Inflationsphase nicht sicher. So können sie auch die Stärke des Polarisationssignals in der Hintergrundstrahlung, das auf inflationäre Gravitationswellen zurückgeht, nicht definitiv vorhersagen. Aber wenn es nur eine kleine Chance gäbe, dieses Signal zu beobachten, wäre das die Mühe wert. Seine Entdeckung würde nicht nur unstrittige Beweise für die Inflation liefern, sondern auch einen Blick in die frühesten Zeiten unseres Universums ermöglichen – nämlich in die ersten 10–38 Sekunden nach dem Urknall. Dann könnten wir uns der größten Frage überhaupt zuwenden: Wo kommt das Universum eigentlich her?

Literaturhinweise


First Space-Based Gravitational-Wave Detectors. Von Robert R. Caldwell, Marc Kamionkowski und Leven Wadley in: Physical Review D, Bd. 59, S. 27101 (1999).


Map – ein kosmischer Kartograph


In diesem Sommer will die Nasa die 4 Meter hohe, 830 Kilogramm schwere Sonde Map (Microwave Anisotropy Probe) starten. Bis zum Herbst wird der Satellit in seine vorgesehene Umlaufbahn um die Sonne gebracht – 1,5 Millionen Kilometer jenseits der Erdumlaufbahn. Danach soll er zwei Jahre lang die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung über den gesamten Himmel hinweg vermessen.

Map ist eigens dafür entwickelt worden, winzige Variationen in der Temperatur des Strahlungshintergrunds aufzuspüren – Unterschiede von nur 20 Millionstel Kelvin an Stellen, die am Himmel nicht größer sind als 0,23 Grad. Darum werden die Map-Ergebnisse viel detailreicher sein als die bisher beste Karte des Himmelshintergrunds, die in den frühen neunziger Jahren mit Cobe (Cosmic Background Explorer) erzielt wurde und nur sieben Grad Winkelauflösung hat. Map benutzt zwei Mikrowellen-Teleskope, die Rücken an Rücken angebracht sind, um die aus ent-gegengesetzten Richtungen eintreffende Strahlung (im Bild als rötliche Diagonale angedeutet) aufzufangen, in fünf Frequenzbändern zwischen 22 und 90 Gigahertz zu analysieren und auf winzige Temperaturunterschiede zu prüfen. Die Abschirmung auf der Rückseite der Solarzellen (orange) soll verhindern, dass Streulicht von Sonne, Erde oder Mond in die Instrumente eindringt. Da der Satellit sich einmal alle zwei Minuten um die eigene Achse dreht und einmal pro Stunde um die Präzessionsachse präzediert, wird mit der Zeit der gesamte Himmel überstrichen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 50
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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