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Tektonik: Die bewegte Geschichte des Nordatlantiks

Die Trennung von Nordamerika und Europa vor 120 bis 40 Millionen Jahren war ein überraschend komplizierter Vorgang. So verlief die Bruchstelle zunächst zwischen Grönland und Kanada, bis ein Aufstrom heißen Gesteins aus dem Erdmantel den Festlandblock zwischen Grönland und Skandinavien spaltete. Erst jetzt enthüllen Satelliten-Messungen und die seismische "Durchleuchtung" des Erdmantels den Vorgang in seiner ganzen Dramatik.


Dass die Küstenlinien auf beiden Seiten des Atlantiks erstaunlich gut zusammenpassen, fiel schon vor Jahrhunderten manch einem Gelehrten beim Kartenstudium auf – so dem englischen Philosophen Francis Bacon (1561–1626) und dem deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt (1769–1859). War die Übereinstimmung reiner Zufall oder steckte mehr dahinter?

"Amerika wurde von Europa und Afrika weggerissen ... durch Erdbeben und Fluten", meinte 1596 der flämische Kartograf Abraham Ortelius. Der deutsche Theologe Theodor Lilienthal entdeckte 1756 gar in der Bibel die vermeintliche Bestätigung für ein Aufbrechen der Kontinente, durch das sich der Atlantische Ozean bildete. Im 1. Buch Mose, Kapitel 10, Vers 25 steht: "Eber wurden zwei Söhne geboren. Einer hieß Peleg, weil zu seiner Zeit die Erde zerteilt wurde...".

Als der Meteorologe und Geophysiker Alfred Wegener 1912 seine Theorie der Kontinentalverschiebung veröffentlichte, konnte er zwar viele geowissenschaftliche Argumente für eine gemeinsame Vergangenheit der Landmassen zu beiden Seiten des Atlantiks ins Feld führen. Doch eine überzeugende geophysikalische Erklärung, wie die Kontinente gewandert sein sollten, musste er schuldig bleiben. Die zeichnete sich erst in den 1960er Jahren ab, als nach der Entdeckung des Sea-Floor Spreading (der Spreizung des Ozeanbodens) die Theorie der Plattentektonik entwickelt wurde.

Demnach zerfällt die äußerste Schale der Erde, die Lithosphäre, in relativ starre Platten, die sich über einer zähplastischen Schicht, der Asthenosphäre, bewegen. Mit einer mittleren Dicke von etwa hundert Kilometern bestehen sie aus der Erdkruste und einem Teil des oberen Mantels. Sie wachsen an den mittelozeanischen Rücken durch Anlagerung von Magma, das aus der Tiefe aufsteigt, ständig nach und gleiten von dort seitwärts davon. Die neu gebildeten Meeresbodenbereiche werden jeweils parallel zum Erdmagnetfeld magnetisiert. Da sich der Geodynamo aber in Abständen von einigen 100000 bis Millionen Jahren umpolt, entstehen längs der Rückenachse Streifen mit wechselnder Magnetisierungsrichtung. An Subduktionszonen, die oft in der Nähe von Kontinenten liegen und an der Oberfläche als Tiefseegräben ausgeprägt sind, tauchen die ozeanischen Platten in den Erdmantel ab und werden dort aufgeschmolzen.

Die Kontinente sind Teil dieser Platten und bewegen sich weitgehend passiv mit ihnen mit. Allerdings können sie im Unterschied zu ozeanischen Plattenbereichen nicht an Subduktionszonen in den Erdmantel absinken. Wenn zwei Kontinente zusammenstoßen, werden sie miteinander verschweißt; das ist beispielsweise mit Indien und Asien geschehen. Umgekehrt können Festlandmassen aber auch aufreißen und sich teilen. Die Bruchstücke entfernen sich dann allmählich voneinander, wobei zunächst ein Meeresarm zwischen ihnen entsteht, der sich schließlich zum Ozean erweitert. So wurden auch Neue und Alte Welt getrennt (Spektrum der Wissenschaft 8/79, S. 12).

Vom groben Schema zum scharfen Bild


Die ersten Rekonstruktionen der Geschichte des Atlantiks stützten sich hauptsächlich auf Tiefenmessungen mit dem Echolot und auf damals noch vergleichsweise wenige Bohrungen in der Tiefsee. Die bathymetrischen Daten enthüllten – relativ grob, aber ausreichend für das große Bild – die Topographie des Atlantikbodens: den imposanten Mittelatlantischen Rücken, der den Ozean s-förmig von Nord nach Süd durchzieht, die zu beiden Seiten hin allmählich abfallenden Becken, die tiefen Einschnitte der Scherzonen, an denen der Rücken immer wieder bis zu mehrere hundert Kilometer seitwärts versetzt ist. Die Bohrkerne gaben Aufschluss über Leitfossilien in den Sedimenten sowie über die Magnetisierung der darunter liegenden basaltischen Kruste und erlaubten damit, das Alter der durchteuften Gesteine zu bestimmen.

Seitdem sind zahlreiche Daten hinzugekommen. Mehr noch: Neue Beobachtungsmethoden erlauben heute nicht nur, ein viel detaillierteres Bild vom Ablauf der Ozeanbildung zu zeichnen, sondern vermitteln auch eine Vorstellung von den geodynamischen Prozessen im Erdmantel, die das Geschehen in der Lithosphäre und damit auch an der Erdoberfläche steuern. Zu diesen neuen Methoden gehören insbesondere die Satelliten-Altimetrie, also die Höhenmessung von Satelliten aus, sowie die seismische Tomographie, bei der Erdbebenwellen dazu dienen, das Erdinnere zu "durchleuchten".

Das Bild von der Entstehung und Entwicklung des Atlantiks, das aus den modernen Untersuchungen resultiert, unterscheidet sich deutlich von der weit verbreiteten Vorstellung eines mehr oder weniger schematischen Aufreißens der Lithosphäre, wie es zusammenfassende Darstellungen der Plattentektonik oft nahe legen. Die Vorgänge sind weitaus komplizierter – und damit auch spannender.

In der Arbeitsgruppe "Satellitengeodäsie und Geodynamik" an der Universität Frankfurt haben wir die neuen Beobachtungsmethoden auf einen Teil des Nordatlantiks angewendet. Um unsere Ergebnisse im Zusammenhang darzustellen, wollen wir sie im Folgenden eingebettet in einen Abriss der gesamten Atlantik-Entstehung nach heutigem Kenntnisstand präsentieren.

Unser Untersuchungsgebiet, das hier vereinfachend "Nordatlantik" genannt sei, erstreckt sich von der markanten Charlie-Gibbs-Scherzone bei 52 Grad Nord, also etwa auf der Höhe Südirlands, bis hinauf nach 80 Grad Nord. Es erschien uns besonders attraktiv, weil es von fast allen Anrainerstaaten intensiv beobachtet und untersucht wird; deshalb stehen reichlich Daten zur Verfügung. Zudem ist die tektonische Entwicklung hier auf sehr komplexe Weise mit den Prozessen im tiefen Erdinnern verknüpft, sodass wir mit neuen Einsichten in die Natur und die "Arbeitsweise" unseres Planeten rechnen konnten. Auf beträchtliche Dynamik in der Tiefe weist schon der sehr starke Vulkanismus hin, mit dem die Geschichte des Nordatlantiks verbunden war und immer noch ist.

Die heftigsten Eruptionen gingen der Öffnung des Nordatlantiks vor etwa 56 Millionen Jahren voraus. Dabei bildete sich eine 3000 Kilometer lange Spaltenzone von Südengland bis Nordnorwegen. Innerhalb von nur zwei Millionen Jahren wurden enorme zwei Millionen Kubik-kilometer basaltischer Magmen gefördert. Sie zeigen sich auf seismischen Aufnahmen des Kontinentalrandes in Nordwesteuropa und Ostgrönland als symmetrische Bänder aus kilometerdicken Basaltschichten. Nachdem das Meer diese kontinentale Riftzone überflutet hatte, bildete sich ein weitgehend normaler ozeanischer Spreizungsrücken mit einigen wenigen stärker aktiven vulkanischen Zentren. Sie schufen das äußere Vøring-Plateau vor Norwegen und den westlich der Färöer-Inseln gelegenen Teil der Island-Färöer-Shetland-Bank.

Steuerung aus der Tiefe


Vor etwa 38 Millionen Jahren setzte erneut eine starke vulkanische Aktivität ein, nun besonders heftig bei Island. Die Insel entwickelte sich zusammen mit dem umgebenden Sockel zu einem der größten aktiven Vulkanzentren der Erde. Bis heute wurde dort mehr als eine Million Kubikkilometer an vulkanischem Material ausgestoßen. Diese immense Magmenproduktion signalisiert, dass hier konzentriert heißes Material aus dem tiefen Inneren der Erde aufsteigt. Geophysiker sprechen von einem Plume, weil sich der Aufstrombereich ähnlich wie ein Helmbusch – so die Bedeutung des französisch-englischen Wortes – nach oben hin verbreitert. Durch die Druckentlastung in Tiefen von weniger als 100 Kilometern bilden sich Schmelzen, die den Vulkanismus an der Oberfläche speisen.

Solch ein Plume dürfte auch der Auslöser für das Aufreißen der noch zusammenhängenden europäisch-nordamerikanischen Landmasse vor 56 Millionen Jahren gewesen sein. Um diese Entwicklung einschließlich der heute wirkenden Prozesse und ihrer Antriebsmechanismen von einem geodynamischen Standpunkt aus genauer zu verstehen, sind zwei Dinge nötig. Einerseits gilt es, die geologischen und tektonischen Strukturen an der Erdoberfläche, die im Laufe der Ozean-Entwicklung entstanden sind, möglichst detailliert zu kartieren. Hier ist die Satelliten-Altimetrie die Methode der Wahl; sie enthüllt uns heute die Oberflächenformen des Meeresbodens mit frappierender Genauigkeit. Andererseits müssen Bewegungsvorgänge im tiefen Inneren der Erde analysiert werden. Dort treten Variationen der Temperatur und damit der Dichte auf, die als Triebfedern von Konvektionsströmungen gelten. Über sie gibt die seismische Tomographie recht detailliert Aufschluss.

Wie erwähnt, verschwindet ozeanische Kruste an Subduktionszonen wieder im Erdinnern; doch die leichtere kontinentale Kruste bleibt größtenteils an der Oberfläche. Die Kontinente sind daher sehr alt. Sie tragen die Spuren der tektonischen Entwicklung aus vielen hundert Millionen Jahren – teilweise bis zurück zum Beginn der Krustenbildung vor etwa vier Milliarden Jahren. Die kontinentalen Strukturen sind also reich an geologischen Informationen, doch diese lassen sich oft nur sehr schwer deuten, weil sie eine Vielzahl überlagerter Prozesse widerspiegeln.

Ganz anders die ozeanische Kruste: Sie ist nur an wenigen Stellen älter als 140 Millionen Jahre, meist sogar erheblich jünger. Ihre Oberfläche ist dementsprechend geprägt durch neuere tektonische Ereignisse, in der Regel durch die gerade ablaufende Ozean-Entwicklung. Doch einfach zu studieren ist auch sie nicht, da sie unter kilometertiefem Wasser verborgen liegt.

Seit den 1920er Jahren haben Tiefenmessungen mit dem Echolot zunehmend Einblicke in die Topographie des Meeresgrundes gegeben. Inzwischen jedoch ist die Satelliten-Altimetrie zu einem unerlässlichen Hilfsmittel geworden, um die Strukturen am Ozeanboden zu kartieren und anschließend zu analysieren.

Satelliten und Seismometer erforschen die Erddynamik


Die künstlichen Erdtrabanten messen, meist mit Impulsen im Radarfrequenzbereich, ihre Höhe über dem Meeresspiegel auf wenige Zentimeter genau. Die Wasserfläche ist, wie Seereisende aus leidvoller Erfahrung wissen, selten glatt. Ihre aktuelle Höhe wird durch Wind und Wellen sowie Meeresströmungen und Gezeiten beeinflusst. Der mittlere Meeresspiegel an einer bestimmten Stelle hängt dagegen von Faktoren im Erdinnern und von der Gestalt des Untergrunds ab. Der Meeresboden zieht nämlich je nach seiner Topographie und Dichte das Wasser darüber unterschiedlich stark an – je mehr Masse vorhanden ist, desto größer ist die Anziehungskraft. Dadurch übertragen sich Strukturen am Grund in sehr verkleinertem Maßstab auf die Wasseroberfläche, pausen sich gewissermaßen durch.

Obwohl das Zurückrechnen von den lokalen Verformungen des mittleren Meeresspiegels auf die Gestalt des Meeresbodens ziemlich kompliziert ist, lohnt sich der Aufwand: Das Verfahren erlaubt einen sensationellen Blick durch die Wassermassen und enthüllt den Grund der Ozeane mit erstaunlicher Klarheit. Dabei profitiert es von der Fülle der Messdaten, die innerhalb kürzester Frist zur Verfügung stehen. So überzieht der Fernerkundungssatellit ERS-2, der 1995 von der europäischen Weltraumorganisation ESA gestartet wurde, wie sein Vorgänger ERS-1 die Erde in einem 35-tägigen Umlaufzyklus mit einem weit gespannten Messnetz. Innerhalb dieses Zeitraums überfliegt er eine Strecke, die an der Erdoberfläche 20 Millionen Kilometer lang ist, und nimmt alle 300 Meter eine Messung vor. Dazu würde ein Schiff mehr als 60 Jahre brauchen, Pannen und Liegezeiten nicht gerechnet. Messungen vom Schiff aus bleiben dennoch von großer Bedeutung, schon um die Satellitendaten zu kalibrieren.

Das andere neue Verfahren, die seismische Tomographie, vermag das Innere der Erde auf ähnliche Weise abzubilden wie die medizinische Computertomographie im menschlichen Körper verborgene Strukturen sichtbar macht. Während in der Medizin Röntgenstrahlen oder Ultraschall zum Durchleuchten dienen, benutzt die Seismologie für denselben Zweck Erdbebenwellen, die sich in allen Richtungen durch den Globus ausbreiten. Dabei gilt es, möglichst viele Erdbeben in verschiedenen Teilen der Erde jeweils durch mehrere seismologische Stationen im Umkreis des Untersuchungsgebietes aufzuzeichnen.

Gemessen werden die Ankunftszeiten der seismischen Wellen bei den einzelnen Stationen. Die Auswertung der Daten per Computer zeigt, dass diese Wellen manche Bereiche im Erdmantel schneller, andere dagegen langsamer durchqueren, als es unter den physikalischen Bedingungen der jeweiligen Tiefe zu erwarten wäre. Geht man nun davon aus, dass der Erdmantel chemisch weitgehend homogen ist, müssen die Variationen von Unterschieden in der Dichte herrühren, die wiederum auf Temperaturunterschieden beruhen. So werden mit der seismischen Tomographie heißere und kühlere Stellen im Mantel kartiert. Da mit steigender Temperatur die Dichte des Gesteins ab- und sein Auftrieb zunimmt, sind besonders heiße Regionen Bereiche, in denen das zähfließende Mantelgestein aufsteigt; in kälteren Zonen sinkt es dagegen ab.

Bis vor ein bis zwei Jahrzehnten, als es die neuen Verfahren noch nicht gab, waren die Vorstellungen von der Entwicklung in unserem nordatlantischen Untersuchungsgebiet relativ einfach. Ihnen zufolge begann sich der Mittelatlantische Rücken vor etwa 56 Millionen Jahren von der Charlie-Gibbs-Scherzone nach Norden auszudehnen. Als Ursache galt ein Magmenreservoir unter Island, das die Bildung ozeanischer Kruste förderte. Nachströmendes Magma drückte die neugebildete Kruste auseinander und vergrößerte so den Ozean.

Über die Topographie des Meeresbodens und das Spannungsfeld in seinem Inneren wusste man erst sehr wenig. Deshalb stützten sich die damaligen Vorstellungen hauptsächlich auf die Positionen der markantesten Strukturen: der Platten selbst, des Mittelatlantischen Rückens und der Scherzonen. Dass das Magmenreservoir mehrere Förderkanäle haben und das Spannungsfeld sehr stark variieren konnte, blieb unberücksichtigt. Deshalb gelang es auch nicht, damals schon bekannte tektonische Strukturen in das Modell einzupassen. Die Öffnung des Nordatlantiks wurde rein geometrisch rekonstruiert – dynamische Prozesse blieben ausgeklammert.

Verräterischer Meeresboden


Doch die Altimetriedaten der letzten etwa anderthalb Jahrzehnte haben unser Bild vom Meeresboden revolutioniert. An manchen Stellen ist er heute genauer vermessen als abgelegene kontinentale Regionen. Die Karte für den Nordatlantik, berechnet aus Daten des Satelliten ERS-1, zeigt eine Fülle von Strukturen, in denen sich der Ablauf seiner Entstehung widerspiegelt. Betrachtet man sie zusammen mit einer Darstellung, die das Alter des Ozeanbodens im Nordatlantik zeigt, so erschließen sich schon wichtige Details der tektonischen Geschichte.

Prominenteste Struktur ist das Mittelatlantische Rückensystem, das von der Charlie-Gibbs-Scherzone über den Rey-kjanes-Rücken nach Norden in den Island-Sockel hinein verläuft. Auf Island selbst gabelt sich diese Spreizungszone auf komplizierte Weise, ehe sich ihr westlicher Ast im Schelf nördlich der Insel über eine kleinere Scherzone wieder mit dem Hauptstrang am Kolbeinsey-Rücken verbindet. Von da ab verläuft der Spreizungsrücken heute sehr nahe am grönländischen Kontinentalrand. Östlich davon finden sich aber noch Relikte eines älteren Exemplars, des Ägir-Rückens, der bis vor etwa 27 Millionen Jahren aktiv war. Danach verlagerte sich das Zentrum der Aktivität, vermutlich in zwei Sprüngen, nach Westen; seit etwa 13 Millionen Jahren befindet es sich nun im Kolbeinsey-Rücken.

Dieser und der östliche Vorgänger sind im Norden durch die Jan-Mayen-Scherzone begrenzt; zwischen ihnen liegt – deutlich herausgehoben – der schmale Jan-Mayen-Block. Er wird heute als ein kontinentales Fragment gedeutet, das vom grönländischen Kontinentalschelf abgespalten wurde, als sich die Rückenachse an dieser Stelle nach Westen verlagerte. Der heute aktive Strang erstreckt sich zunächst ungestört weiter nach Norden, biegt dann aber scharf nach Nordwesten ab. Hier verlief ursprünglich eine Scherzone am nördlichen Rand von Grönland entlang senkrecht zum Rücken. Sie wurde jedoch vor etwa 37 Millionen Jahren in eine Spreizungsachse umgewandelt. Dadurch entstand der abknickende Teil des Rückensystems mit schräger Anlagerung von ozeanischer Kruste.

Betrachten wir als Ergänzung dazu das tomographische Bild vom Erdmantel unter dem Nordatlantik (die Daten haben uns Wim Spakman und Harmen Bijwaard von der Universität Utrecht zur Verfügung gestellt). Es zeigt deutlich zwei Bereiche mit reduzierter seismischer Geschwindigkeit – ihre Dichte ist also geringer und die Temperatur höher als in der Umgebung, was aufsteigendes Material anzeigt. Der eine ist eine schlauchförmige Struktur, die südlich von Grönland an der Kern-Mantel-Grenze in 2880 Kilometer Tiefe beginnt und durch den unteren Erdmantel nordostwärts aufsteigt. Sie erreicht den oberen Erdmantel in 660 Kilometer Tiefe unter dem europäischen Schelf in der Höhe von Großbritannien. Von dort ab lässt sich die Struktur nicht mehr deutlich verfolgen, jedoch scheint sie sich in mehrere Äste zu verzweigen, von denen einer bei Island in den Mittelatlantischen Rücken mündet.

Der zweite besonders heiße Bereich lässt keine Verbindung zum tieferen Erdmantel erkennen. Er liegt unter Grönland in einer Tiefe von nur 200 bis 400 Kilometern. Dort dünnt die Lithosphäre zum Nordatlantik hin aus, und die anomal heiße Zone folgt dieser Ausdünnung bis zum Mittelatlantischen Rücken, der hier nahe der Schelfkante verläuft.

Die tomographischen Bilder bestätigen, dass heiße Aufstrombereiche im Erdmantel an der Öffnung des Nordatlantiks entscheidend mitgewirkt haben. Anfangs war der Vulkanismus längs des gesamten Rückens durch das Material aus dem tiefen Erdmantel geprägt. Heute speist es – mit abnehmender Tendenz – nur noch den Vulkanismus auf Island und längs des Reykjanes-Rückens südlich davon. Nördlich der Insel werden andere Magmen gefördert, die eventuell mit der heißen Region unter Grönland zusammenhängen.

Vorgeschichte einer Trennung


Wenn wir nun versuchen, die heutigen Kenntnisse über die Geschichte des Nordatlantiks im Zusammenhang darzustellen, so gehört dazu auch eine Vorgeschichte, die erstaunlich weit zurückreicht: bis ins Kambrium vor etwa 500 Millionen Jahren. Damals erstreckte sich zwischen Nordamerika einschließlich Grönland und Europa ein schmaler Ozean, der nach einem Titanen der griechischen Mythologie "Japetus" benannt wurde. Dieser Vorläufer des heutigen Nordatlantiks begann sich 50 Millionen Jahre später im Zusammenspiel mit einer Subduktionszone, deren Lage nicht geklärt ist, zu schließen. Vor etwa 400 Millionen Jahren war er dann weitgehend verschwunden: Es kam zur Kollision der Kontinente. Dabei entstand ein gewaltiger Faltengebirgsgürtel: das Kaledonische Gebirge. Seine erodierten Rümpfe sind in Norwegen und Schottland, Grönland und den östlichen USA heute noch sichtbar.

In der Folge vereinigten sich fast alle irdischen Landmassen zum Superkontinent Pangäa. Mit seinen riesigen Ausmaßen wirkte er wie eine gewaltige Isolierschicht, die den Wärmetransport aus dem tieferen Erdmantel zur Erdoberfläche hemmte. Unter ihr sammelte sich deshalb zunehmend heißes Material. Es weichte die kontinentale Lithosphäre von unten her auf und dünnte sie dabei aus. Als Folge dieser thermischen Erosion bildeten sich große Dehnungsgebiete und Grabenbrüche, die das Auseinanderreißen der Landmasse einleiteten.

Untersuchungen am norwegischen Kontinentalrand und im Barents-Schelf zeigen, dass diese Extensionsbewegung schon bald nach der Schließung des Japetus einsetzte, als Pangäa noch gar nicht vollständig zusammengewachsen war. Allerdings öffnete sich lange Zeit kein Ozean, sondern lediglich eine breite, vulkanisch nur wenig aktive Grabenbruchzone, die sich langsam nach Süden verlängerte. Vor etwa 220 Millionen Jahren erreichte dieses Riftsystem die Rockall-Bank westlich von Schottland, und es entstanden weiträumige Grabensysteme im Gebiet der Nordsee. Sie waren zwar wasserbedeckt, stellten jedoch – wie noch heute die Nordsee – kontinentale Flachmeere dar und besaßen keine ozeanische Kruste.

Aus den magnetischen Anomalien wie auch aus einigen wenigen Bohrkernen mit den ältesten Sedimenten wissen wir, dass der Atlantik schließlich vor etwa 160 Millionen Jahren zwischen den östlichen USA und Westafrika aufzubrechen begann. Dieser neue Spreizungsrücken war im Nordosten durch eine Scherzone auf der Höhe von Gibraltar begrenzt. Auf der amerikanischen Seite verläuft dort der Südrand der in den Atlantik vorragenden Neufundlandbank – eines alten Extensionsbereiches.

Vor rund 120 Millionen Jahren brach dann auch das Segment zwischen Neufundlandbank und Iberia auf. Damit war eine Rotation der iberischen Halbinsel entgegen dem Uhrzeigersinn verbunden. Der Golf von Biskaya öffnete sich, und der Mittelatlantische Rücken verlängerte sich bis zur Charlie-Gibbs-Scherzone. Vor etwa 80 Millionen Jahren war so die Spaltung zwischen Westeuropa und Nordamerika vollzogen. Bei seinem weiteren Vorstoß nach Norden trennte der Rücken dann zunächst Grönland und den nordamerikanischen Kontinent voneinander: Die Labradorsee entstand. Damit war der Rücken jedoch gleichsam in eine Sackgasse geraten.

Für die Entwicklung in dem nun folgenden Zeitabschnitt haben wir ein Modell entworfen, das auch geodynamische Aspekte berücksichtigt. Ihm zufolge drang vor etwa 60 Millionen Jahren unter Grönland und Europa, die damals noch zusammenhingen, ein Mantel-Plume empor. Der heiße Aufstrom floss, als er von unten gegen die Lithosphäre stieß, zunächst wie Teig auseinander; dabei riss er schon bald die seit 200 Millionen Jahren existierende Extensionszone auf, die der alten "Naht" des Kaledonischen Gebirges (der "Japetus-Sutur") folgte, dem Kollisionsbereich nach dem Verschwinden des Japetus-Ozeans.

Aus dem aufsteigenden heißen Material im Erdmantel wurden große Mengen basaltischer Schmelzen abgesondert. Es bildete sich jene schon erwähnte hochaktive 3000 Kilometer lange vulkanische Spaltenzone von Südengland bis Nordnorwegen. Aus der kontinentalen Riftzone entwickelte sich so ein weitgehend normaler Spreizungsrücken.

Die heftig angetriebene Öffnung des Nordatlantiks brachte die ältere Spreizung in der Labradorsee vor rund 36 Millionen Jahren zum Erliegen. Als Folge davon verwandelten sich vermutlich Abschnitte der Senja-Scherzone zwischen Nordgrönland und Spitzbergen in einen Spreizungsrücken. Damit löste sich Grönland von Europa und bewegte sich fortan mit der Nordamerikanischen Platte. Es sieht so aus, als sei die Insel Spielball zweier Kontinente gewesen.

Das Zentrum des heißen Aufstroms im Erdmantel befand sich vermutlich westlich dieser neuen Rückenachse, das heißt unter dem grönländischen Schelf. Das würde erklären, warum der Spreizungsrücken nicht zentral in der kontinentalen Extensionszone der Japetus-Naht aufriss, sondern an deren westlichem Rand: Dort, am Zentrum des Aufstroms aus dem Erdmantel, herrschten die höchsten Zugspannungen. Dies führte schließlich auch dazu, dass sich der Spreizungsrücken westwärts in den grönländischen Kontinentalschelf hinein verlagerte und dabei den Jan-Mayen-Block als kontinentales Fragment vom Schelfrand abtrennte.

Die tieferen Gründe des Auseinanderbrechens


Vor etwa 38 Millionen Jahren setzte die vulkanische Aktivität auch bei Island wieder verstärkt ein. Inwieweit das demselben Plume im Erdmantel zuzurechnen ist, der die Öffnung des Nordatlantiks auslöste, ist noch unklar. Eines spricht jedoch dagegen: Die Laven, die heute auf Island und im südlichen Rückensystem gefördert werden, unterscheiden sich in ihrem Gehalt an gewissen chemischen Spurenelementen deutlich von denen im nördlich angrenzenden Rückensystem. Andererseits ähneln sie Vulkaniten der Nordatlantischen Vulkanischen Zone, beispielsweise im Vøring-Plateau zwischen Island und Norwegen.

Zweifellos ist Island seit etwa 38 Millionen Jahren das Zentrum eines ortsfesten Massenaufstroms im Erdmantel, eines so genannten Hot Spots. Genau darüber befindet sich der Mittelatlantische Rücken, der hier über die Wasseroberfläche hinaus ragt. Südlich und nördlich der Insel hat er sich in den letzten Jahrmillionen allerdings um etwa 250 Kilometer nach Westen verschoben. Das ozeanische Rückensystem hat das Zentrum des Aufstroms also gleichsam überfahren; nur Island mit dem Vatnajökull-Gebiet als Zentrum des Vulkanismus ist quasi hinter der allgemeinen Bewegung zurückgeblieben. Welche Vorgänge im Untergrund dazu geführt haben, ist noch unklar.

Zu neuen Erkenntnissen über Strukturen, die unter der Erdoberfläche verborgen sind, verhalf uns aber nicht nur die Tomographie, sondern auch die Satelliten-Altimetrie. Auf dem Lofoten-Vesterålen-Schelf vor der nordnorwegischen Küste offenbart sie eine ausgeprägte Extensionstektonik aus der Zeit vor und während der Öffnung des Nordatlantiks. Davon wurde zu unserer Überraschung nicht nur die Erdkruste, sondern auch der oberste Erdmantel erfasst.

Unter dem flachen Wasser des Lofoten-Vesterålen-Schelfs ist der Meeresboden fast eben. Die Altimetrie-Daten dagegen zeigen eine bewegte Topographie mit Höhenzügen und Tälern parallel zur Küste. Wie kommt es zu diesem Widerspruch? Offenbar stammen die Schwereanomalien hinter den Altimetrie-Daten in diesem Falle nicht von einer unregelmäßigen Oberfläche der festen Erde, sondern von der Verteilung unterschiedlich dichter Gesteine darunter.

Die Erdölindustrie hat dieses Gebiet gründlich exploriert. Deshalb ist der Aufbau der oberen Erdkruste hier sehr gut bekannt. Parallel zur Küste verlaufen demnach schmale, tiefe Becken, die mit bis zu acht Kilometer mächtigen Ablagerungen verfüllt sind. Diese sind pro Volumeneinheit um fünf bis zwanzig Prozent leichter als das Gestein, in dem sie lagern. Die Becken entstanden im Rahmen der Dehnung, die der Öffnung des Nordatlantiks lange vorausging; das war bereits in der frühen Kreidezeit, vor etwa 140 Millionen Jahren. Durch die Zerrung der Kruste zerbrach diese in einzelne Blöcke, die absackten. Die so entstandenen Rinnen füllten sich mit Sedimenten.

Rolf Mjelde und seine Mitarbeiter an der Universität Bergen haben zwei einander überlappende seismische Profile vom Lofoten-Vesterålen-Schelf erstellt und sie in ein geologisches Modell integriert. Wir entwickelten es weiter und berechneten aus der Dichteverteilung der unterschiedlichen Gesteine die Schwereanomalien. Sie stimmen sehr gut mit den Daten aus den Satellitenbeobachtungen überein.

Die Berechnungen und Vergleiche ergaben jedoch, dass das Schweresignal nicht allein durch die Dichteunterschiede zwischen Krustenblöcken und Sedimenten zu erklären ist. Signifikante Beiträge liefert auch der tiefere Untergrund – nämlich eine wellenartige Struktur an der Grenze zwischen Erdkruste und -mantel. Eine so stark deformierte Kruste ist untypisch für vergleichbare Kontinentalränder. Sie spiegelt das komplexe regionale Spannungsfeld zur Zeit vor und während der Öffnung wider.

Die tektonische Entwicklung des Nordatlantiks hat sich somit als erstaunlich komplex herausgestellt. Eine Vielzahl von schwer zu überblickenden geodynamischen Vorgängen machen ihre Rekonstruktion noch immer zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Obwohl das Verständnis der globalen Zusammenhänge in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen ist, können Geowissenschaftler bei ihrer Spurensuche in einer längst vergangenen Epoche auch weiterhin mit Überraschungen rechnen.

Literaturhinweise


Geodynamische Modellierung der Extensionstektonik im norwegischen Kontinentalrand unter Verwendung von ERS-1 Satelliten Altimetrie Daten. Von A. Braun. Dissertation Universität Frankfurt, Scientific Technical Report STR99/03, GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ), 1999.

Global Sea Floor Topography from Satellite Altimetry and Ship Soundings. Von W. H. F. Smith und D. T. Sandwell in: Science, Bd. 277, S. 1956 (1997).

Geodynamik und Plattentektonik. Von Peter Giese (Hg.). Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.


Chronologie des Nordatlantiks


Vor 500 Millionen Jahren
Europa ist durch einen Ozean namens Japetus von Nordamerika/Grönland getrennt.


Vor 450 Millionen Jahren
Der Japetus beginnt sich zu schließen, während Nordamerika/Grönland und Europa aufeinander zu rücken.


Vor 400 Millionen Jahren
Nordamerika und Europa kollidieren. Dabei entsteht das Kaledonische Gebirge, dessen Reste noch in Norwegen, Schottland, Grönland und den östlichen USA zu sehen sind.


Vor 400 bis 290 Millionen Jahren
Weltweit vereinigen sich alle Landmassen zum Superkontinent Pangäa. Aber noch bevor dieser Vorgang abgeschlossen ist, bilden sich zwischen Skandinavien und Grönland bereits wieder Dehnungsgebiete und Grabenbrüche (Rifts).


Vor 220 Millionen Jahren
Das Riftsystem zwischen Skandinavien und Grönland ist bis zur Rockall-Bank westlich Schottlands vorgedrungen und hat sich zu einem kontinentalen Flachmeer entwickelt.


Vor 160 Millionen Jahren
Zwischen den östlichen USA und Westafrika beginnt sich der Atlantik zu öffnen.


Vor 120 Millionen Jahren
Neufundlandbank und Iberische Halbinsel trennen sich.


Vor 80 Millionen Jahren
Der Atlantik stößt bei seiner Ausbreitung nach Norden zunächst zwischen dem Nordosten Kanadas und Grönland vor und öffnet die Labrador-See.


Vor 60 Millionen Jahren
Unter Grönland und dem heutigen Island dringt im Erdmantel eine riesige Masse besonders heißen Gesteins empor. Dadurch stößt der Atlantik mit einem zweiten Ast auch zwischen Grönland und Schottland/Skandinavien nach Norden vor. Dabei bildet sich eine 3000 Kilometer lange Spaltenzone von Südengland bis Nordnorwegen.


Vor 38 Millionen Jahren
Bei Island setzt heftige vulkanische Aktivität ein. Gleichzeitig kommt die Spreizung zwischen Grönland und Kanada zum Erliegen. Die Trennungslinie zwischen Europa und Nordamerika verläuft nun endgültig zwischen Skandinavien und Grönland.


Wie sich im Meeresspiegel der Meeresboden abbildet


Die Satelliten-Altimetrie führt nach einem leicht verständlichen Prinzip Höhenmessungen durch. Eine Antenne schickt Impulse im Radarfrequenzbereich senkrecht zur Erde und fängt das reflektierte Signal wieder auf. Eine hochpräzise Uhr bestimmt Abstrahl- und Ankunftszeit. Aus der Differenz – der Laufzeit des Signals – kann dann der Abstand zwischen Antenne und reflektierender Oberfläche berechnet werden. So weit, so einfach.

In der Praxis ist alles jedoch viel komplizierter. Radarwellen durchdringen zwar die Atmosphäre bei Tag und Nacht sowie bei jedem Wetter fast ungestört. Doch ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt von Faktoren wie etwa der Luftfeuchte ab. Deshalb müssen die atmosphärischen Bedingungen während des Messvorgangs entweder mit anderen Geräten bestimmt oder aus Modellen berechnet und bei der Auswertung der Daten berücksichtigt werden.

Außerdem muss zu jedem Messzeitpunkt genau bekannt sein, wo sich der Satellit befindet. Seine Bahn hat jedoch keine ideale Kreis- oder Ellipsenform, sondern weist, bedingt durch das uneinheitliche Schwerefeld der Erde, zahllose Beulen und Dellen auf. Der Globus ist nämlich keine makellose Kugel, sondern ein zwar rundliches, doch unregelmäßig geformtes Gebilde mit noch dazu ungleich verteilten Massen im Innern. Einige Satelliten haben zur Ermittlung ihrer Position aktive Bahnbestimmungssysteme an Bord, die mit Stationen an der Erdoberfläche in Verbindung stehen; andere werden vom Boden aus durch Laserimpulse vermessen.

Für die unregelmäßige Verteilung der Massen am Meeresgrund sorgen hauptsächlich oberflächennahe geologische Prozesse, die das Relief des Ozeanbodens formen, sowie thermische Konvektionsströmungen im Erdmantel, durch die das Gestein dort ähnlich umgewälzt wird wie das Wasser-Öl-Gemisch in einer Lavalampe – nur sehr viel langsamer. Beide Effekte bewirken durch die resultierende Schwerkraft, dass der Meeresspiegel an verschiedenen Stellen in unterschiedlicher Höhe – das heißt in unterschiedlichem Abstand vom Erdzentrum – liegt. Er hat bis 110 Meter tiefe Dellen (südlich von Indien) und bis 90 Meter hohe Beulen (vor Neuguinea).

Nach erfolgreichen Experimenten der ersten amerikanischen Raumstation, dem "Himmelslabor" Skylab, im Jahre 1973 waren immer wieder Satelliten-Missionen der Höhenmessung gewidmet: Auf GEOS-3 (1975) folgten SEASAT (1978), GEOSAT (1985), ERS-1 (1991), Topex/Poseidon (1992) und ERS-2 (1995). In diesem Jahr ist der Start von Jason-1 und ENVISAT vorgesehen.

Bei den ersten Missionen wurde primär das marine Schwerefeld flächendeckend aufgenommen, um so indirekt ein Bild des Meeresbodens zu erhalten. Über Erhebungen ist nämlich die Gravitation erhöht, sodass sich das Wasser dort auftürmt, während es sich über Senken eindellt. Auf diese Weise "paust" sich die Topographie des Meeresgrundes quasi auf der Wasseroberfläche durch.

Nachdem mit diesem Verfahren der Ozeanboden inzwischen weitgehend kartiert ist, geht es heute vor allem darum, Änderungen des Meeresspiegels, Strömungssysteme und andere ozeanographische Phänomene zu erforschen, die sich gleichfalls an der Wasseroberfläche abzeichnen. Erst in jüngerer Zeit werden auch Landgebiete und eisbedeckte Flächen näher untersucht.

Je nach Aufgabenstellung empfehlen sich unterschiedliche Satellitenbahnen. Da der künstliche Trabant auf einer polnahen Trajektorie umläuft, während die Erde sich unter ihm dreht, überfliegt er spiralartig nach und nach die ganze Oberfläche außer den höchsten Breiten. Irgendwann erreicht er schließlich wieder seine ursprüngliche Position über der Erdoberfläche; dann hat er einen Zyklus durchlaufen.

Die dafür benötigte Zeitspanne kann je nach Orientierung und Form der Bahn unterschiedlich groß sein. Bei langen Zyklen bilden die benachbarten Messstreifen ein dichtes Netz, bei kurzen liegen sie dagegen weit auseinander. Will man etwa Ozeanströmungen vermessen, die sich schnell verändern können, ist es von Vorteil, wenn der Satellit bald wieder dorthin kommt, wo er schon gemessen hat. Sollen dagegen flächendeckend Schwereanomalien bestimmt werden, muss das Messgerät den Erdboden in einem langen Zyklus mit geringen Bahnabständen überfliegen.

Die amerikanisch-französische Mission Topex/Poseidon, die primär zur Erforschung von Strömungssystemen konzipiert ist, operiert folglich in einem Zyklus von 10 Tagen, der europäische Satellit ERS-2 dagegen in einem 35-Tage-Zyklus. Sein Vorgänger, ERS-1, flog in drei verschiedenen Zyklen, die 3, 35 und 168 Tage dauerten. Der längste diente vor allem der geodätischen Vermessung der Erde, insbesondere zur Bestimmung jener marinen Schwereanomalien, in denen sich die Meeresbodentopographie widerspiegelt. Bei den zwei geflogenen 168-Tage-Zyklen in den Jahren 1994 bis 1995 betrug der Abstand der Messstreifen zwischen 17 Kilometern am Äquator und 8,5 Kilometern bei 60 Grad Breite. Wenn man alle Daten aus der Satelliten-Altimetrie der letzten 15 Jahre verwendet, erhält man Meeresbodenkarten mit einer Auflösung von etwa vier Kilometern.

ERS-1 wurde 1995 nach vier Jahren erfolgreicher Mission betriebsbereit in einer Umlaufbahn "geparkt". Das Ende kam am 10. März 2000, als das Lagesteuerungssystem ausfiel. Der Nachfolger ERS-2 ist noch in Betrieb und fliegt in etwa 800 Kilometer Höhe um die Erde. Im Oktober soll er von ENVISAT, dem größten jemals gebauten Erderkundungssatelliten, abgelöst werden. ENVISAT wiegt acht Tonnen, ist über zehn Meter lang und wird neben einem neu entwickelten Altimeter neun weitere Fernerkundungssensoren an Bord haben.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2001, Seite 50
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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