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Biologiegeschichte: Die Entdeckung der Evolution

Eine revolutionäre Theorie und ihre Geschichte
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2001. 264 Seiten, € 30,16


Alle kennen die Evolutionstheorie. Zumindest assoziieren wir mit diesem Namen in der Regel zwei Dinge: Sie ist das herrschende Paradigma der modernen Biologie und Charles Darwin (1809-1882) ihre prominenteste Figur. Die Fülle der Literatur zu seiner Person und zu seinem Werk "On the Origin of Species" hat den Eindruck hinterlassen, dieses Buch habe die Welt in einem revolutionären Akt aus den Angeln gehoben: Am 24. November 1859 hörte sie plötzlich auf, eine göttliche Schöpfung zu sein. An deren Stelle trat die schnöde Wirklichkeit biologischer Mechanismen, allen voran die natürliche Selektion.

Aber Darwin hatte Vordenker, und seine Vorstellung in der Mitte des 19. Jahrhunderts unterscheidet sich grundlegend von einer modernen Evolutionstheorie, wie sie heute die meisten Biologen teilen.

Eine Geschichte der Evolutionstheorie wird daher ansetzen müssen an den sich wandelnden Inhalten des Begriffs Evolution. In seiner weitesten (biologischen) Definition meint das Wort zunächst nicht mehr, aber auch nicht weniger als einen Prozess, in dem neue Lebensformen entstehen können und der nicht auf einen göttlichen oder mythischen Urheber zurückgeht. In diesem Sinne beginnt die Geschichte evolutionärer Vorstellungen bereits bei den Griechen, und sie reicht bis zur synthetischen Evolutionstheorie der heutigen Biologie.

Diese Geschichte ist nun längst nicht mehr so bekannt. Die beste Einführung und bis heute das Standardwerk zu diesem Thema stammt von dem irischen Wissenschaftshistoriker Peter J. Bowler. Sein Buch "Evolution. The History of an Idea" (1984) ist allerdings nur auf Englisch verfügbar. Deshalb ist der vorliegende Überblick über dieses zentrale Kapitel der Biologiegeschichte begrüßenswert. Die Autoren sind Wissenschaftshistoriker in Tübingen und Jena und haben zu vielen Themen des Buches bereits wissenschaftlich gearbeitet. Das gilt insbesondere für die Entwicklung der modernen Evolutionstheorie im Deutschland des 20. Jahrhunderts.

Das Buch ist eine fundierte Einführung in das Thema. Mit einem ausführlichen Sach- und Namenregister sowie einer umfassenden Bibliographie ermöglicht es einen selektiven Zugriff und gibt gleichzeitig Orientierung in der Fülle der weiterführenden Literatur.

Vier Etappen der Entwicklung werden skizziert, die sich um den zentralen Wendepunkt Charles Darwin gruppieren. Die ersten zwei Kapitel behandeln die "Vorläufer" – Antike, Aufklärung und frühe Entwicklungstheorien des 19. Jahrhunderts. Es folgt Darwin mit einem eigenen Kapitel. Anschließend werden in zwei Abschnitten die Diskussionen und Alternativkonzepte erörtert, die Darwins Programm auslöste. Die letzte Etappe gilt der Weiterentwicklung zur synthetischen Theorie im 20. Jahrhundert bis heute. Erst als es gelang, die zentrale Idee der natürlichen Selektion auf eine genetische Grundlage zu stellen, konnte sich die Idee der Evolution als wissenschaftliche Hypothese durchsetzen.

Das Faszinierende an diesem Buch und gleichzeitig sein großer Mangel ist, dass die Autoren zwar einen historischen Bogen schlagen, aber ihren Gegenstand nicht aus der Geschichte, sondern von der Gegenwart her entwickeln.

Das zeigt sich bereits am Aufbau des Buches. Junker und Hoßfeld geben in der Einführung einen Überblick über diverse Spielarten von evolutionären Vorstellungen, wie sie sich heute unterscheiden lassen – Ursprungstheorien, typologische Theorien, Abstammungstheorien und so weiter. Mit diesem Wissensstand schicken sie den Leser dann in die verschiedenen Epochen. Auf dem Weg bis zu Darwin werden sie nicht müde zu wiederholen, dass zum Beispiel weder Empedokles im 5. Jahrhundert vor noch Georges de Buffon im 18. Jahrhundert nach Christus "echte" Evolutionsvorstellungen entwickelten. Na schön; aber eigentlich hätte der Leser gern gewusst, warum Buffon Mitte des 18. Jahrhunderts dachte, was er dachte, und warum dies für seine Zeit so außergewöhnlich und für ihn so gefährlich war. Weil sie sich allerdings auf eine Ideengeschichte festgelegt haben, können die Autoren nur sehr rudimentär auf solche Fragen eingehen. Das komplizierte Zusammenspiel einer wissenschaftlichen Idee mit der Zeit, die sie hervorbringt, bleibt deshalb an vielen Stellen unklar. Besonders in der Darstellung von Darwin im 19. Jahrhundert und der deutschen Evolutionstheoretiker im 20. Jahrhundert fällt schwer ins Gewicht, dass die kulturgeschichtlichen Kontexte, Viktorianismus bzw. Nazi-Diktatur, nahezu ausgeblendet bleiben.

Der Leser fühlt sich daher oftmals an einen Enzyklopädie-Artikel erinnert, der ihn von einem Ereignis zum nächsten treibt. Er bekommt einen Überblick über die wichtigen Namen und Konzepte in der Geschichte der Evolutionsidee. Aber so richtig verstanden, was alle diese Ideen zu Geschichte macht, hat er nicht.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2002, Seite 103
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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