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Der Weg zum umfassenden Qualitätsmanagement


Schärferer Wettbewerb und sich verändernde Märkte zwingen mehr und mehr Unternehmen, althergebrachte Grundsätze und Leitbilder aufzugeben. Dabei wird immer deutlicher, daß neue Konzepte Mitarbeiter und Kunden gleichermaßen ansprechen müssen.

Schon Ende der achtziger Jahre entstand die Vorstellung, daß die Qualität eines Produkts, die wesentlich zum Geschäftserfolg beiträgt, nicht erst an der Fertigungslinie bestimmt werden sollte, sondern Ergebnis sozusagen eines Gesamtorganismus zu sein hat. Dieser Gedanke, der sich auch auf den Dienstleistungsbereich übertragen läßt, bedarf zur Umsetzung aber einer umfassenden Leitphilosophie, im Fachjargon Total Quality Management (TQM) genannt. Dessen Anspruch, Qualität zum Kern aller Managementziele zu machen, unterscheidet TQM von bisherigen betriebswirtschaftlichen Führungsmodellen, die sie lediglich produktbezogen definieren (Bilder 2 und 3).

Die hohen Anforderungen bergen allerdings das Risiko, beim Verfehlen anvisierter Verbesserungen von Produktivität und Erfolg die enthusiastisch begonnene Umsetzung enttäuscht aufzugeben, ohne nach den Gründen für das Scheitern zu suchen. Insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen fällt es ungleich schwerer als großen, die richtigen Ansätze zu finden und ihren spezifischen Bedingungen gemäß TQM einzuführen. Vielfach reagieren sie lediglich auf das Drängen einflußreicher Kunden, die Anwendung eines Qualitätsmanagementsystems entsprechend internationaler Norm nachzuweisen. Häufig mißraten aber solche Bemühungen zu kostenintensiven Pflichtübungen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit spürbar zu steigern.

Deshalb interessieren derzeit vor allem Hinweise und Beispiele für eine unternehmensspezifische gedeihliche Entwicklung. Allerdings sind Erfahrungen mit typischen Fällen aus der Bundesrepublik rar. Vieles, was man heute über TQM weiß, entstammt japanischen oder amerikanischen Quellen.


Allgemeine Anforderungen

Aus der Definition von Total Quality Management nach internationaler Norm folgt, daß meist grundlegende Veränderungen von Organisationsstruktur und Führungsphilosophie erforderlich sind. Die European Foundation for Quality Management, eine 1988 von 14 namhaften Unternehmen gegründete und mittlerweile mehr als 500 Mitgliedsfirmen zählende Organisation, setzt dafür als Maßstäbe außer dem Geschäftserfolg sowie der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit auch die gesellschaftliche Verantwortung, die sich durch entsprechendes Management der Ressourcen und Prozesse erweisen muß. Die Stiftung verleiht auf dieser Grundlage jährlich den European Quality Award an Unternehmen, die dabei Spitzenwerte erreichen (Bild 1); ab 1997 wird nach ihren Kriterien auch der Ludwig-Erhard-Preis in Deutschland vergeben.

Freilich ist der Anlaß, TQM einzuführen, oft eine kritische Lage des Unternehmens, und bei den dann unausweichlichen Maßnahmen zum Erhalt des Betriebes gehen meist Arbeitsplätze verloren. Sehr viel günstiger für einen nachhaltigen Wandel ist es, ihn in einer Zeit wirtschaftlichen Erfolges einzuleiten, wenn neue Ziele nicht als Notbehelf erscheinen und der damit verbundene Nutzen für das Unternehmen wie für die Mitarbeiter leichter zu vermitteln ist. Schließlich sollen alle Beteiligten ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern, Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben und motiviert sein, sich auf ungewohnte Betriebsbedingungen einzulassen.

Schon die Einführung eines TQM-Modells erfordert eine Vielzahl verketteter Maßnahmen, die einander in ihrer Wirkung verstärken. Eine intelligente Strategie verlangt zudem eine auf mehrere Jahre vorausschauende Planung, die auch bei widrigen äußeren Bedingungen Kurs zu halten erlaubt.


Sensibilisierung und Realisierung

Nach langjähriger Erfahrung empfiehlt sich meines Erachtens ein Stufenplan mit den Phasen Sensibilisierung, Realisierung, Stabilisierung und Verfeinerung der TQM-Inhalte. Jede läßt sich durch spezifische Merkmale charakterisieren, die es ermöglichen, Schwerpunkte bei der Einführung und Hinweise zur Weiterentwicklung anzugeben.

Zunächst müssen die Mitarbeiter, insbesondere die der Managementetage, die Dringlichkeit einer grundlegenden Veränderung einsehen, denn in den ersten ein bis zwei Jahren gefährden eingefahrene Handlungsmuster den Prozeß. Menschen, die jahrelang auf Anpassung und Gehorsam konditioniert wurden, lassen sich nur zögerlich auf Veränderungen ein und müssen dazu immer wieder motiviert werden.

Unzufriedenheit mit bestehenden Verhältnissen ist eine wichtige Motivation. Nach aller Erfahrung sollten bis zu 75 Prozent der Führungskräfte als sozusagen kritische Masse aufrichtig davon überzeugt sein, daß es mit dem Kurieren an Symptomen nicht weitergeht. Liegt die Zahl wesentlich darunter, so können traditionsverhaftete Kollegen schwierige Hürden aufbauen. Unabdingbar ist indes ein unternehmensweiter Qualifizierungsprozeß. Dazu sind im einzelnen folgende Schritte zu empfehlen:

- ungeschönte Information über die Situation des Unternehmens, beispielsweise durch Diskussion des Geschäftsberichts mit den Mitarbeitern, um Problembewußtsein und breite Akzeptanz für Veränderungen zu schaffen,

- Aufzeigen von Grenzen des bisherigen Systems und von Verbesserungspotentialen,

- Förderung der innerbetrieblichen Kommunikation,

- Ermunterung aller Mitarbeiter, mit nach neuen Lösungsansätzen zu suchen, so daß sie Vertrauen entwickeln, Ängste abbauen und Sicherheit gewinnen,

- Etablierung des umfassenden Qualitätsbegriff als neue Orientierung und schließlich

- Experimentieren in Pilotprojekten, wobei die Mitarbeiter frisch erworbenes Wissen festigen und neue Fähigkeiten trainieren können.

Maßgebliche Inhalte der Realisierungsphase sind sowohl ein Führungs- als auch ein Strukturwandel. Anzustreben ist eine teamorientierte Prozeßorganisation, in der jeder einzelne Verantwortung zu übernehmen bereit ist. Nur so läßt sich dem Rückfall in alte Verhaltensmuster entgegenwirken, der häufig zu beobachten ist, wenn der Druck zur Veränderung infolge der Veränderung selbst nachläßt. In Deutschland haben bisher nur wenige Unternehmen eine solche prozeßstrukturierte Organisation geschaffen, und Gewohnheiten überkommen mitunter Neuerungen.

Flankierende Maßnahmen helfen, eventuell als negativ empfundenen Konsequenzen zu kompensieren:

- Mitarbeiter können sich besser mit dem Konzept identifizieren, wenn sie gezielt geschult werden, wozu auch eine den Arbeitsalltag begleitende Weiterbildung gehört, bei der auftauchende Probleme besprochen werden;

- Hierarchien sind zugunsten dezentraler Teams abzubauen, die entsprechend mehr Entscheidungskompetenz bekommen müssen (ein namhafter amerikanischer Textilhersteller beispielsweise teilt Organisationseinheiten, sobald sie mehr als 170 Mitarbeiter erreichen);

- Möglichkeiten zur Diskussion und Reflexion des qualitätsorientierten Führungsverhaltens sind auf den verbleibenden Leitungsebenen zu etablieren;

- Mitarbeiter mit persönlicher Autorität sind als Meinungsbildner und Mentoren zu gewinnen und zu trainieren.


Stabilisierung und Verfeinerung

Ob die neuen Leitideen in weiten Teilen des Unternehmens ausreichend beherrscht werden, müßte sich bereits an Leistungssteigerungen erweisen. Dann gilt es, die Einzelmaßnahmen nun aufeinander abzustimmen und Synergien zu nutzen. Die Stabilisierung der innovativen Unternehmenskultur stützen wiederum vielfältige Maßnahmen:

- Kurze, geschlossene Regelkreise sind unternehmensweit zu etablieren; dabei läßt sich die Eigenverantwortung durch rasches Feedback über die Ergebnisse und Trends fördern.

- Fortschritte müssen gemessen und für alle sichtbar werden.

- An Nahtstellen zwischen Funktionsbereichen und Abteilungen können Informationen verlorengehen und Reibungsverluste auftreten; daher sind traditionelle Funktionsgrenzen aufzulösen.

- Regeln helfen, den Innovationsgedanken zu verankern; beispielsweise könnte vereinbart werden, daß Mitarbeiter prinzipiell die Zeit und Mittel erhalten, um eigene Ideen auszuprobieren.

- Die Mitarbeiter identifizieren sich noch stärker mit dem Unternehmen, wenn sie am Ergebnis etwa in Form von Sonderzahlungen oder sonstigen Vergünstigungen beteiligt werden; ihre Beurteilung und ihre Karrierechancen sind an ihrem Einsatz und ihrer Eignung für den kontniuierlichen Verbesserungsprozeß auszurichten.

- Neue Mitarbeiter müssen von vornherein auf der Grundlage der neuen Unternehmensphilosophie ausgewählt und trainiert werden.

In der letztlich zu erreichenden Phase der Exzellenz stehen sämtliche Maßnahmen, Techniken und Ziele im Einklang mit dem Leitbild der Qualitätsorientierung; man spricht von Konvergenz. Der Innovationsgedanke hat in der Organisationsstruktur nun einen zentralen Stellenwert. Spitzenunternehmen wie die Gewinner des European Quality Award geben beispielsweise ihren Mitarbeitern das Gefühl, zu einer besonderen Gemeinschaft zu gehören. Dennoch ist der TQM-Prozeß auch dann noch beharrlich weiterzuführen:

- Mitarbeiter werden weiter geschult, teilweise in eigenen Ausbildungsstätten mit hohem Standard.

- Neue Mitarbeiter erhalten alle Informationen, um mit Geschichte und aktuellem Stand des Unternehmens vertraut zu werden; auf die Corporate Identity, also die firmenspezifischen Merkmale und Werte, die eine Identifikation erleichtern, werden sie regelrecht eingeschworen.

- Führungskräfte werden möglichst im Betrieb rekrutiert; Nachwuchskräfte können sich in speziellen Programmen qualifizieren.

- Bis in höhere Hierarchieebenen tragen Teams jegliche Verantwortung. Entscheidungen müssen einstimmig fallen.

- Auch flexible Arbeitszeiten, Lob und Gratifikationen für besondere Verdienste (aber auch Tadel und Sanktionen bei gravierenden Verstößen gegen die Unternehmensphilospohie) sowie die freundliche Gestaltung des Firmengeländes und der Arbeitsstätten tragen dazu bei, den Qualitätsgedanken lebendig zu halten.

Daß sich all diese Anstrengungen lohnen, beweisen Vergleiche traditionell und TQM-geführter Unternehmen (Bild 4). So konnte ein im Schwäbischen ansässiger Hersteller von Industriewaagen die Entwicklungszeit neuer Produkte von zwei Jahren auf maximal neun Monate verkürzen; nur mehr ein Drittel aller Modelle ist älter als drei Jahre. Eine Waage wird nun innerhalb von drei bis fünf Tagen gefertigt. Der jährliche Umsatz stieg zwischen 1988 und 1993 von 40 Millionen auf 100 Millionen Mark, derjenige pro Mitarbeiter verdoppelte sich im selben Zeitraum auf 400000 Mark; die Gewährleistungskosten sanken von 2,5 auf 0,1 Prozent des Umsatzes. Weil jeweils produziert wird, was Kunden gerade bestellt haben, konnte die Lagerhaltung, die noch 1982 rund 20 Millionen Mark an Kapital band, weitgehend aufgegeben werden. Das Beispiel zeigt, daß sich der Aufwand schon mittelfristig lohnt: Eine auf Qualität orientierte Unternehmensführung erschließt ungenutzte wirtschaftliche Potentiale, sofern sie sachgerecht eingerichtet und stabilisiert wird.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1997, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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