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Die Chronik der Medizin


Die hohe soziale Wertschätzung, die dem Arzt-, dem Zahnarzt- und dem Apothekerberuf entgegengebracht wird, beruht mit auf der Achtung vor den weit zurückreichenden, an humanitären Idealen orientierten Traditionen heilkundlichen Handelns. Im Selbstverständnis dieser Berufe spielt Traditionsverbundenheit deshalb eine bedeutende Rolle, was entsprechenden Bildungsangeboten eine gute Resonanz sichert.

Wissenschaftlich fundierte, oft auch anschaulich gestaltete Darstellungen zu speziellen Themen der Medizingeschichte gibt es inzwischen in großer Zahl, systematisch aufgebaute Übersichten bislang jedoch nur in Form von Lehrbüchern für die akademische Ausbildung. Die in den letzten Jahren erschienenen Versionen solcher Lehrbücher bieten solide Sachinformation, müssen aber wegen des begrenzten Umfangs weitgehend auf Anschaulichkeit verzichten und weglassen, was der sich als Wissenschaft verstehenden Medizin als randständig gilt. Das vorliegende Werk vereint die Vorzüge einer lehrbuchartigen Übersichtsdarstellung mit Anschaulichkeit sowie einer erfreulichen Vielseitigkeit.

Der Autor Heinz Schott ist Ordinarius für Geschichte der Medizin an der Universität Bonn; kompetente Medizinhistoriker haben beratend mitgestaltet und auch die Einführungstexte zu den insgesamt elf Hauptabschnitten verfaßt. Chronologische Übersichten – für die Zeit ab 1500 über jeweils 20 Jahre, ab 1600 über zehn Jahre, ab 1900 über ein Jahr – zählen zunächst bedeutsame wissenschaftliche Entdeckungen, neuartige Verfahren für Diagnostik und Therapie sowie erstmalige Erprobungen neuer Heilmittel und technischer Innovationen für ihren Zeitraum auf; es folgen, diesen Themen zugeordnet, präzise Darstellungen von Krankheitsformen, Erklärungsmustern pathologischen Geschehens sowie Eingriffstechniken. Maßgeblich beteiligte Personen werden angemessen gewürdigt. Zu wichtigen epidemiologischen Entwicklungen und längerfristig wirksamen Wandlungen der sozialen Bedingungen ärztlichen Handelns werden ebenfalls solide Informationen geboten. Die enorme Zahl geschickt ausgewählter Abbildungen – darunter auch statistische Übersichten und gelungene graphische Darstellungen – verhilft zu großer Anschaulichkeit.

Anerkennung verdient, daß auch lediglich erfahrungsbegründete sowie alternative Konzepte zur sogenannten Schulmedizin sachlich behandelt, die sozialen Bedingungen der Krankenversorgung berücksichtigt und ethische Problemsituationen der modernen Medizin beleuchtet werden. Das Streben nach Überwindung einer tradierten eurozentrischen Sichtweise ist durchaus spürbar; dennoch bleiben Wünsche nach eingehenderen Informationen über den Umgang mit Krankheit, Behinderung und Tod in anderen Kulturen offen.

Ausgezeichnet gelungen ist die ausgewogene Darstellung der widerspruchsvollen Situation der Medizin in Deutschland während der Jahre der nationalsozialistischen Diktatur, die neben der berechtigten Kritik an inhumanen Praktiken auch ein realistisches Bild aufopferungsvollen ärztlichen Wirkens unter den Kriegsbedingungen zeichnet. In der Darstellung der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart dominieren wissenschaftliche und technische Innovationen; Strukturen und spezifische Bedingungen in den ehemals sozialistischen Staaten Europas einschließlich der DDR werden nur am Rande erwähnt.

In Anhängen zum chronologisch geordneten Hauptteil finden sich eine Aufzählung der Nobelpreisträger für Medizin und Physiologie mit ihren wichtigsten Leistungen, Kurzbiographien zu mehr als 160 bedeutenden Persönlichkeiten der Medizingeschichte, die wichtigsten Richtlinien und Willensbekundungen zu ethischen Fragen der modernen Medizin und eine Auswahlbibliographie. Ein Personen- und ein Sachregister erleichtern die Orientierung in dem drucktechnisch hervorragend gestalteten und – gemessen an der guten Ausstattung – preisgünstigen Buch.

Wer Interesse für die Geschichte der Heilkunde und ihre kulturgeschichtlichen Bindungen hat, wird die "Chronik der Medizin" mit Gewinn nutzen können; besonders wünschenswert wäre es, wenn auch Studenten der einschlägigen Fächer und Lehrkräfte in der Krankenpflegeausbildung sie zu Rate zögen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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