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Der Stein des Lichtes - Elementargeschichte des Phosphors

In mehrfacher Hinsicht ist die Entdeckungsgeschichte des Phosphors bemerkenswert – wissenschaftshistorisch, weil sie eng mit dem Übergang von den metaphysisch-alchemistischen Vorstellungen des Mittelalters zum empirischen Rationalismus der modernen Chemie verbunden ist, und kulturhistorisch, weil sie schlaglichtartig das Denken und Trachten einer ganzen Epoche spiegelt.

So erfolglos die jahrhundertelange Suche nach dem Stein der Weisen zur Umwandlung unedler Metalle in Gold auch blieb, lieferte sie doch elementare Erkenntnisse über die Natur der Stoffe, auf denen schließlich die Wissenschaft der Chemie aufbaute. Meist drang nichts von dem geheimnisvollen Tun der Alchemisten aus den Laboratorien nach draußen; manchmal jedoch erregte ein Ergebnis ihrer Versuche auch Aufsehen unter den Zeitgenossen. Ein Beispiel dafür war die Entdeckung des Phosphors.


Henning Brand und seine Entdeckung

Um das Jahr 1669 bemühte sich ein Hamburger Jünger der "königlichen Kunst" namens Henning Brand um die Herstellung des Steins der Weisen durch Destillation von verfaultem Menschenurin; dabei zeigte sich in der Vorlage (dem Auffanggerät) seiner Retorte plötzlich ein fahlweiß schimmernder Dampf, der zu einer leuchtenden Masse kondensierte. Die Materie sandte ihr eigenartiges Licht aus, ohne erkennbar zu brennen oder zu glühen, und leuchtete sogar unter Wasser einige Zeit. Anstelle des Steins der Weisen hatte Brand einen "Stein des Lichtes" entdeckt (Bild 2).

Über das Leben Brands gibt es nur wenige Informationen. Sein Geburts- und Todesjahr sind unbekannt. Zunächst war er wohl Soldat, vielleicht auch Kaufmann, später gab er sich als Arzt aus und kurierte Kranke, allerdings ohne nähere Fachkenntnis; da er offenbar kein Latein verstand, hatte er wahrscheinlich niemals studiert und schmückte sich zu Unrecht mit einem Doktortitel. Vermutlich hatte er sich als Feldscher bei den Söldnern praktische Kenntnisse in der Wundbehandlung und der Chemiatrie – der Lehre von chemisch erzeugten Medikamenten – erworben.

Seine Heirat mit einer wohlhabenden Witwe minderte seine Finanznöte nur vorübergehend; denn offenbar konnte er das Geld nicht zusammenhalten. So begann er mit alchemistischen Versuchen – in der Hoffnung, durch ein Mittel zur Umwandlung von Silber in Gold jeglicher Geldsorgen ein für allemal enthoben zu sein.

Der Philosoph und Naturforscher Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 bis 1716; Bild 6), dessen Verbindung mit Brand uns noch beschäftigen wird, charakterisierte ihn in einem Brief vom August 1678 an JohannFriedrich, Herzog von BraunschweigLüneburg (1625 bis 1679), folgendermaßen: "Er läßt sich leicht gängeln, hat eine geringe Urteilskraft und führt einen unregelmäßigen Lebenswandel, aber er ist rasch im Handeln und sehr geschickt beim Arbeiten, kurz so, wie man ihn für eine solche Sache [alchemistische Arbeiten] brauchen kann. Ich bemerke oft, daß er sehr viel Lärm um Kleinigkeiten schlägt, aber nicht viel Leben aus Dingen macht, die es verdienen."

Wann Brand seinen Lichtstein genau fand, bleibt in ein gewisses Dunkel gehüllt. Das heute von den meisten Historikern anerkannte Entdeckungsjahr 1669 beruht allein auf der Angabe von Wilhelm Homberg (1652 bis 1715) anläßlich eines Vortrags vor der französischen Akademie der Wissenschaften am 30. April 1692. Offenbar hielt Brand sei-ne Entdeckung zunächst geheim. Möglicherweise hatte er Probleme mit der Wiederholung der Darstellungsprozedur. Vielleicht wollte er auch, weil er den leuchtenden Stoff für eine vielversprechende Vorstufe des von ihm eigentlich gesuchten Steins der Weisen hielt, seine Kollegen nicht auf eine aussichtsreiche Fährte aufmerksam machen. Jedenfalls weihte er nur einige enge Freunde ein, verriet über sein Verfahren gar nichts und arbeitete weiter.


Der Weltgeist und das Licht

Der Name Phosphor taucht zunächst in Verbindung mit einem anderen leuchtenden Stoff auf: dem "Phosphorus Hermeticus Balduini", benannt nach Christoph Adolph Baldewein (latinisiert "Balduinus"), einem Amtmann zu Großenhain in Sachsen, der sich nebenher als Alchemist betätigte, und dem Patron der Zunft, dem griechischen Götterboten Hermes. Zusammen mit einem Arzt namens Früben hatte Baldewein angeblich ein Verfahren entdeckt, um den "Weltgeist" zu isolieren. Unter diesem spiritus mundi wurde ein astrales Agens (also ein Sternenstoff) verstanden, das durch Wechselwirkung mit irdischer Materie Metalle erzeugen und eventuell auch bei der Bereitung des Steins der Weisen nützlich sein sollte.

Um es zu gewinnen, versetzten Baldewein und Früben Kreide mit Salpetersäure und dampften die Lösung zur Trockne ein. Der Rückstand (Calciumnitrat) zog aus der Luft Feuchtigkeit an und bilde-te so neuerlich eine Lösung. Das daraus abdestillierte Wasser sollte den spiritus mundi darstellen oder enthalten. Das Calciumnitrat wirkte somit wie ein Magnet, der den Weltgeist anzieht. Die beiden Alchemisten waren großzügig genug, diese wertvolle Substanz gegen ein geringes Entgelt an interessierte Kollegen zu veräußern (ein Lot – ungefähr 15 Gramm – kostete 12 Groschen oder einen halben Taler).

Durch Unachtsamkeit überhitzten sie im Jahre 1674 aber einmal eine Calciumnitrat-Lösung beim Eindampfen, so daß die Retorte zerbrach. Als sie die Scherben samt Inhalt in eine dunkle Ecke des Labors warfen, erschien dort zu ihrer Verblüffung ein schwaches Leuchten. Anscheinend war durch diese unbeabsichtigte Prozedur etwas noch Subtileres als der (wäßrige) Weltgeist eingefangen worden: Die geglühte Substanz zog sogar das Licht an. Nach einiger Zeit verschwand das Leuchten, trat aber erneut auf, wenn man den Stoff wiederum der Sonne aussetzte.

Dies war eine erstaunliche Entdeckung, und Baldewein sorgte dafür, daß die Welt davon Notiz nahm. Er führte seinen "Phosphorus", wie er ihn nach dem griechischen Wort für Lichtträger (und der Bezeichnung für den Morgenstern) nannte, etlichen hochgestellten Persönlichkeiten vor und kam schließlich auch zu dem Alchemisten und Glasmacher Johann Kunckel (um 1631 bis 1703), der damals am Hofe des Kurfürsten Johann Georg II. von Sachsen wirkte und als Erfinder des Goldrubinglases bekannt ist (Bild 3). Kunckel war von den Eigenschaften dieser Leuchtsubstanz fasziniert und bemühte sich, hinter das Geheimnis der Herstellung zu kommen. Baldewein zeigte sich jedoch wenig auskunftsfreudig.

Immerhin kannte Kunckel das Fabrikationsverfahren für den Baldeweinschen Weltgeist und nahm an, der neue Stoff müsse mit jener Prozedur in enger Verbindung stehen. Er besuchte Baldewein und entwendete während einer Vorführung unbemerkt ein kleines Stück Leuchtstein, das er in seinem Mund versteckte. Durch Boten sandte er seinem Laboranten Tutzky in Dresden den Auftrag, Kreide in Salpetersäure zu lösen, einzudampfen und den Rückstand scharf zu glühen. Als die Nachricht kam, daß auch Tutzky einen "Phosphor" erhalten hatte, kehrte Kunckel nach Dresden zurück und verglich beide Substanzen: Es handelte sich um dieselbe Verbindung (im wesentlichen Calciumoxid). Dennoch machte er Baldewein und Früben ihre Entdeckung nicht streitig und überließ es ihnen, sie kommerziell zu verwerten. Die Großenhainer Alchemisten machten mit ihrem hermetischen Phosphor ein noch weit besseres Geschäft als mit dem spiritus mundi.


Vorführungen bei Hofe

Im Frühjahr 1676 bekam Kunckel dann jenen Stoff zu sehen, den wir heu-te als Phosphor bezeichnen. In seinem 1716, also postum, erschienenen Werk "Laboratorium Chymicum" (Bild 3) notierte er:

"Dieser jetzt beschriebene Phosphorus [gemeint ist der Baldeweinsche] war kaum einige Wochen alt geworden, da mußte ich eine Reise nach Hamburg thun, dahin ich denn einen solchen leuchtenden Scherbel mit mir genommen hatte. Solchen ließ ich jemanden sehen, derselbe sagte zu mir: ,Hier ist einer, der läßt sich Dr. Brand nennen, ein verunglückter Kauffmann, welcher sich auf die Medizin geleget und neulich etwas gemachet, solches leuchtet allezeit bey der Nacht.' Dieser Freund machte auch, daß ich mit ihm bekannt wurde. Ich war begierig solches zu sehen, er hatte aber damahlen nichts fertig, ausser ein wenig, so er einem guten Freund gegeben; solches bekame ich zu Gesicht. Nun hat er dieses so ohngefehr [durch Zufall] bekommen und anfänglich wenig Werck davon gemacht, bis er gesehen, daß ich begierig darauf war. Ich hielte darum an, aber es war immer ein Auffschub nach dem andern."

Wie Kunckel weiter schildert, hatte er seinen Kollegen Johannes Daniel Krafft (geboren 1624) in Dresden brieflich von der Begegnung unterrichtet. Daraufhin sei dieser sofort nach Hamburg gefahren und habe Brand 200 Reichstaler dafür geboten, daß er ihm eine größere Menge Phosphor herstelle und Kunckel nichts über das Verfahren verrate. Somit kehrte Kunckel schließlich unverrichteter Dinge zurück. Immerhin hatte er erfahren, daß Urin das Ausgangsmaterial sei, und hoffte, die Herstellungmethode selbst herauszubekommen.

Eine abweichende Schilderung der Vorgänge gab Leibniz in seiner im Jahre 1710 veröffentlichten "Historia inventionis Phosphori" (Entdeckungsgeschichte des Phosphors). Danach hätten Kunckel und Krafft versprochen, Brands Verfahren "an Fürstlichkeiten um einen hohen Preis" zu verkaufen, woraufhin Brand beiden den Prozeß mitgeteilt habe.

Tatsächlich aber besaß nach dem Besuch in Hamburg nur Krafft eine gewisse Menge Phosphor und begab sich damit an den Hof des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Am Abend des 24. April 1676 führte er dort, als alle Kerzen gelöscht waren, vor einer größeren Gesellschaft sein "immerwährendes Feuer" in verschiedenen Experimenten vor. Unter den Zuschauern war auch der kurfürstliche Leibarzt Johann Sigmund Elsholz, welcher als erster die neuartige Leuchtsubstanz als "Phosphor" bezeichnete und damit dem Element seinen bis heute gültigen Namen gab.

Krafft kann die für die Demonstration benötigte Menge in der kurzen Zeit nicht selbst hergestellt haben; die Probe muß also von Brand gekommen sein, was Kunckels Hinweis auf eine Zahlung von 200 Talern einige Glaubwürdigkeit verleiht. Daß Krafft das Herstellungsverfahren nicht beherrschte, belegt auch ein Brief von ihm an Kunckel vom 25. April 1677, in dem er von seiner Absicht berichtet, sich nach England zu begeben und am Hof in London das "kalte Feuer" vorzuführen: Was den Phosphor angehe, habe Brand sich erboten, ihn "mit einer Quantität auf den Weg zu versehen".

Krafft gelangte jedenfalls in den Besitz von genügend Phosphor, um seine Tournee nach England antreten zu können. Unterwegs machte er Station in Hannover, wo er Herzog Johann Friedrich den erstaunlichen Stoff vorführte.

Bei dieser Gelegenheit – im Frühjahr 1677 – erfuhr Leibniz aus dem Munde Kraffts erstmals von der Entdeckung Brands. Leibniz war 1676 einem Ruf Johann Friedrichs an dessen Hof gefolgt, wo er zunächst als Hofbibliothekar, seit 1677 aber auch als juristischer Hofrat tätig war; in letzterer Eigenschaft hatte er unter anderem den Bergbau im Harz zu beaufsichtigen.

Leibniz war vom Phosphor derart angetan, daß er anläßlich der erstmaligen Darstellung des Leuchtsteins am hannoverschen Hofe dem Herzog ein lateinisches Gedicht widmete. Darin feiert er eingangs das Feuer des Prometheus als Beginn der Naturerkenntnis und fährt fort (zitiert nach der etwas holprigen Übersetzung des Chemiehistorikers Hermann Peters aus dem Jahre 1902):

Doch ein Feuer wie Phosphor ward nie

gesehn,

Es ist kalt und es kann im Wasser be-

stehn.

In diesem verliert es den Feuerschein,

Sonst würd es entschweben dem Er-

densein.

Dann sieht es dem hellen Bernstein

gleich,

Einem Stein aus dem Mineralienreich.

Der Natur war der Phosphor sonst un-

bekannt,

Ein Feuerkünstler ihn erst jüngst er-

fand.

Zum Schauspiel, o Fürst, ist er dir be-

schieden,

Sonst wäre er nie entdeckt hienieden!

Er gab Krafft ein Empfehlungsschreiben mit auf die Reise nach England, in dem es heißt: "Die Geschichte der Erfindung werde ich, wie sie mir von Krafft mitgetheilt ist, wiedergeben. Der Erfinder ist irgend ein Deutscher, ein Freund von Krafft, welcher dem Kunckel zum Theil die Darstellung mittheilte... Nicht aber Kunckel, sondern Krafft ist als der erste Erfinder bekannt geworden. Wenn wir seine Thätigkeit und die Leichtigkeit, mit der er arbeitete, in Betracht ziehen, so übertraf Krafft die Kunckel'sche Leistung und er zeigte mir in erster Linie die Eigenschaften von jenem Phosphor."

Angesichts des zitierten Briefs von Krafft an Kunckel kann von Leichtigkeit in dessen Arbeit aber kaum die Rede sein. Zudem enthält das Schreiben die mit Kunckels Version übereinstimmende Angabe, daß Brand ihm das Verfahren nur unvollständig mitteilte. Weshalb Leibniz sich in seiner erst 1710 verfaßten "Historia inventionis Phosphori" anders äußerte, ist nicht bekannt. Insgesamt erscheint die Kunckelsche Schilderung der Geschehnisse jedenfalls glaubwürdiger als Leibniz' Version von 1710.

Bei der Vorstellung, die Krafft am Hofe König Karls II. in England gab, war auch Sir Robert Boyle (1627 bis 1691) zugegen, einer der bedeutendsten Chemiker seiner Zeit (Bild 6). Boyle suchte ebenfalls das Herstellungsverfahren zu ergründen und hatte 1680 Erfolg. Er veröffentlichte im gleichen Jahr ei-ne Abhandlung "The Aerial Noctiluca, or some new phaenomena and a process of a factitious selfshining substance" (sie erschien 1682 in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Die Lufftige Noctiluca, oder Etliche Neue Phoenomena [sic!] samt einer Anleitung allerhand Phosphores und selbstscheinende Wesen zu zubereiten"). Außer einer recht brauchbaren Verfahrensvorschrift für die Darstellung des Elements sind darin Experimente mit festem weißem Phosphor und mit Lösungen desselben in Öl beschrieben.

Boyles Assistent, der aus Deutschland stammende Godfrey Ambrose (ursprünglich wohl Gottfried Ambrosius) Hanck(e)witz (1660 bis 1741), nützte die bei seinem Meister erworbenen Kenntnisse und machte sich als Phophorhersteller selbständig. Aus seinem Labor kam lange Zeit der beste Phosphor, und Hanckwitz wie auch sein gleichnamiger Sohn gewannen Reichtum und Ansehen. Der merkwürdige Ausdruck "lufftige Noctiluca" (Nachtleuchte) rührt von Boyles Beobachtung her, daß das Leuchten manchmal wie eine Aura über der Phosphorlösung hing und nicht aus ihr selbst kam. Diese Erscheinung dürfte mit der Art des Lösungsmittels und der Zubereitung der Lösung zusammenhängen; Boyle sah darin jedoch eine eigene Modifikation des Phosphors.


Brand, Leibniz und die Goldgewinnung

In Deutschland hatte das neue Element großes Interesse bei Leibniz geweckt. Der letzte europäische Universalgelehrte hielt die alchemistische Metalltransmutation zeitlebens für möglich. Im Jahre 1673 schloß er deshalb mit dem Amsterdamer Arzt H. G. Schuller und Krafft einen Vertrag, wonach letzterer auf Kosten der drei Vertragspartner nach dem Stein der Weisen forschen sollte; den erhofften Gewinn wollte man sich teilen. Noch 20 Jahre später gewährte Leibniz einem Mathias Starck aus Freiberg Geldzuwendungen für nicht näher bezeichnete alchemistische Arbeiten.

Als Leibniz im Juli 1678 nach Hamburg reiste, um für seinen Dienstherren eine Privatbibliothek zu erwerben, nutzte er die Gelegenheit zu einem Besuch bei Brand. Dieser hatte zwar den Phosphor entdeckt, war auf der Bühne des öffentlichen Geschehens aber eine Randfigur geblieben.

Trotzdem hielt Leibniz es für angezeigt, ihn in die Dienste des Herzogs zu nehmen: Am 14. Juli 1678 kam ein Vertrag zustande, in dem Brand eine Bezahlung von monatlich 10 Talern, davon 60 im voraus, zugesichert wurde (Leibniz bezog damals ein Jahresgehalt von 554 Talern). Dafür sollte er in einem Labor in Hannover oder im Harz Phosphor fabrizieren und sein Verfahren in allen Einzelheiten den Auftraggebern mitteilen. Ferner war er gehalten, auch seine "anderen ihm bewußten Curiositäten" (gemeint sind Spezialkenntnisse) zu offenbaren; dazu gehörte insbesondere sein angebliches Wissen um die Verwandlung von Silber in Gold.

Aus den Quellen geht hervor, daß für Leibniz dieser Punkt ausschlaggebend war. Er hatte festgestellt, daß ein gewisser Dr. Becher, der im Dienste des Herzogs von MecklenburgGüstrow stand, mit Brand ebenfalls einen Vertrag schließen wollte. Es sei wichtig, so führt Leibniz in einem Brief an Herzog Johann Friedrich aus, sich der Mitarbeit des Alchemisten zu versichern, denn dies sei "das einzige Mittel, ihn daran zu hindern, seinen Prozeß [zur Goldbereitung] hier jedermann und vielleicht dem Dr. Becher zu verkaufen. Das möchte ich besonders deshalb nicht, weil Dr. Becher der Mann ist, um es in alle Welt hinauszuposaunen und es allen Mächten der Er-de zum Kauf anzubieten."

Johann Joachim Becher (1635 bis 1682) war selbst ein fähiger Alchemist und eine schillernde Figur mit vielerlei Talenten und Beziehungen, aber auch ruhmredig und unzuverlässig. Der gebildete Mann brachte es bis zum Medizinprofessor an der Universität Mainz und diente unter anderem den Kürfürsten von Mainz und von Bayern als Leibarzt. Daneben war er Kaiserlicher Kommerzienrat und Projektemacher in vieler Hinsicht also eine charakteristische Barockgestalt.

Um Brand dem Zugriff dieses gefährlichen Konkurrenten zu entziehen, nahm Leibniz ihn mit nach Hannover. Dort blieb der Alchemist fünf Wochen, sott Harn und fabrizierte etwas Phosphor; doch das eigentlich Wichtige, nämlich sein Prozeß der Goldbereitung, erwies sich als Phantasiegebilde. Leibniz tröstete sich damit, daß er nun – nach Brand, Krafft und Kunckel – der vierte sei, der das Geheimnis der Phosphorbereitung kenne, und schickte Brand nach Hamburg zurück.

Das Brand ausbezahlte Honorar ist nicht überliefert, blieb aber jedenfalls hinter den Erwartungen des Alchemisten zurück. Seine Frau habe während seiner Abwesenheit von Hamburg 50 Taler Schulden gemacht und er könne diese von seinem herzoglichen Entgelt nicht bezahlen, klagte er in einem Brief an Leibniz vom 5. Oktober 1678. Er klagte noch öfter, aber es half ihm wenig. Große Herren (und deren Hofräte) pflegten zu jener Zeit Verträge sehr flexibel zu interpretieren, und allein ihre Interpretation zählte.

Schließlich einigte man sich auf eine neuerliche Tätigkeit für den Herzog, diesmal einzig mit dem Ziel, eine größere Menge Phosphor zu gewinnen. Brand ging also im Sommer oder Herbst 1679 nochmals nach Hannover und arbeitete zwei Monate lang. Als jedoch Herzog Johann Friedrich am 29. Dezember dieses Jahres starb, blieb Brands Vergütung wiederum aus. Noch drei Jahre später korrespondierte er deswegen mit Leibniz. Nach dessen Angaben war er 1692 noch am Leben; über sein weiteres Schicksal und den Zeitpunkt seines Todes ist nichts bekannt.

Obwohl Brand eine der spektakulärsten chemischen Entdeckungen des 17. Jahrhunderts machte, hat der "Stein des Lichtes" sein Leben also nur schwach erhellt und das "kalte Feuer" ihn und die Seinen nicht gewärmt.

Johann Kunckels Wunderpillen

Im Sommer 1676 gelang Kunckel erstmals die Bereitung weißen Phosphors. Sein Freund und Mentor Georg Caspar Kirchmajer, Professor in Wittenberg, veröffentlichte die Neuigkeit sogleich in einer eigenen Schrift mit dem Titel "Noctiluca constans", verschwieg indes die Herstellungsprozedur.

Zwei Jahre später ließ Kunckel selbst zu Wittenberg ein Büchlein erscheinen, das den wahrhaft schönen Titel "Öffentliche Zuschrifft Von dem Phosphoro Mirabili und dessen leuchtenden Wunder Pilulen" trägt (Bild 4). Zwar ergab sein Verfahren ebenso wie die anderen nur ein ziemlich unreines Produkt; er sprach von einer "schwarzen Seife", die nicht andauernd leuchte, sondern eher an einzelnen Stellen aufblitze. Aber immerhin wußte er das Rohprodukt durch Destillation zu reinigen (Bild 7) und beschrieb somit auch den wachsartigen, kristallhellen reinen Phosphor.

Recht bedenklich erscheint die Verwendung des Elements für "Wunderpillen"; schließlich sind 60 bis l00 Milligramm weißer Phosphor, innerlich verabreicht, für den Menschen bereits tödlich. Kunckel folgte mit seiner quacksalberischen Anpreisung jedoch einer langen medizinischen Tradition, wonach je-de neu entdeckte, einigermaßen interessante Substanz zunächst einmal als Heilmittel gerühmt wurde. Die Pillen waren vergoldet und enthielten außer dem Phosphor angeblich eine "spirituösische GoldEssenz" (was einen alkoholischen Goldextrakt bedeutet; da sich Gold mit Alkohol nicht extrahieren läßt, könnten allenfalls in Alkohol gelöste Goldsalze gemeint sein). Dazu schreibt Kunckel in seinem Büchlein: "Von diesen Pilulen Abends und Morgens 1. oder 2. eingenommen / wird man sich / mit göttlicher Hilfe / keines SchlagFlusses / oder anderer gählingen [plötzlichen] Krankheit des Tages zu befürchten haben. Sie widerstehen aller bösen vergifteten Lufft / und sind ein recht Antidotum wider das Pestilenzialische Gifft."

Zum Glück für Kunckel und noch mehr für seine Kunden enthielten die Pillen wahrscheinlich sehr wenig Phosphor. Dafür spricht schon ihr Preis: Sie wurden in der Apotheke Heinrich Linkens in Leipzig für einen Groschen pro Stück feilgeboten (Bild 5), während ein Bröckchen Phosphor 3 Taler (zu je 24 Groschen) kostete.


Der Phosphor und Paracelsus

Immer wieder wurde in der Chemiegeschichtsschreibung behauptet, auch vor Brand sei bereits elementarer Phosphor hergestellt worden. Nach diesen teilweise abenteuerlichen Vermutungen soll es schon im Alten Testament Hinweise auf die Bereitung von Phosphor geben oder das "griechische Feuer" weißen Phosphor enthalten haben. Am ehesten glaubwürdig ist die 1932 von C. Ellis aufgestellte Behauptung, der Alchemist und Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) habe eine Rezeptur gekannt. Als Beleg führte Ellis eine reichlich kryptische Vorschrift an:

Rec. [Recipe, also "Man nehme"] den Urinam, distillir jhn gar vber/ so gehen die Elementen/ Aer, Aqua et Terra hinüber/ vnd bleibet Ignis am boden. Dann so nimb vnd schütt all die wider zusammen/ vnd distillir auff vier mahl in solcher gestalt/ so geht in der vierdten distillatz herüber am ersten Aqua, danach Aer, vnd Ignis und bleibet Terra am boden: So nimb Aerem vnd Ignem in ein sonder Gefäß/ laß kalt stehen/ so schießt es Eyßzapfen/ dieselben seind das Element Fewer.

Es scheint jedoch sehr zweifelhaft, ob nach dieser Anleitung Phosphor erhalten werden kann. Das wiederholte Zusammenfügen von Destillat und Rückstand bewirkt keine Umsetzung; die Angabe, daß anfänglich "Erde" übergehe, könnte eventuell ein Hinweis auf Ammoniumcarbonat sein, sicherlich nicht auf Phosphor. Wenn man die vierte Destillation, auf die es einzig ankommt, über mehr als zwölf Stunden bei höchstem Feuergrad getrieben hätte, wäre wohl Phosphor entstanden, doch weder von einer ungewöhnlich langen Dauer noch von extremen Hitzegraden ist etwas angedeutet. Zudem bliebe die Frage, weshalb der ansonsten keineswegs als schweigsam und zurückhaltend bekannte Paracelsus einer Entdeckung wie der eines leuchtenden Stoffes nicht sogleich nachgegangen ist und mehr darüber publiziert oder ihn vorgeführt hat.


Der Mensch als Mikrokosmos

Daß Brand Phosphor hergestellt hat ist dagegen sicher. Zwar hat er sein Verfahren nirgendwo selbst beschrieben, aber wir kennen es aus einer indirekten Quelle. Leibniz teilte es 1682 brieflich dem damals in Paris weilenden Grafen Ehrenfried Walter von Tschirnhaus (1651 bis 1798) mit. Dieser beschrieb es der französischen Akademie der Wissenschaften, die es öffentlich bekanntmachte. Hier die Arbeitsanleitung in der Übersetzung von Peters:

Man nimmt Harn, der lange Zeit aufbewahrt ist, und dampft ihn zur Sirupsconsistenz ab. Diesen Sirup füllt man in eine Retorte und destilliert ihn, bis alles Phlegma [Flüchtige] und flüchtige Salz [vermutlich Ammoniumcarbonat] verschwunden ist und bis rote Tropfen erscheinen. Dann legt man eine Vorlage an, um das Oel aufzufangen, worauf man die Retorte zerbricht, um das Caput Mortuum [wörtlich: Totenkopf; gemeint ist der unverdampfbare Rückstand] zu erlangen, dessen unterer Teil salzartig hart und unbrauchbar zur Phosphorbereitung ist und dessen oberer Teil eine schwarze, schwammige, weniger feste Masse vorstellt. Diese Masse bewahrt man auf. Dann bringt man das in der ersten Destillation gewonnene Oel von Neuem in eine Retorte. Nachdem man alles Wäßrige verdampft hat, bleibt eine schwarze Masse übrig, die der ähnlich ist, welche man von dem Caput Mortuum der ersten Destillation getrennt hat. Man verarbeitet diese vereinten Stoffe zusammen. Man bringt zum Beispiel 12 Unzen [360 Gramm] von dieser Masse in ei-ne mäßig große irdene Retorte, vor welche man eine Vorlage legt und gut verkittet. Man feuert allmählich bis zur Rotglut der Retorte und treibt das Feuer sehr stark 16 Stunden lang und besonders während der letzten 8 Stunden. Man erhält zuerst Dämpfe oder weiße Wölkchen, dann eine klebrige Masse, und zuletzt geht ein Cörper von fester und dichter Consistenz über, der sich an die Wände der Vorlage in Gestalt von Zucker anlegt. In dieser Masse liegt die größte Kraft des Phosphors. Wenn man die Destillation im Dunkeln macht, so wird die Vorlage während der Arbeit leuchten. Alles, was während der Arbeit herauskommt, ist außerordentlich leuchtend, aber besonders der trockene Teil, der der wirkliche Stoff des Phosphors ist, welcher Schießpulver, Papier, Leinwand in Brand setzt.

Das Verfahren beruht darauf, daß menschlicher Urin pro Liter etwa ein bis zwei Gramm Phosphorsäure (in Salzform) enthält. Dieses Phosphat wird durch Kohle, die beim starken Erhitzen aus den nichtflüchtigen organischen Bestandteilen des Harns entsteht, zum Element reduziert. Der dabei gebildete weiße Phosphor verdampft bei 280 Grad Celsius. Der Prozeß war langwierig und zumindest in der ersten Phase extrem übelriechend; außerdem lieferte er nur eine geringe Ausbeute. Das Faulenlassen des Urins hat keinerlei Bedeutung, weil es am Phosphorgehalt nichts ändert.

Wieso kam Brand auf die Idee, ausgerechnet faulen Harn derart hartnäckig zu kochen? Um dies zu verstehen, muß man versuchen, sich in die Vorstellungswelt eines Alchemisten hineinzuversetzen. Brand wollte ursprünglich ein sogenanntes Partikular erzeugen. Darunter verstand man eine Art einfacheren Stein der Weisen, der nur ein bestimmtes Metall in Gold oder eventuell auch lediglich in das weniger edle Silber zu verwandeln vermag. Brand hatte sich das verhältnismäßig bescheidene Ziel gesetzt, ein Mittel zur Verwandlung von Silber in Gold zu finden.

Die erste Überlegung galt dabei der Wahl des Ausgangsmaterials, der materia prima. Dazu konnte nach der alchemistischen Literatur so ziemlich jeder Stoff dienen, angefangen vom Gold selbst bis zum Lehm – Urin und Exkremente nicht ausgeschlossen. Es würde hier zu weit führen, die Rolle der menschlichen Ausscheidungen in der Geschichte der Alchemie und auch der Pharmazie zu verfolgen (man denke an die sogenannten Dreckapotheken). Jedenfalls war in der Vorstellungswelt der Alchemie schon seit ihren Anfängen der "MikrokosmosMakrokosmos-Dualismus" von großer Bedeutung. Danach ist der Mensch ein Modell der göttlichen Schöpfung und somit das "mikrokosmische" Pendent dieses "Makrokosmos"; denn der Bibel zufolge wurde er nach Gottes Bilde geschaffen und spiegelt folglich, weil Gott in seiner Schöpfung insgesamt verkörpert ist, diese gleichsam im kleinen wider.

Der Mensch verwandelt die aufgenommene Nahrung in Lebensenergie, körpereigenes Material und Ausscheidungen. Wie nun, wenn letzteres eher einer Rückführung der Speisen und Getränke in ihren Urzustand (aus dem sie später erst zu Lebensmitteln wurden) als einer Abstoßung des Unbrauchbaren entspräche? Vielleicht erzeugt der innerphysische Alchemist, der Organismus selbst, die vielgesuchte materia prima, aus der alles hervorgeht.

So lehrte Giovanni Birelli in seiner "Alchymia nova", die 1603 in deutscher Übersetzung erschien, daß die Alchemie ihren Ursprung nicht im Mineralreich haben könne, da dieses unbelebt sei und nichts zu gebären vermöchte. Vielmehr sei "der Mensch ein gebährender Anfang oder Ursprung auch der alchemistischen Materien und Steine... Ist er nun die kleine Welt / so muß er auch alles dasjenige in jhme haben / was die andere grosse Welt in jhr hat / wiewohl ein jedes in geringer Menge". Im Körper seien demnach verschiedene Stoffe enthalten, die alle bestimmte Kräfte besäßen, nämlich der Samen des Mannes, ferner Harn, Schweiß und Kot. "Sprichstu aber", fuhr Birelli fort, "ich kann mich aber nicht genugsam verwundern / woher doch dem Harn solch grosse Kraft ... komme: darauf gib ich dir zur Antwort. Das eben der Harn diese Natur und Proprietet oder Eygenschaft hat / daß er zu einem Stein wird." Diese Bemerkung bezieht sich wahrscheinlich auf die aus Urin gebildeten Nierensteine.

In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, daß Brand nicht auf die Idee kam, etwa tierischen Urin zu verwenden, sondern auf Menschenharn bestand. Zugleich fällt auf, daß das im Urin enthaltene Phosphorsalz, das saure Natrium-Ammonium-Phosphat (Na(NH4)HPO4), als sal microcosmicum bezeichnet wurde und als solches in den Apotheken offizinell war.


Verbesserungen des Herstellungsverfahrens

Nicht nur von Brand ist keine Originalvorschrift zur Phosphorbereitung bekannt, auch Kunckel, Hanckwitz und Krafft haben ihr Verfahren nie selbst schriftlich niedergelegt. Der Grund für diese Geheimniskrämerei ist leicht ersichtlich: Jeder wollte mit dem Phosphor ein Geschäft machen und Konkurrenz ausschließen. Nur Boyle hat seine Herstellungsmethode veröffentlicht.

Die ersten Beschreibungen der Methode Kunckels stammen von Johann Kletwich ("Dissertatio de Phosphore", 1688) und von Homberg (in dessen bereits erwähntem Bericht von 1692). Der wesentliche Unterschied zu der Bereitungsart Brands besteht darin, daß der Harnsirup vor der langwierigen Destillation bei starker Hitze mit dem doppelten bis dreifachen Gewicht Sand vermengt wurde. Auch Boyle setzte Sand zu; ob er sein Verfahren unabhängig entwickelte, ist nicht sicher, aber wahrscheinlich, weil er von Krafft bestenfalls die Methode Brands kennengelernt haben konnte und er zudem bereits 1680 seine Vorschrift veröffentlichte, als Kunckel zwar bereits Phosphor herstellen konnte, sein Verfahren aber noch nicht bekannt war.

Die Zugabe von Sand wurde damit begründet, daß sich die Hitze dadurch gleichmäßiger verteile und an den Teilchen der phosphorhaltigen Materie besser angreifen könne. Die eigentliche Wirkung war jedoch eine andere: Der Sand reagierte mit dem beim Glühen aus dem "Sal microcosmicum" gebildeten Natriummetaphosphat (NaPO3) zu Natriumsilicat und Phosphorsäure. Diese läßt sich schneller und mit geringerem Energieaufwand reduzieren als das Natriumsalz; außerdem sind die Ausbeuten höher, weil die Bildung des durch Kohlenstoff nicht reduzierbaren Natriumpyrophosphats (Na4P207) zurückgedrängt wird.

In den folgenden Jahrzehnten wurden keine neuen Verfahren entwickelt. Die Herstellung von Phosphor blieb eine mühsame, unangenehme und langwierige Angelegenheit; sein Preis lag daher abschreckend hoch. So waren 1730 in London 40 Shilling und in Amsterdam 32 Gulden für die Unze zu zahlen.

Verbesserungen glaubte man durch die Verwendung von besonders geeignetem Urin erzielen zu können. So empfahl Nicolas Lemery (1645 bis 1715) in seinem damals berühmten Lehrbuch "Cours de Chymie, Oder: Der vollkommene Chymist" (dessen vierte Auflage 1734 – also postum – in deutscher Übersetzung erschien), die Ausgangssubstanz bei Biertrinkern zu sammeln. Die Begründung zeigt noch deutlich das Verhaftetsein in alchemistischem Denken: "Man hat wahrgenommen, daß der Personen, welche ordentlich Wein trincken, ihr Urin gar schwer ein Phosphorum zeugt, weil nämlich der Wein allzu spirituös ist, und daher die leuchtende Materie de-sto leichter verrauchet. Es gehört eine schleimige, zähe Substanz, die sie halten kann, und dergleichen Bier ist, darzu: Daher man mit dieser Operation auch besser in Engelland, Flandern und Teutschland, als in Frankreich zurecht kommt."

Gleichwohl gelang der nächste technologische Fortschritt in Frankreich. Ein Unbekannter bot der französischen Regierung 1737 ein verbessertes Verfahren der Phosphordarstellung aus Urin, Sand und (Holz)kohle an, das nach genauer Prüfung für eine namhafte Summe erworben und in den "Memoirs" der Pariser Akademie veröffentlicht wurde. Der Zusatz von Kohle verbesserte die Ausbeuten, weil ein größerer Teil des Phosphats im Urin reduziert wurde.

Der 1743 von dem Berliner Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709 bis 1782) vorgeschlagene Zusatz von Bleichlorid bot hingegen keine praktischen Vorzüge. Zwar wirkte hier auch das Blei als Reduktionsmittel, die Ausbeute wurde jedoch durch die Bildung von Bleiphosphid beeinträchtigt.

Dennoch sind Marggrafs Untersuchungen, zusammen mit seiner 1746 publizierten Arbeit über die im Urinsalz enthaltene Säure, von beträchtlicher Bedeutung für die Chemiegeschichte. Denn er bestätigte nicht nur die Existenz einer eigenen Phosphorsäure, sondern stellte auch eine Massenzunahme bei der Verbrennung von Phosphor fest – der erste experimentelle Befund, der im Widerspruch zur damals allgemein anerkannten Phlogiston-Theorie stand, wonach beim Verbrennen ein besonderer Feuerstoff (eben das Phlogiston) entweiche.

Auf Marggrafs Erkenntnissen aufbauend, entdeckte der schwedische Mineraloge und Bergwerksingenieur Johann Gottlieb Gahn (1745 bis 1818) 1769 den Phosphatgehalt von Knochen. Damit waren die Voraussetzungen für eine Phosphorgewinnung in großem Maßstab geschaffen.

Im Verfahren Gahns zeigt sich auch bereits ein deutliches Verständnis der ablaufenden chemischen Vorgänge, während früher lediglich eine Zufallsentdeckung nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum optimiert worden war. Grundmaterial war Hirschhorn, das – anders als der Name suggeriert – aus Knochen besteht und beim Brennen an der Luft Calciumphosphat liefert (das sogenannte Beinweiß). Aus diesem versuchte Gahn zunächst mit Schwefelsäure die Phosphorsäure freizusetzen. Doch zeigte sich, daß dabei nicht nur "Selenit" (ein alter Ausdruck für Calsiumsulfat, also Gips) entsteht, sondern die Hälfte der Phosphorsäure als wasserunlösliches Calciumhydrogenphosphat (CaHPO4) ausfällt. Damit das gesamte Phosphat verwertet wurde, löste Gahn deshalb später das Beinweiß in Salpetersäure auf und setzte erst danach Schwefelsäure zu, um das Calcium auszufällen. Aus der zurückbleibenden Lösung destillierte er die Salpetersäure ab. Die im Rückstand verbliebene Phosphorsäure konnte anschließend mittels Kohle reduziert werden.

Im Jahr 1829 schließlich entwickelte Friedrich Wöhler (1800 bis 1882; durch die 1828 entdeckte Harnstoff-Synthese aus Ammoniumcyanat berühmt geworden) das im Prinzip noch heute benutz-te Verfahren zur Phosphorgewinnung. Er kombinierte die Entdeckung Gahns mit der klassischen Methode, indem er unter Luftabschluß erhitzte Knochen ("Beinschwarz") mit Quarzsand und zusätzlicher Kohle umsetzte. Das Calciumphosphat reagiert mit dem Siliciumdioxid zu Calciumsilicat und Phosphorpentoxid, das seinerseits durch den Kohlenstoff zu Phosphor reduziert wird. Indem Wöhler von Beinschwarz ausging, nutzte er den in den Knochen in Form organischer Verbindungen bereits enthaltenen Kohlenstoff zur Reduktion. Das heutige Verfahren unterscheidet sich von diesem lediglich dadurch, daß statt Knochen das Mineral Apatit (eine Mischung aus Calciumchlorid und phosphat) als Phosphatquelle dient.


Die Ursache des Leuchtens

Ähnlich lang und verschlungen wie der Weg zur relativ wohlfeilen und zuverlässigen Herstellung von Phosphor in größeren Mengen war der zur Erkenntnis, daß es sich um ein Element handelt und sein Leuchten von einer chemischen Reaktion mit Sauerstoff herrührt. Am Anfang stand wie so oft ein begriffliches Durcheinander, das beispielsweise in Johann Theodor Jablonskis "Allgemeinem Lexikon der Künste und Wissenschaften" von 1748 zum Ausdruck kommt. Dort heißt es: "Phosphorus, also nennet man alle cörper, sie seyen trocken oder feucht, die ein licht oder schimmer geben, dessen ordentliche ursache nicht vorhanden [unbekannt] ist." Dazu zählten zur damaligen Zeit außer dem eigentlichen noch der bereits erwähnte Balduinsche sowie der Hombergsche Phosphor und der sogenannte Bologneser Leuchtstein, der erste bekannte "Phosphor" überhaupt.

Schon 1603/4 (nach anderen Quellen 1612 oder 1630) hatte Vincenzo Cascariolo (teils auch Vincentio Casciorolo geschrieben), ein Schuhmacher mit alchemistischen Neigungen, am Fuße des Berges Paterno bei Bologna ein Mineral – den Schwerspat (Bariumsulfat) – entdeckt, dessen hohes spezifisches Gewicht ihn auf den Gedanken brachte, es könne Gold enthalten. Als er das Edelmetall durch Erhitzen mit Kohle und Olivenöl zu gewinnen suchte, erhielt er statt dessen jedoch einen Stein, der "im Dunkeln durch seinen eigenen Glanz sichtbar ward, wenn er vorher eine Zeitlang im Lichte gelegen hatte". Wie man inzwischen weiß, handelte es sich um Bariumsulfid.

Das heute "Phosphoreszenz" genann-te Nachleuchten ist erst mit Hilfe der modernen Quantentheorie verständlich. Demnach werden bei phosphoreszierenden Körpern durch Absorption von Licht Elektronen auf ein höheres Energieniveau gehoben; wenn sie nach einiger Zeit auf das Normalniveau zurückfallen, senden sie das eingefangene Licht bei etwas größerer Wellenlänge wieder aus.

Phosphor selbst hingegen phosphoresziert nicht. Sein Leuchten beruht auf der sogenannten Chemolumineszenz und kommt zustande, weil kleine Mengen des Elements mit Sauerstoff reagieren, wobei die Reaktionsenergie in Form von Licht statt von Wärme freigesetzt wird. Deshalb ist diese Leuchterscheinung im Gegensatz zur Phosphoreszenz auch unabhängig von vorheriger Lichteinwirkung und kann beobachtet werden, solange zumindest Spuren von Sauerstoff vorhanden sind.

Im 17. und 18. Jahrhundert schrieb man den leuchtenden Erden eine irgendwie geartete Kraft zu, das Licht anzuziehen und einige Zeit festzuhalten – was durchaus zutreffend war, wenn es auch das Phänomen eher beschrieb als erklärte. Das Leuchten des Brandschen Phosphors dagegen brachte man mit dem Umstand in Verbindung, daß er im Unterschied zu all den anderen Leuchtstoffen leicht brennbar ist (Bild 1) – eine Eigenschaft, die von alters her insbesondere mit dem Schwefel in Verbindung gebracht worden war. Brennbarkeit wurde mit einem dem jeweiligen Körper innewohnenden Feuer erklärt. Weil Phosphor noch leichter entzündlich ist als Schwefel, mußte er demnach noch mehr Feuer enthalten – in der Tat so viel, daß er bereits leuchtet, ohne wirklich zu brennen.

Diese Denkweise spiegeln sowohl der Name "kaltes Feuer", den Brand dem Phosphor beilegte, als auch das alchemistische Symbol für den Leuchtstoff wider. Es besteht wie das des Schwefels aus einem mit der Spitze nach oben weisenden gleichseitigen Dreieck für das Element Feuer und einem Kreuz an dessen Basis; dieses ist beim Schwefel einmal, beim Phosphor zweimal quergestrichen und symbolisiert eine Säure. Beide Zeichen bringen somit den experimentellen Befund zum Ausdruck, daß Schwefel und Phosphor brennbar sind und daß das Verbrennungsprodukt (Schwefeldioxid, Phosphorpentoxid), in Wasser gelöst, ei-ne Säure ergibt.


Der Phosphor und das Phlogiston

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts stellte der in Halle an der Saale lehrende und dann als Leibarzt des preußischen Königs in Berlin tätige Georg Ernst Stahl (1660 bis 1734) die Phlogiston-Theorie auf. Sie erklärte die Verbrennung als Vorgang, bei dem ein Körper in eine (unbrennbare) Basis und Phlogiston (nach dem griechischen Wort für Brennstoff) zersetzt werde, das – ähnlich wie das Feuer der Alchemisten – den brennbaren Stoff in Reinform darstelle. Eine Substanz ist brennbar, weil sie Phlogiston enthält, das beim Verbrennen frei wird und dabei die Erscheinungen von Flamme und Hitze bewirkt.

Diese Deutung ist anschaulich und scheint logisch und vernünftig. Mit ihr begann die Trennung der naturwissenschaftlichen Chemie von der Alchemie. Die Alchemisten verfügten zwar ebenfalls über Theorien; doch waren diese metaphysisch fundiert, wohingegen die Phlogiston-Lehre auf Schlüssen aus Experimentalbeobachtungen basierte, die sich jederzeit wiederholen ließen. Daß sie falsch ist, ändert nichts an ihrer historischen Bedeutung für die Chemiegeschichte.

Nach dieser Theorie war nicht der Schwefel elementar, sondern die Schwefelsäure, in die er bei der Verbrennung unter Abgabe von Phlogiston zerfällt. Fügt man der Säure durch Umsetzung mit einem anderen brennbaren Körper wie Kohle Phlogiston hinzu, erhält man wieder Schwefel.

Es wäre nun an sich logisch gewesen, analog zu sagen, daß Phosphor aus Phosphorsäure und Phlogiston bestehe. Aufgrund experimenteller Befunde, die mit dem Gehalt des Urins an Natriumchlorid zusammenhängen und hier nicht weiter diskutiert werden sollen, behauptete Stahl 1731 jedoch, der Phosphor setze sich aus Salzsäure und Phlogiston zusammen; eine eigene Phosphorsäure ge-be es nicht. Genau diese irrige Meinung, die dank der Autorität Stahls weitgehend akzeptiert wurde, berichtigte Marggraf in seiner Arbeit von 1746.

Ebenso wie die Vorstellung, daß die Sonne sich um die Erde drehe, stimmte die Phlogiston-Theorie hervorragend mit dem Augenschein überein; und wie in der Astronomie bedurfte es auch in der Chemie eines radikalen Neuerers, der den Augenschein in Frage stellte. Dieser Mann war der Franzose Antoine Laurent Lavoisier (1743 bis 1794). Er erkannte die "Verkalkung" (Oxidation) von Metallen als essentiell identisch mit der Verbrennung und gelangte so schrittweise zu seiner "antiphlogistischen" Lehre, wonach die Verbrennung eine Vereinigung von Stoffen statt einer Zersetzung ist (Bild 8).

Der Phosphor spielte dabei von Anfang an eine wichtige Rolle. Bereits 1772, in der ersten Arbeit zur Verbrennung, hob Lavoisier als bemerkenswerte neue Entdeckung hervor, daß Schwefel und Phosphor unter Gewichtszunahme verbrennen. In dem zwei Jahre später erschienenen ersten Band seiner "Opuscules Physiques et Chimiques" (deutsch unter dem Titel "Physikalisch Chemische Schriften" 1783 herausgekommen) berichtete er über eine systematische Versuchsreihe, in der er die Verbrennung des Phosphors unter verschiedenen Bedingungen und die dabei beobachtbaren Veränderungen des Gewichts studiert hatte. Die heute viel bekannteren Experimente mit Quecksilberoxid führte er erst 1775 durch, um die Funktion des ein Jahr vorher entdeckten Sauerstoffs als Träger der Verbrennung zu beweisen. Die Konzeption der Verbrennung als einer Vereinigung von Stoffen statt einer Zersetzung entstand hingegen schon vor der Entdeckung des Sauerstoffs in Verbindung mit den Phosphorversuchen. Lavoisier veröffentlichte 1777 und 1780 weitere Untersuchungen über die Phosphorsäure, die er nun zu einer Verbindung der Elemente Phosphor und Sauerstoff erklärte.

Als Theorie, welche die alten Vorstellungen buchstäblich auf den Kopf stellte, konnte sich die Lehre Lavoisiers nur allmählich durchsetzen. Wie schwierig die Adaption der neuen Sichtweise war, mag ein Zitat aus dem "Neuen Natur- und KunstLexikon" belegen, das G. Lippold und C. Funke 1802 herausbrachten. Dort heißt es, daß "der Phosphor aus dem allen brennbaren Körpern eigenen Lichtstoffe und seinem eigenthümlichen Stoffe, d.i. dem Phosphorstoffe" bestehe. "Letzterer kann für sich allein nicht dargestellt werden. Bei der Verbrennung des Phosphors wird der Phosphorstoff mit dem Sauerstoffe der atmosphärischen Luft zu Phosphorsäure umgebildet; der sich entbindende Lichtstoff desselben verursacht das Leuchten, und da der Sauerstoff dabei seinen luftartigen Zustand verliert, so wird die gebundene Wärme desselben frei." Hier zeigt sich eine seltsame Mischung aus Phlogiston- und Sauerstoff-Theorie. Zugleich wird versucht, die von den "Antiphlogistikern" nicht erläuterte und ebenso wie die Phosphoreszenz nur mit der modernen Quantentheorie verständliche Erscheinung des Leuchtens einer Flamme zu erklären.


Vom Menetekel zu den Zündhölzern

Unabhängig von den Erkenntnissen über die Natur des Phosphors und der Suche nach einer praktikablen Synthese größerer Mengen wurden während des 18. Jahrhunderts verschiedene Anwendungsmöglichkeiten erprobt. Von Kunckels Wunderpillen war schon die Re-de. Phosphorhaltige Arzneimittel galten noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts als medizinisch vielversprechend. Außerdem aber machten sich Schausteller, Theatergruppen und Jahrmarktsquacksalber den Leuchteffekt zunutze, um das Publikum anzulocken (Bild 9).

Besonders beliebt unter Kurpfuschern, die den Verkauf medizinischer Dienst-leistungen wie Zahnbrechen oder Steinschneiden (das Entfernen von Nieren-, Gallen- oder Blasensteinen) mit einem attraktiven Rahmenprogramm zu garnieren pflegten, war das "Weiterschießen" einer Flamme. Der Wunderdoktor trat mit einer Pistole vor eine brennende Kerze, zielte umständlich und drückte ab. Die Kerze erlosch, aber eine dahinter stehende begann zu brennen. Derartige Vorführungen sollten das Publikum von den erstaunlichen Fähigkeiten und Kenntnissen des Medicus überzeugen und Vertrauen in die Wirksamkeit seiner Kuren und Präparate schaffen, zu denen sicherlich auch phosphorhaltige Mittel gehörten. Der Trick bestand darin, den Docht der zweiten Kerze mit weißem Phosphor zu präparieren. Die Pistole war nur mit Pulver geladen, und während die beim Schuß austretenden heißen Gase die erste Kerze ausbliesen, entzündeten sie den Phosphor im Docht der zweiten.

Da manche fahrenden Gaukler wie etwa professionelle Geisterbeschwörer (die gegen angemessenes Entgelt historische Zelebritäten oder auch die Ahnen eines Kunden herbeizitierten und befragten) mit Vorliebe im Dunklen arbeiteten, konnten sie die Leuchtwirkung des Phosphors gut nutzen. So bemerkt Lemery in seinem "Vollkommenen Chymist": "Man kann weiter ein wenig Phosphorum unter viel Pomade wohl einmengen, und die LeibesTheilgen darmit schmieren, welche helleuchtend sollen werden, ohne daß man sich einer sonderlichen Hitze daher zu befahren habe, weil die brennlichten Theilgen des Phosphori von der Pomade temperirt worden seyn." Auf solche Art ließen sich Geistererscheinun-gen recht eindrucksvoll gestalten; auch leuchtende Schwerter, MenetekelSchriften und glosende Totenköpfe gehörten zum schaudererregenden Blendwerk.

All dies bildete freilich keine Grundlage für einen wirklich nennenswerten Phosphorverbrauch. Der bahnte sich erst an, als Anfang des 19. Jahrhunderts die Verwandlung des kalten Feuers in eine heiße Flamme glückte – das heißt das Zündholz erfunden wurde. Doch dies wäre eine neue Geschichte.

Literaturhinweise

- Geschichte des Phosphors nach Leibniz und dessen Briefwechsel. Von Hermann Peters in: Chemikerzeitung, Band 26, Seiten 1190 bis 1198 (1902).

– Leibniz als Chemiker. Von Hermann Peters in: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Band 7, Seiten 85 bis 108, 220 bis 235 und 275 bis 287 (1916).

– Kunckels Verdienste um die Chemie. Von Hermann Peters in: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Band 4, Seiten 178 bis 214 (1912).

– Kunckel and the Early History of Phosphorus. Von Tenney L. Davis in: Journal of Chemical Education, Band 4, Seiten 1105 bis 1113 (1927).

– History of Phosphorus. Von Eduard Farber in: United States National Museum Bulletin 240, Seiten 178 bis 200 (1965).

– Phosphor. Von der Lichtmaterie zum chemischen Element. Von Fritz Krafft in: Angewandte Chemie, Band 81, Seite 634 bis 645 (1969).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 78
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