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Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich.Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur.

C. H. Beck, München 1999. 582 Seiten, DM 98,–.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erkannten staatliche Stellen zunehmend die wirtschaftliche Bedeutung wissenschaftlicher Ergebnisse und trieben daher eine übergreifende Forschungsfinanzierung und -verwaltung voran. Die Wechselwirkung zwischen staatlicher Einflußnahme und der wissenschaftlichen Selbstverwaltung ist seitdem alles andere als ein Randaspekt der Wissenschaftsgeschichte. Das gilt in besonderem Maße für die Zeit des Nationalsozialismus, die bis heute nicht befriedigend aufgearbeitet ist.

Umso erfreulicher ist es, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Frankfurter Historiker Notker Hammerstein damit betraute, ihre Geschichte in der Weimarer Republik und im Dritten Reich zu untersuchen. Hammerstein, der sich hauptsächlich mit der Geschichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und der Staatslehre vom 16. bis zum 19. Jahrhundert beschäftigt, hat bereits 1989 eine umfangreiche Geschichte der Frankfurter Universität von 1914 bis 1950 vorgelegt.

Der Autor hat die auf den ersten Blick trockene Materie in eine sehr lebendige Form gebracht. Enzyklopädische Vollständigkeit und wissenschaftlichen Nachweis jedes einzelnen Zitats hat er nicht angestrebt, was der Lesbarkeit zugute kommt. Anhand von Beispielen, beschreibt er über die Rolle der DFG hinaus die Forschungsförderung und Wissenschaftspolitik dieser Zeit. So schildert Hammerstein anschaulich die zum Großteil in bürokratischen und privaten Korrespondenzen verborgenen Vorgänge, so etwa, wie der Physik-Nobelpreisträger und überzeugte Nationalsozialist Johannes Stark, der zusammen mit Philipp Lenard versuchte, eine „Deutsche Physik“ zu etablieren, gegen den Widerstand der meisten seiner Fachkollegen 1934 DFG-Präsident wurde – und zwei Jahre später bei den Nazis in Ungnade fiel.

Dank der Kapitelgliederung findet man bedeutende Personen und Ereignisse leicht wieder. Das gilt beispielsweise für Fritz Haber und Friedrich Schmidt-Ott, die nach dem Ersten Weltkrieg die „Notgemeinschaft der deutschen Forschung“, die Vorläuferin der DFG, ins Leben riefen, sowie Johannes Stark und seinen Nachfolger Rudolf Mentzel. Ein eigenes Kapitel gilt dem Versuch Heinrich Himmlers, seine verqueren Vorstellungen zum „Ahnenerbe“ mit wissenschaftlichen Weihen zu versehen, was etwa in der Straßburger „Lehr- und Forschungsstätte für indogermanische Glaubensurgeschichte“ seinen Ausdruck fand.

Hammerstein beschreibt auch längerfristige Entwicklungen wie die Wissenschaftspolitik vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik, den Qualitätsverfall in den Naturwissenschaften und der Technik im Nationalsozialismus und die Förderung verbrecherischer Forschung. Randphänomene wie die publikumswirksamen Tibet-Expeditionen des Privatforschers Ernst Schäfer (ab 1935) werden dabei nicht ausgeklammert.

Erst bei einer durchgängigen Lektüre erschließt sich, welchen Eiertanz die Wissenschaftler zwischen ihren eigenen Idealen und den von Staat und Partei gesetzten Bedingungen aufführten: zunächst dem Vierjahresplan Hermann Görings, später den durch den Krieg motivierten verschärften Ansprüchen der Regierung. Gerade zum Ende des Krieges hin wirken die Bemühungen vieler Beteiligten geradezu absurd. So beschränkte sich die Koordination der deutschen Forschung unter Werner Osenberg, dem Leiter des zentralen Planungsamts, darauf, mit immer neuen Karteikartensystemen zu registrieren, welche Wissenschaftler überhaupt noch verfügbar waren.

Auch den Machtkämpfen zwischen den verschiedenen politischen Ebenen und Parteiorganisationen widmet Hammerstein breiten Raum. Dazu zählen etwa die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Reich und Ländern oder die Machtkämpfe zwischen staatlichen Verwaltungsstellen wie dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) und Parteieinrichtungen wie dem Amt Rosenberg und dem „Ahnenerbe“ Himmlers.

Hammersteins Unterscheidung zwischen „normaler“ und „nationalsozialistischer“ Forschung („völlig herkömmliche unideologische Forschungen“, „Im allgemeinen handelte es sich um zeitgemäße Forschungen, zum mindestens legen das die Formulierungen nahe.“, „Weitgehend ‚normale‘ Vorhaben“) gerät ihm allerdings zu oberflächlich. Sie wirkt stereotyp und kann im Rahmen seines Buches schon aus Platzgründen nicht ausreichend beleuchtet und begründet werden.

Auch die Beschränkung auf die Zeit bis 1945 verwehrt – wie so oft – den Blick auf die Entnazifizierung und die Kontinuitäten der Nachkriegszeit. Die Frage nach der Schuld der Wissenschaft und der Wissenschaftler, wie sie in Hammersteins kurzer Auseinandersetzung mit dem Journalisten Ernst Klee anklingt, der sich mit der Aufdeckung der Verbrechen in der deutschen Medizin befaßt, bedarf jedoch einer größeren Perspektive. Das Nebeneinander von banalen „Alltagsgeschäften“, oberflächlicher und überzeugter Ideologie und unmenschlichen Greueltaten – auch im Bereich der Wissenschaft – wäre in seiner Gesamtheit auch in Hammersteins Werk kaum emotionslos faßbar.

Ich wünsche dem Buch eine zahlreiche und kritische Leserschaft.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 119
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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