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Dezentrales Umwelt-Informationsmanagement - Chancen für eine nachhaltige Entwicklung

Fernerkundung kann wesentlich zur Verbesserung der Lebensbedingungen in der Dritten Welt beitragen, falls die damit gewonnenen ökologischen Erkenntnisse tatsächlich als Planungs- und Kontrollinstrumente genutzt werden. Beispielhaft arbeitet ein von Deutschland gefördertes Informationszentrum in Simbabwe.

Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung Mitte Juni 1992 in Rio de Janeiro (Brasilien) sollte der Anfang einer neuen weltweiten Zusammenarbeit sein. Deren Leitmotiv – Nachhaltigkeit – wird im Strategiedokument "Agenda 21" beschrieben: als Nutzung der Lebensgrundlagen in der Weise, daß nicht nur die Bedürfnisse der heutigen, sondern auch der künftigen Menschen erfüllt werden, somit als Solidarität über Generationen hinweg.

Besondere Bedeutung dafür hat das Verständnis jedes einzelnen für ökologische Zusammenhänge. Umweltzerstörung und Ressourcenplünderung in den Entwicklungsländern, die schon heute großen Bevölkerungsgruppen kaum das Existenzminimum lassen, sind auch deshalb möglich, weil die Gesellschaft dort über ihre kritische Situation nur unzureichend informiert ist und sich deshalb in ihrem Verhalten nicht schnell genug anpassen kann. Das wäre aber erforderlich, um insbesondere das anhaltende Bevölkerungswachstum einzudämmen.

Eingehend über ökonomische, ökologische und soziale Gegebenheiten sowie über erwartbare Veränderungen unterrichtet zu sein, mithin sich auf regionale und globale Herausforderungen frühzeitig einstellen zu können, war bislang ein Privileg hochtechnisierter Länder. Für eine nachhaltige Entwicklung ist aber Beidseitigkeit nötig: Jeder muß gleichberechtigt Nutzer und Lieferant von Daten, Erfahrungen und Kenntnissen sein dürfen, wie auch der Umgang mit den Ressourcen der Erde auf gegenseitigem Einvernehmen der Industrie- und Entwicklungsländer und auf der Grundlage ökologischen Denkens beruhen muß. Des weiteren reicht es nicht, politische und wirtschaftliche Führungsschichten sowie ausgewählte Institutionen der Dritten Welt in diesen Kommunikationsprozeß einzubeziehen. Vielmehr muß ein effektives Umwelt-Informationsmanagement dezentral sein, damit sich in den betreffenden Ländern alle Bevölkerungsgruppen für eine ökologisch angepaßte, ökonomisch tragfähige und sozial verträgliche Entwicklung engagieren.

Das als Agenda 21 verabschiedete Aktionsprogramm bedeutet einen Schritt in diese Richtung. Bisher stand der reine Transfer von Umweltinformationen, die in den entwickelten Ländern gewonnen und aufbereitet werden, isoliert im Vordergrund. Wirksam können sie jedoch nur im Kontext umfassenderer Konzepte werden, die auf dem Grundverständnis der Situation im jeweiligen betroffenen Land aufbauen und dessen wesentliche soziokulturelle und technologische Bedingungen einbeziehen. Die Suche nach Ansätzen zur Lösung von Umweltproblemen in der Dritten Welt muß also gemeinsame Sache der entwickelten und unterentwickelten Länder sein; es gilt, institutionelle Strukturen prozeßorientiert zu fördern und umweltpolitische Lenkungsinstrumente mit ökonomischen Anreizen aus der Steuer- und Innovationspolitik zu verknüpfen. Nachhaltige Entwicklung wird sich erst einstellen, wenn man sie länderübergreifend betreibt, etwa durch interregionale Netzwerke wie das Internationale Bergregionen-Zentrum in Nepal, deren Fortgang beobachtet und unerwünschte Effekte prozeßbegleitend korrigiert.

In solch übergreifendem Zusammenhang gewinnt das Management von Umweltinformationen eine neue Dimension. Es kommt zur Zeit nicht so sehr darauf an, etwa zusätzliche Fernerkundungsprogramme zu starten, um die ökowissenschaftlichen Erkenntnisse zu vervollständigen. Dringlich ist vielmehr:

- Potentiale für die Nutzung von Umweltinformation im Entscheidungsprozeß zu schaffen, beispielsweise durch die Bestimmung von Umweltindikatoren zur Bekämpfung der Wüstenbildung;

- den Zugang zu den vorhandenen Umweltinformationen durch systematische Dokumentation wesentlich zu verbessern und transparenter zu gestalten;

- den im Verhältnis zu den hohen Kosten von Fernerkundung aus dem All bislang äußerst bescheidenen Aufwand für einen nutzerfreundlichen Zugang zu den erfaßten Daten zu erhöhen, sowie

- statt einseitigen Technologietransfers technologische Kooperation für das Umweltmanagement zu betreiben.

Der Realisierung dieser Forderungen sind derzeit drei Entwicklungstrends förderlich:

- die Liberalisierung des öffentlichen Sektors in vielen Entwicklungsländern, so in Vietnam, Moçambique, Chile und anderen,

- das verstärkte ökologische Verständnis und die Verknüpfung der Konzepte zur Lösung lokaler, nationaler und globaler Umweltprobleme sowie

- die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Ein Beispiel für ein dezentrales Umwelt-Informationsmanagement ist das Zentrum für Fernerkundung, Umwelt und Geographische Informationssysteme (Environment and Remote Sensing Institute, ERSI) in Harare (Simbabwe). Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützt dieses Zentrum im Auftrag der Bundesregierung bei der Bereitstellung, Verarbeitung und Aufbereitung von Satellitendaten, die als Grundlage für Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen dienen können (Bild 1).

Die neue Technik der Fernerkundung ermöglicht für viele Gebiete der Dritten Welt die erstmalige und für andere eine schnellere und umfassendere Erhebung, Auswertung und Bereitstellung von Umweltdaten und somit eine kostengünstigere Entwicklungszusammenarbeit. Sie gestattet einen raschen Überblick über die betreffende Region, ihre überregionale Verflechtung, ihre Besiedlung, ihre natürlichen Ressourcen, deren Verteilung und Nutzung und über Veränderungen im Laufe der Zeit (Bilder 2 und 3). Für Sektoren wie Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Administration von Infrastrukturen ist Fernerkundung deshalb zu einem unerläßlichen Planungs-, Durchführungs- und Monitoringinstrument geworden; sie wird künftig sicherlich in noch weit größerem Umfang eingesetzt werden.

Trotz aller wohlmeinenden Bekundungen auf der Konferenz von Rio de Janeiro besteht die Gefahr, daß technischen Ansätzen zur Lösung von Umwelt- und Entwicklungsproblemen nach wie vor zu hohe Priorität eingeräumt und dabei der einzelne Mensch in seinem Umfeld zu wenig berücksichtigt wird. Allein durch präzisere Informationen ist noch nichts gebessert. Nachhaltigkeit setzt ein Umdenken und Verhaltensänderungen aller voraus.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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