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»Der Schulenstreit ist längst überholt«

Der Tiefenpsychologe Bernhard Strauß und der Verhaltenstherapeut Wolfgang Lutz sprechen über Rivalitäten zwischen Therapieschulen, veraltete Klischees und neue Behandlungsansätze, die Hoffnung machen.

Herr Professor Strauß, was macht die psychodynamischen Verfahren – also die analytische Psy­chotherapie und die ­tiefenpsychologisch ­fundierte Psychotherapie – aus?

Strauß: Die analytische Psychotherapie entspricht noch stärker der klassischen Psychoanalyse, die Sigmund Freud entwickelt hat. Der Patient oder die Patientin liegt dabei auf der Couch – und das zwei- bis viermal pro Woche über mehrere Jahre. Die Idee dahinter ist, dass man dadurch einen intensiven Prozess anstößt, bei dem der Patient seine Selbstkontrolle ein Stück weit ­aufgibt und frei assoziiert. Damit will man unbewusste Konflikte und Mechanismen aufdecken, die die Ursache für aktuelle psychische Probleme darstellen.

Das klingt aufwändig.

Strauß: Aus ökonomischen Gründen wird die analy­tische Psychotherapie vergleichsweise selten eingesetzt. Stattdessen praktizieren viele psychodynamisch orientierte Therapeutinnen und Therapeuten die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Sie geht ebenfalls davon aus, dass unbewusste Konflikte eine wichtige Rolle bei der Entstehung psychischer Störungen spielen, ist jedoch etwas praktikabler. Therapeut und Patient treffen sich einmal die Woche über einen kürzeren Zeitraum. Sie sitzen sich dabei gegenüber. Anders als oft ­angenommen, geht es bei den psychodynamischen Verfahren aber nicht nur um die Bearbeitung unbewusster Konflikte, sondern auch um den Aufbau von »Strukturen«: Psychische Symptome treten unter anderem auf, weil sich bestimmte psychische Funktionen in der Kindheit nicht richtig entwickeln konnten, etwa die ­Fähigkeit, andere Menschen einzuschätzen oder die eigenen Gefühle wahrzunehmen. Diese Defizite versucht man aufzuholen. Stimmt das Klischee, dass es dabei viel um die ­Mutter geht? Strauß: Dass die Mutter – oder der Vater – an allem schuld ist, ist sicher ein Mythos. Frühe Beziehungs­erfahrungen spielen aber bei der Entwicklung der Psyche zweifellos eine wichtige Rolle. Innere Konflikte und Defizite zeigen sich häufig im Zwischenmenschlichen, daher schaut man sich die sozialen Beziehungen genau an – auch die zwischen Behandler und Patient. Wir ­gehen nämlich davon aus, dass sich problematische ­­Beziehungsmuster dort reinszenieren. Dadurch kann der Therapeut ein Gefühl dafür bekommen, wo das ­Problem liegen könnte. Wir sprechen dann von Übertragung und Gegenübertragung.

Die Gehirn&Geist-Serie »Wie Psychotherapie wirkt« im Überblick:

Teil 1: Was wirklich hilft (Gehirn&Geist 4/2022)

Teil 2:»Der Schulenstreit ist längst überholt« (diese Ausgabe)

Teil 3: Nebenwirkungen der Behandlung (Gehirn&Geist 6/2022)

Herr Professor Lutz, was unterscheidet die Verhaltenstherapie von den psychodynamischen Verfahren?

Lutz: Bei den psychodynamischen Verfahren geht es mehr um die motivationale Klärung – also darum, dass Patienten ein Bewusstsein für die frühen Ursprünge und Hintergründe ihrer Probleme entwickeln. Die Verhaltenstherapie setzt den Fokus hingegen stärker auf die Bewältigung von Schwierigkeiten im Hier und Jetzt. Die Kernidee ist, dass psychische Probleme sowie Denk- und Verhaltensmuster erlernt sind und wieder verlernt werden können ...

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