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Die Aufgaben von Stiftungen im Rahmen der Wiedervereinigung

An gemeinnützigen Stiftungen sind, obwohl viele im stillen wirken, in den alten Ländern der Bundesrepublik rund 5000 bekannt; davon ist gut ein Fünftel der Bildung und Erziehung, gut ein Zehntel der Wissenschaft, Forschung und Lehre gewidmet. Nachdem in der DDR das Stiftungswesen nahezu untergegangen war, gibt es in den neuen Bundesländern mittlerweile wieder rege derartige Aktivität.

So unerwartet und rasch die am 3. Oktober 1990 staatsrechtlich vollzogene deutsche Wiedervereinigung war, so langwierig wird ihre Vollendung sein – unter jedem nur denkbaren Aspekt, vor allem aber unter dem des neuerlichen Zusammenwachsens beider Bevölkerungsteile. In diesem Prozeß haben die demokratisch gewählten Regierungen (auf allen Ebenen), die Unternehmen und Institutionen sowie schließlich alle Bürger mitzuwirken. Dabei spielen Stiftungen eine nicht unwichtige Rolle.


Die Tätigkeit im Westen

Stiftungen haben in Deutschland eine lange Tradition, zunächst vornehmlich im kirchlichen Bereich aus frommer Mildtätigkeit und zur Krankenpflege, aber seit Beginn des vorigen Jahrhunderts zunehmend im weltlichen für Soziales, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung. Eine der ältesten weltlichen Stiftungen ist die Stiftung Städelsches Kunstinstitut (errichtet 1816, Bild 1). Hans Liermann aus Würzburg und Helmut Coing, der frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt, haben die geschichtliche Entwicklung des Stiftungswesens eingehend nachgezeichnet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Stiftungswesen in der Bundesrepublik, insbesondere durch Errichtung großer Stiftungen, neuen Aufschwung erhalten. Auch an Reformdiskussionen hat es nicht gefehlt. Wenn wir von den Familienstiftungen absehen, die der Unterstützung und Versorgung verwandter Personengruppen gewidmet sind, so erfüllen im übrigen Stiftungen in aller Regel gemeinnützige Zwecke im weitesten Sinne; diesen gemeinwohlkonformen Allzweckstiftungen steht deshalb das Privileg der Steuerfreiheit zu.

Nach den neuesten – mangels ausreichender Publizität schwierigen – Erhebungen sind, wie dem 1991 vom Bundesverband Deutscher Stiftungen herausgegebenen "Verzeichnis Deutscher Stiftungen" (Hoppenstedt-Verlag, Darmstadt) zu entnehmen ist, in den alten Bundesländern rund 5000 Stiftungen erfaßt. Gewidmet sind davon

- 33,8 Prozent sozialen Aufgaben,

- 21 Prozent der Bildung beziehungsweise Ausbildung und Erziehung,

- 11 Prozent der Wissenschaft, Forschung und Lehre,

- 9,5 Prozent der Kunst und Kultur sowie

- 6,1 Prozent der Förderung der Gesundheit;

- die restlichen 20 Prozent verteilen sich auf eine Vielzahl von Zwecken meist ebenfalls gemeinnütziger Art.

Diese Aufteilung bedeutet nicht, daß die Erträge aus den Stiftungsvermögen im gleichen Verhältnis verwandt würden. Nach vorsichtigen Schätzungen geht etwa die Hälfte der jährlich zur Verfügung stehenden Mittel in die Förderung von Wissenschaft und Forschung, weil die kapital- und ertragstarken Stiftungen gerade diese Zwecke verfolgen.


Die Situation im Osten

Dieser Überblick bezieht die neuen Bundesländer (bis auf wenige Ausnahmen) nicht ein. Dies liegt daran, daß in der DDR ein Großteil der Stiftungen, die 1945 bei Kriegsende noch bestanden hatten, in den folgenden 40 Jahren durch staatliche Eingriffe entweder ihr Vermögen verloren oder sonst untergingen. Das Zivilgesetzbuch der DDR von 1975 hat unter den juristischen Personen Stiftungen gar nicht mehr aufgeführt; Übergangsvorschriften ließen zwar einige wenige noch bestehen, ermöglichten aber den staatlichen Behörden weitgehende Eingriffsmöglichkeiten.

Dank eines im September 1990 noch vor der Wiedervereinigung ergangenen neuen Stiftungsgesetzes, das nach dem Einigungsvertrag fortgilt, können nun im Osten Stiftungen verhältnismäßig schnell entstehen. Einige neue sind dort auch bereits errichtet oder alte wiederbelebt worden, so die Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale (Bild 2). Inwieweit sich im übrigen alte untergegangene Stiftungen rechtlich wieder instituieren lassen und ob sie ihr früheres Vermögen zurückerlangen können, muß jeweils im Einzelfall entschieden werden.

Vor diesem Hintergrund ist seit der frühen Zeit der Wende, also ab 1989, und insbesondere seit der Wiedervereinigung eine sehr lebhafte Aktivität von (west-) deutschen Stiftungen in den neuen Bundesländern zu beobachten. Die Jahresberichte und sonstigen Verlautbarungen der großen Einrichtungen wie Volkswagen-, Fritz-Thyssen-, Robert-Bosch-Stiftung oder Deutsche Bundesstiftung Umwelt erweisen, daß dort in erheblichem Umfang und mit großer Energie Stiftungsvorhaben verfolgt werden; nach meiner Kenntnis werden auch von vielen kleineren und mittelgroßen Stiftungen Mittel in die neuen Bundesländer vergeben. Je nach ihrer Zweckbestimmung werden dabei Wissenschaft, Forschung, Lehre, Bibliotheken, Denkmalspflege und Schulen unterstützt. Einige Stiftungen widmen sich wiederum besonders der Förderung Jugendlicher; vielfach steht Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund, wodurch ein Anstoß zu Bürgerinitiativen – vor allem im sozialen Bereich – gegeben werden soll. Damit verbunden sind Initiativen, die zu ehrenamtlichen Engagements anregen. Stiftungen unterstützen auch Veranstaltungen jeder Art, die Verständnis für die internationale Kooperation wecken und verbreiten. Im universitären Bereich ist die Errichtung von Stiftungslehrstühlen zu erwähnen, die zugleich für eine Anlaufperiode von etwa drei bis fünf Jahren die Länder-Haushalte entlasten.

Ein vollständiger Überblick über die Aktivitäten in den neuen Bundesländern, der auch Zahlenangaben umfassen würde, ist nicht möglich. Hier wirkt sich unter anderem ein altes Übel im deutschen Stiftungswesen aus: mangelnde Publizität. Zwar sind die großen deutschen Stiftungen, insbesondere solche nach 1945 errichteten, beispielhaft in ihrer Öffentlichkeitsarbeit; doch scheinen viele die Maxime "Tue Gutes und rede darüber" noch nicht als respektabel und dienlich erkannt zu haben.

In den USA zum Beispiel ist auf ganz anderem Wege – über eine der Öffentlichkeit zur Verfügung stehende Steuererklärung – sehr weitgehende Transparenz gewährleistet. Das Foundation Center in New York verwertet die so erhältlichen Angaben in entsprechenden Computerprogrammen; die Ergebnisse sind jedermann zugänglich. Es wird eine der künftigen Aufgaben im deutschen Stiftungswesen sein, in dieser Hinsicht Verbesserungen zu schaffen. Dies würde vor allem auch langfristig aufzuhellen ermöglichen, auf welchen Gebieten und in welchem Umfang Stiftungen oder ähnliche Institutionen wie die Stiftung GmbH die ihnen im jeweiligen Statut vorgeschriebenen Zwecke erfüllen. Es wäre dann auch ein Vergleich möglich zu den Leistungen, die auf denselben Gebieten die öffentliche Hand erbringt.


Bedingungen und Belastungen

Die Leistungsfähigkeit von Stiftungen hängt zunächst von einer effizienten Verwaltung ab, die sowohl die ordnungsmäßige und ertragbringende Anlage des Vermögens als auch eine planvolle und überlegte Verwendung der jährlich anfallenden Mittel im beabsichtigten Sinne gewährleisten muß. In beiden Bereichen verfügt das deutsche Stiftungswesen durch die Entwicklung nach 1945 über eine nunmehr jahrzehntelange Erfahrung; die Effizienz kann sich durchaus mit der in vergleichbaren (vor allem westlichen) Ländern messen. Diese Erfahrungen kommen auch den Aktivitäten der (west-)deutschen Stiftungen in den neuen Bundesländern zugute.

Richtig organisierte Stiftungen arbeiten schnell, flexibel und unbürokratisch. Allerdings sind sie – abgesehen von der staatlichen Aufsicht, die in den Händen der Länder liegt – weitgehend von einer förderlichen Steuergesetzgebung abhängig; dies gilt insbesondere für steuerlich als gemeinnützig anerkannte Stiftungen (die dieser Beitrag im Auge hat). Hier hat es in den letzten Jahren einige Verbesserungen gegeben, für die Stiftung etwa, daß nun die Bildung einer Leistungserhaltungsrücklage zulässig ist, und für den Spender, daß er die Abzugsfähigkeit sogenannter Großspenden steuerlich auf mehrere Jahre verteilen kann. Gerade im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung wäre es jedoch wünschenswert, Stifter und Spendenaktivitäten in den neuen Bundesländern dadurch besonders zu fördern, daß insoweit beim Stifter (Spender) eine höhere Abzugsfähigkeit von der Einkommensteuer (beispielsweise zwischen 20 und 30 anstatt bisher 5 oder 10 Prozent) zugelassen wird. Führte der Bundesgesetzgeber dieses Privileg ein, würde das viele Deutsche ermuntern, entsprechende Stiftungen zu errichten oder Zustiftungen beziehungsweise Spenden zu machen, vielleicht auch mit Vermögen, das ihnen – unerwartet – im Osten Deutschlands wieder zufließt (hierfür gibt es schon heute ein bemerkenswertes Vorbild).

In den kommenden Jahren sind starke finanzielle Belastungen zu gewärtigen, die im wesentlichen von den Bürgern in Form von Steuern und Abgaben aufzubringen sind. Hinzu kommt, daß die Wirtschaft sich noch immer in einer Rezession befindet, deren Überwindung nach allgemeiner Erkenntnis tiefgreifende strukturelle Veränderungen (auch in den einzelnen Unternehmen) mit sich bringen wird. Alle Haushalte der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Gemeinden) sind auf Einsparungen angelegt, wenn nicht durch weitere Neuverschuldung die künftigen Generationen weiter belastet werden sollen. Auch Kultur, Kunst und Wissenschaft sind von Sparmaßnahmen betroffen. Zwar sind es gerade diese Bereiche, denen das Bundesverfassungsgericht in großzügiger Weiterentwicklung des Grundgesetzes (Artikel 5, Absatz 3) Erhaltungs- und Förderungspflicht durch den Staat zuerkannt hat, aber – so muß man heute hinzusetzen – nur im Rahmen des volkswirtschaftlichen Ganzen.

Diese Entwicklung bleibt selbstverständlich auf Stiftungen nicht ohne Einfluß. Es gilt zwar im Stiftungswesen der feste Grundsatz, daß die vergebenen Mittel nicht Lückenbüßer sein sollen dort, wo die Finanzierung durch die öffentliche Hand fehlt oder nicht ausreicht. Aber es ist offensichtlich, daß gegenwärtig – gerade in dem größer gewordenen Bundesstaat Deutschland – die Kooperationsbereitschaft aller jeweils Beteiligten gefordert ist. In diesem Rahmen werden auf die bestehenden Stiftungen sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern noch weitere Aufgaben zukommen. Diese umfassen außer Forschung, Wissenschaft, Kultur, Kunst und Denkmalpflege sicherlich auch Gebiete wie Jugendwohlfahrt, Erwachsenenbildung und Völkerverständigung, um nur einige zu nennen. Bei solchen weiteren, gegebenenfalls intensiver zu verfolgende Aktivitäten geht es letztlich um die Umsetzung privater Initiativen, die Stifter durch Hingabe von Vermögen für solche Zwecke vorgegeben haben. Solche Initiativen, die in der Errichtung von Stiftungen oder durch Zustiftungen oder Spenden ihren Ausdruck finden können, seien hiermit angeregt; auf diesem Wege kann noch viel zur materiellen und geistigen Ausgestaltung der Wiedervereinigung erreicht werden.

Es gehört in den Rahmen dieses Beitrages der Hinweis darauf, daß unser Augenmerk in den westlichen Ländern sich auch auf die Entwicklung eines Stiftungswesens in den osteuropäischen Ländern richten sollte. Bestrebungen dazu sind im Gange, aber sie werden wohl nur langfristig Erfolg haben können; denn Stiftungen benötigen die Zuwendung von Vermögen, und das muß erst erarbeitet werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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