Direkt zum Inhalt

Design - aus vielen Funktionen wächst die Form

Seit der industriellen Revolution hat sich der Mensch eine künstliche Umwelt der Massenprodukte geschaffen. Gebrauchsgüter so zu gestalten, daß sie nicht nur dem einzelnen Hersteller und dem einzelnen Verwender, sondern der Gemeinschaft dienen und nutzen, ist die Grundaufgabe des Designers; mithin muß die Gesellschaft ihrerseits das qualitativ hochwertige Design fördern.

Kaum ein Fremdwort ist in den letzten Jahrzehnten so populär geworden wie das aus dem Englischen übernommene "Design" (das wiederum auf lateinisch designare in der Bedeutung "einrichten, anordnen" zurückgeht). Die Gründe liegen auf der Hand: Weil die Lebenswelt der hochzivilisierten Gesellschaften durch und durch von industriellen Produkten bestimmt wird, besteht ein immenser Bedarf an solchen mit sympathischer Erscheinungsform, verbunden mit intelligentem Nutzwert – also ein Bedarf an Ergebnissen sorgfältigen Designs. Kein Hersteller könnte darauf noch verzichten, wenn er dauerhaften Erfolg auf dem Markt haben will.

Aber kaum ein Wort wurde auch so oft mißbraucht. Immer wieder sucht man Produkte lediglich mit optischen Reizen aufzubessern, um kurzfristig die Verkäuflichkeit zu fördern. Vielfach wird jegliche visuelle Auffälligkeit als Design bezeichnet, um Qualität zu demonstrieren, die jedoch nur vorgetäuscht ist.

Das Wort Design als Synonym für Gestaltung aller Art zu setzen ist zwar etymologisch richtig; doch die in der Berufspraxis etablierte Bedeutung ist klar gegenüber unbedachter Formsuche einerseits und andererseits gegenüber Kunsthandwerk und Kunst schlechthin abgegrenzt. Design ist nämlich mehr als ein Festlegen der äußeren Erscheinung: Die Arbeit des Designers setzt bei der Bestimmung der Gebrauchsqualität an, wobei die Gestaltung der Form und die Wahl von Farben die technisch rationalen (objektiven) Funktionen für den Benutzer sinnlich wahrnehmbar (subjektiv) vermitteln und emotional unterstützen. In diesem Spannungsfeld sind soziokulturelle Bezüge überaus bedeutsam.

Ob bei einem Objekt mehr die praktisch-rationalen oder die ästhetisch-emotionalen Aspekte dominieren, hängt von dessen jeweiligem Charakter ab – der Entwurf eines Tafelgeschirrs unterliegt anderen Kriterien als der eines Flugzeug-Cockpits. Allerdings bilden in beiden Fällen die Realwerte wie die normativen Bedingungen die Grundlagen und auch die Grenzen für die Gestaltung.

Auf diesen Grundsätzen baut das Industrial Design – worüber hier zu sprechen ist – auf. Die entwerfende Arbeit des Designers ist ein Prozeß mit dem Ziel, Form- und Gebrauchsqualitäten von industriell hergestellten Produkten und Produktsystemen so mitzubestimmen, daß sie dem Menschen in individueller und sozialer Hinsicht dienen. Der Begriff Industrial Design umschließt damit alle Bereiche der mittels technischer Produktion geschaffenen Umwelt. Aufgabe des Designers ist es also, die Technik in kulturelle Zusammenhänge einzubetten und dabei Probleme der Ökologie, des Energie- und Rohstoffverbrauchs, der Produktionsweisen und der Beschaffenheit von Arbeitsplätzen sowie deren soziale Folgen verantwortlich mitzubedenken.


Kriterien der Qualität

Design ist im Prinzip so alt wie die Menschheit. Der Faustkeil eines Hominiden der frühen Altsteinzeit kann ohne weiteres als eines der ersten Design-Objekte gelten, weil ihm prinzipiell gleiche Kriterien für Verfertigung und Anwendung zugrunde lagen wie einer Elektrobohrmaschine heute. In beiden Fällen liegt eine Absicht vor, ein Plan der Herstellung. Beide Hersteller verfolgen das gleiche Ziel: eine bestimmte Arbeit effektiver als mit der bloßen Hand zu verrichten, mit Hilfe von Technik die menschliche Leistung zu steigern. Beide Geräte haben einen physikalisch-technischen Inhalt, der den strukturellen Aufbau wie auch die Art der Herstellung bestimmt; und beide haben schließlich eine Erscheinungsform, die durch das Material, die Gebrauchsfunktion und die angemessene Dimensionierung sowie durch die Vorstellungen des potentiellen Benutzers bestimmt wird.

Ziel, Inhalt und Form sind Eigenschaften aller Design-Objekte. Deren Qualität hängt davon ab, in welchem Maße sie den Wünschen, Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen entsprechen.

Das gegenwärtig zunehmende Interesse an Design dürfte in erster Linie auf ein wachsendes Qualitätsbewußtsein in allen Lebensbereichen zurückzuführen sein, das zusätzlich vom Streben nach mehr Individualität in der jeweils eigenen gegenständlichen Umwelt begleitet wird. Mit hinein spielen Moden in der persönlichen dinglichen Ausstattung wie gerade in der Bekleidung, aber auch in den verschiedenen Verhaltensformen gesellschaftlichen Lebens, also kollektive Vorlieben, Abneigungen und deren Umschwünge.

In der ersten Phase der Industrialisierung suchte man vielfach den Massencharakter beliebig reproduzierbarer Gegenstände unter Dekor zu verstecken; diese Unaufrichtigkeit kulminierte in dem schwülstigen Stil-Eklektizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der epigonal noch immer nachwirkt. Nachdem dann die technologische Entwicklung immer perfektere praktische Produktfunktionen ermöglicht hat, auf die sich manche Objekte der klassischen Moderne demonstrativ beschränken, wuchs wieder das Verlangen, daß Emotionen in den Objekten des alltäglichen Gebrauchs stärker berücksichtigt würden. Dieser gesellschaftliche Wandel verlangt andere Produktqualitäten – solche, die über die bisherige Industriepraxis hinausgehen. Dieser Änderung der Bedürfnisse ist mit technischen Mitteln allein nicht nachzukommen; es handelt sich schlicht um eine andere Kategorie menschlichen Verhaltens, als mit ingenieur- und naturwissenschaftlichen Erfahrungen und Instrumentarien zu fassen ist.

Dabei bleibt unbestritten, daß die Technik die Grundlage aller industriell hergestellten Produkte ist und daß jedem Design-Objekt eine rational begründete praktische Funktion zugrunde liegt. Aber ebenso gilt, daß die eigentlichen Qualitäten der von Menschen unmittelbar benutzten Objekte nur kreativ im Gebrauchszusammenhang zu ermitteln sind.

Um diese Qualitäten beschreiben zu können, müssen wir sie auf ihre unterschiedlichen – sehr vereinfacht gesagt: einerseits objektbezogenen, andererseits menschenbezogenen – Funktionen hin überprüfen. Bei der Entwicklung eines Industrieproduktes fallen in der Regel die Aufgaben aus dem einen Bereich einschließlich der Umweltverträglichkeit der Produkte dem Ingenieur zu. Hingegen ist der Designer derjenige, der die Verantwortung für die Sozialverträglichkeit der Produktwelt trägt.

Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht deshalb die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen den technisch-physikalischen, rationalen, objektiven Bedingungen des Produktes und den soziokulturell geprägten subjektiven Erwartungen und Wahrnehmungen der Benutzer. Dort, wo die industrielle Produktion nicht allein ihre technischen Bedingungen realisieren soll, sondern ebenso humane, gesellschaftliche und ästhetische Ideen, setzt das Interesse des Designers an. Es geht nicht um das bloß Machbare, sondern um das Wünschenswerte.

Durch den Prozeß des Designs werden diejenigen Komponenten eines Objektes bestimmt, welche die Funktionen des Gebrauchs – Umgangsformen, Verhaltens- und Handlungsstrukturen – maßgebend prägen. Dies gilt für die alltägliche Nutzung einfacher Gegenstände wie für komplexe Abläufe in der industriellen Produktion, die zwischenmenschliche Beziehungen nicht minder bestimmen. Design hat somit bedeutenden ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Einfluß. Gutes Design heißt also, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Für die Arbeit am konkreten Objekt folgt daraus: Die praktische Funktion und die ästhetische Wirkung bilden eine Einheit; die Form verhilft der technischen Struktur zu einer besseren Funktion. Stimmen Ratio und Emotion nicht überein, resultieren Störungen im Umgang mit dem Produkt, die es im Extremfall unakzeptabel machen.


Praktische Beispiele

An einem auf den ersten Blick höchst trivial anmutenden Objekt wie der 0,3-Liter-Bierflasche läßt sich dies stellvertretend für andere Produktbereiche demonstrieren (Bild 1). Zunächst war eine Pfandflasche lange Zeit erfolgreich auf dem Markt, hatte aber einen gravierenden rationellen Mangel: Sie war – bedingt durch den langen Hals auf schlankem Körper – viel zu schwer in Relation zum Inhaltsvolumen. Mit einer nur etwas gedrungeneren Einwegflasche gab es jedoch Probleme bei der Pfandrückgabe – sie wurde leicht mit der ersten verwechselt. Als Vorschlag entwickelte ich dann 1969 im Rahmen eines Wettbewerbs eine weitere Form, die durch deutlich reduziertes Gewicht eine Verringerung der Kosten erlaubte und hohe Akzeptanz auf dem Markt erreichte: Sie wurde zur 0,3-Liter-Einheitsbierflasche.

Angeregt von den Vorteilen des Prinzips, dieselbe Flüssigkeitsmenge in weniger Glasmasse unterzubringen, versuchte man eine Weiterentwicklung. Das Ergebnis erwies sich aber als Überoptimierung eines Parameters und konnte die dritte Form nicht mehr verdrängen: Durch konsequente Reduktion der Halslänge ging das Image der typischen Bierflasche verloren; das technisch-ökonomische Kalkül stand zu sehr im Vordergrund – die Form scheiterte am Markt mangels symbolischer Zuordnung.

Um solchen Problemen begegnen zu können, muß die Arbeit des Designers über die Analyse von technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen hinausgehen, hin zu den sozialen und ästhetischen Aspekten, Konventionen und Sehgewohnheiten. An dem zu gestaltenden Objekt ist dann eine spezifische Synthese zu finden. Hilfreich dabei ist unter anderem die Semantik, also ein Verständnis der Bedeutung von Zeichen im weitesten Sinne.

Da wir wissen, daß bei der Wahrnehmung die emotionale Wirkung von Form und Farbe der rationalen Bewertung von Leistung und Qualität vorangeht, sollten Gebrauchsobjekte so gestaltet sein, daß sie auf den Benutzer positiv wirken. Ein typisches Beispiel dafür sind die Design-Alternativen für eine einfache mechanische Schreibmaschine. Das technisch ausgereifte Produkt ließ sich, bedingt durch seine überkommene Gestaltung, nur mehr schwer absetzen; neue Formen sollten spezifische Käuferschichten ansprechen. Nach sorgfältiger Ermittlung der ästhetischen und symbolischen Vorstellungen der potentiellen Nutzer sowohl in der Gruppe der 15- bis 25jährigen als auch innerhalb der älteren Generation entwickelte ich 1972 zwei völlig unterschiedliche Gestaltungen (Bild 2). Auf diese Weise fühlten sich beide Altersgruppen besser und direkter durch das technisch gleiche Produkt angesprochen; jeder wurde das Gefühl vermittelt, sozusagen die richtige Schreibmaschine zu bekommen. Dieses Beispiel zeigt, daß außer der praktischen Funktion die ästhetischen und symbolischen Aspekte des individuellen Anwenders eines der Wesensmerkmale von Gebrauchsvorgängen sind. In der Wechselwirkung dieser Bereiche liegt auch die Wurzel des Wunsches nach fortwährender Innovation.

Eine komplexere Aufgabe war 1988 die Entwicklung einer Mehrprodukt-Zapfsäule. Eine solche Service-Einrichtung ist kein mobiles Objekt, das in unterschiedlichen Umfeldern benutzt wird, sondern Teil einer Gesamtanlage, die hohe funktionale Anforderungen zu erfüllen hat.

Wer eine fremde Tankstelle ansteuert, verbringt die letzten 50 Meter damit, sich zu orientieren. Wo gibt es Normalbenzin bleifrei? Wo Super verbleit? Wo Dieselkraftstoff? Welche Zapfsäule ist gerade frei? An manchen Tankplätzen bilden sich mitunter Schlangen, andere bleiben leer. Man sucht Hinweisschilder, rangiert, behindert einander; man wartet.

Der Schritt von der herkömmlichen Einzel-Zapfsäule zum Multidispenser (Bild 3) ist darum logisch und sinnvoll – sowohl für den Bedienungskomfort als auch für die Verbesserung der gesamten Verkehrs- und Kundenführung. Andere Firmen haben denn auch das gleiche Prinzip – anders gestaltet – nach und nach realisiert. Die Gestaltung visualisiert die Gebrauchsfunktion: Die scheibenartige Gliederung der Gerätestruktur und das Hervortreten der jeweiligen funktionstragenden Elemente unterstützen die Orientierung, die Wahl der gewünschten Sorte und die eindeutige Zuordnung von Sortenbezeichnung, Zapfventil und Schlauch.

Der Ordnungseffekt für die gesamte Tankstelle bewirkt, daß der Einfahrende die Multidispenser sofort wahrnimmt und als beidseitig zu nutzende Einheiten erkennt. Die üblichen Beschriftungstafeln entfallen. Die farbliche Gliederung erleichtert dem Benutzer unaufdringlich die Bedienung. Der weiße, trapezförmige Anzeigekopf ist ein eindeutiger Orientierungspunkt und ein Zuordnungsmerkmal für die Säulenidentifikation mittels Tankplatznummer – auch über Autodächer hinweg.

Die Modulbauweise mit kompakten Komponenten – jede Pumpeneinheit für eine Kraftstoffsorte ist komplett für zweiseitige Bedienung ausgestattet – ermöglicht, jede Tankinsel nach Bedarf zu variieren; das Angebot an Kraftstoffsorten kann an jeder bestehenden Anlage leicht durch Auf- beziehungsweise Abrüsten von Zapfmodulen erweitert oder verringert werden. Technische Neuerungen waren des weiteren die DM-Vorwahl und die integrierte Schlauchaufwicklung.

Diese Design-Lösung schließt auch eine rationelle Fertigung der Komponenten ein. Zudem erleichtern die Kompaktbauweise der Aggregate und die konsequente Verwendung von Einschubtechnik die Wartung erheblich, was Betriebskosten spart.

An diesem Beispiel ist die Verflechtung der drei charakteristischen Merkmale des Industrial Designs – praktische Funktion, technische Aufbauform und eine den Anwender führende Erscheinung – wohl am deutlichsten ablesbar. Mit dieser Feststellung weiche ich durchaus nicht dem oft provozierend geäußerten Urteil aus, daß Design manipuliere. Es trifft nicht zu auf die optische Verpackung eines Produkts, die bloß Begehrlichkeit wecken soll, weil derlei Gestaltung zwar manipuliert, aber kein Design im seriösen Sinne ist. Es trifft jedoch sehr wohl zu in dem Sinne, daß Objekte eben nicht nur rational, sondern auch emotional wahrgenommen werden und daß ein Produkt hochwertiger ist, wenn es außer den praktischen Funktionen auch die Gefühle, ästhetischen Vorstellungen und Erwartungen des konkreten Benutzers erfüllen kann.

Dabei haben Modetrends und Statusdenken allerdings großen Einfluß. Deshalb ist die Kenntnis von Methoden, Fakten und Erfahrungswerten aus dem sozialen Leben unerläßlich für die umfassend gestalterische Arbeit. Eine wesentliche Hilfe sind zudem wissenschaftliche Erkenntnisse über das Wahrnehmungsverhalten, insbesondere über die Mechanismen der visuellen und haptischen Wahrnehmungen. Denn die Form hat durch das, was sie über das Auge signalisiert und über die Hand im Wortsinne faßlich und begreiflich macht, eminent vorprägende Bedeutung; sie beeinflußt nicht nur die Einstellung gegenüber dem Produkt, sondern dadurch auch dessen praktische Nutzbarkeit. Eine intensive Auseinandersetzung mit Formproblemen ist daher ohne Kenntnisse der Informationstheorie und der Wahrnehmungspsychologie, um nur die wesentlichen Grundlagen zu nennen, nicht denkbar.


Trends und aktuelle Aufgaben

In der Geschichte des Designs haben unterschiedliche Probleme im Mittelpunkt des Interesses gestanden, bedingt auch durch Ansprüche von außen. Sehr vereinfacht läßt sich feststellen: In den fünfziger Jahren waren es die Ingenieurwissenschaften, in den folgenden Dekaden die Methodologie, dann die Soziologie und schließlich die sogenannte Sinnlichkeit. Die verbleibenden neunziger Jahre und einige der Folgezeit werden sicherlich durch die digitale Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologie bestimmt werden.

In Reaktion auf die technikorientierte Phase der Produktgestaltung setzte im vergangenen Jahrzehnt eine Gegenbewegung ein, wobei die Betonung zweckfreier Emotionalität unter dem Deckmantel angeblich gewünschter Individualität zur Folge hatte, daß sogenannte Trendsetter sich zunehmend von der Funktionalität zugunsten inhaltsloser chaotischer Formspiele entfernten. Wasserkessel, an denen man sich die Hand verbrennt, Stühle, auf denen man nicht sitzen kann, wurden von Publikumsmedien als spektakulär hochgespielt. Das Design und der Berufsstand sind in gefährliche Nähe von Showbusiness geraten. Für viele Gestalter war das vorrangige Ziel, ihre Kreationen in Museen zeitgenössischer Kunst plaziert zu sehen.

Die Hypertrophie ästhetischer Experimente wie in der letzten Dekade hat sich erschöpft, ohne wegweisende Perspektiven aufzuzeigen. Eine neue Besinnung sowohl auf die individuellen Ansprüche des Nutzers als auch auf nötige herstellerspezifische Charakteristika ist wieder erkennbar.

Als noch die Mechanik dominierte, konnten aus der visuellen Nachvollziehbarkeit von Funktionen – beispielsweise bei einer Handbohrmaschine aus der Struktur ihrer Bauteile – die Grundlinien der Formgestaltung quasi automatisch definiert werden (Bild 4). In der digitalen Welt hingegen ist keine ähnliche Hilfe mehr zu finden. Die Elektronik hat sozusagen keine dreidimensionale Form. Jeder Chip sieht, mit bloßem Auge betrachtet, im Prinzip gleich aus – unabhängig davon, ob er einen Schachcomputer steuert oder einen Bagger. Dieser Verlust der Anschaulichkeit, dem heute viele Industrieprodukte oder doch ihre wesentlichen funktionalen Komponenten unterliegen, fordert ein prinzipielles Umdenken im Design.

Die Hardware-Orientierung wird mithin zugunsten der Software-Orientierung in ihrer Bedeutung rapide abnehmen. Das Problem, infolge technologischen Wandels neue Sehweisen entwickeln zu müssen, ist allerdings nicht neu: Man erinnere sich nur daran, wie lange es gedauert hat, bis die Autos ihre Pferdekutschenform abgelegt hatten.

Aktuellste Aufgabe des Industrial Designs ist es, die Kommunikation zwischen Mensch und Objekt zu unterstützen und zu erleichtern. So haben wir beispielsweise einen modularen LCD-Flachbildschirm (LCD steht für liquid crystal display, Flüssigkristall-Anzeige) für unterschiedlichste Anwendungen entwickelt. Das Grundmodul (Bild 5) kann durch Ankoppeln weiterer Bausteine und Leitungen über mechanische und elektronische Kontakte auf der Rückseite des Gehäuses zum Computer-Terminal werden oder zum Fernsehgerät, an das sich wiederum seitlich zwei Lautsprecher für Stereo-Empfang andocken lassen. Ein Video-Modul macht die Einheit zum Bildtelephon, etwa für Konferenzschaltungen; und mit entsprechenden Modulen ist das Gerät interaktiv für Schach und andere Spiele verwendbar. Auch die Verbindung mehrerer Bildschirme ist vorgesehen, so daß man großflächige Mediawände zusammenstellen kann.

Ein weiteres Beispiel für künftige Arbeiten sind neue Arten des Geldverkehrs. Wir haben dafür Prototypen tragbarer und ortsfester Kommunikationsgeräte entwickelt, die es dem Bankkunden erlauben, überall zu jeder beliebigen Zeit bargeldlos ein Geschäft abzuwickeln, sowie sogenanntes elektronisches Geld – bedienbare Kreditkarten im Taschenrechner-Format (Bild 6).

Moderne Hochtechnologie entwickelt sich freilich in vielen Bereichen. Das ist auch erforderlich, und zwar in interdisziplinärer Kooperation, weil es so schwierige Probleme anzugehen gilt wie die Schonung von Ressourcen, die Erschließung regenerativer Energiequellen und das Recycling von Werkstoffen. Der Beitrag der Design-Forschung dazu kann nicht sein, einen gewissermaßen grünen Stil zu kreieren; sie muß vielmehr helfen, Ideen zusammenzuführen sowie ökologische Projekte und Verfahren attraktiv zu machen und durchzusetzen.

Ein Beispiel aus unserer Arbeit ist der Sonnenziegel (Bild 7), eine Energiespar-Dachpfanne gänzlich neuer Art. Das einzelne Element ist ein schlauchgeblasener Hohlkörper aus wiederaufbereitetem Polypropylen mit einer Verbindungsdichtung aus Gummi. Die mit Ruß schwarz eingefärbten Kunststoffziegel absorbieren die solare Wärmestrahlung, die ein Speichermedium abführt; diese Flüssigkeit zirkuliert aufgrund des Thermosyphoneffekts in dem System verbundener Ziegel von selbst und gibt die Energie über einen Wärmetauscher ab.

Die Kollektoren wirken im Aussehen ähnlich wie herkömmliche dunkle Dachpfannen. Deshalb bieten solche Sonnenziegel eine Alternative bei der Gebäudesanierung wie bei Neubauten. Weil die Gummidichtungen vor ultravioletter Strahlung geschützt sind, kann eine Betriebsdauer von mindestens 20 Jahren garantiert werden. Schließlich sind die Kollektoren auf einfache Weise recyclierbar – das Material kann verlustfrei abermals zu Sonnenziegeln verarbeitet werden.

Design ist eine multidisziplinäre Disziplin. Es ist als Prozeß zu verstehen, in dem die technischen, ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Belange der industriellen Produktion kanalisiert, moderiert und integriert werden. Die Gestaltung, der sinnlich wahrnehmbare Aspekt, bildet die Brücke zwischen dem Produkt und seinem Benutzer. Gutes Design hat mithin für die Menschenwürdigkeit unserer künstlichen Umwelt zu sorgen – wie Architektur und Raumplanung für eine lebensfreundliche Kulturlandschaft. In welchem Maße das gelingt, hängt allerdings auch davon ab, wie Wirtschaft, Industrie, Politik und jeder einzelne Verbraucher sich dazu stellen und die Gesellschaft insgesamt die umweltschonende Herstellung langlebiger Produkte begünstigt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.