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Die Erde im Visier. Die Geowissenschaften an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.

Springer, Berlin/Heidelberg 1999. 287 Seiten, DM 59,-.

Unsere Erde ist voller Dynamik. Kontinente wandern, verbinden sich zu gewaltigen Landmassen, die später wieder zersplittern. Meeresbecken breiten sich aus, werden wieder eingeengt und eines Tages zwischen Kontinenten völlig weggequetscht. Immer aufs Neue wachsen Gebirge auf und fallen der Erosion anheim. Das Klima hat in der Erdvergangenheit vielfach und oft abrupt gewechselt. Steter Wandel spielt sich auch heute vor unseren Augen ab. So führen Erdbeben und Vulkanausbrüche, Bergrutsche und „Jahrhundertfluten“ zu sichtbaren Veränderungen innerhalb kürzester Zeit.

Eine Fülle von Prozessen läuft im Innern und an der Oberfläche der Erde ab. Zahllose Wechselwirkungen verknüpfen Wasser, Luft, die feste Erdkruste und die lebenden Organismen. Um all das geht es in dem vorliegenden Buch.

Muss das auch den interessieren, der zur Wissenschaft von der Erde keine näheren Beziehungen hat? Und ob! Für das weitere Überleben der Menschheit, insbesondere für Probleme wie die „wachsende Anfälligkeit unserer Industriegesellschaft gegen die Urgewalten der Natur, … langfristige Klimaänderungen, die ausreichende Ernährung und Rohstoffversorgung einer rasant anwachsenden Weltbevölkerung und die Entsorgung nicht verwertbarer Reststoffe“ falle den Geowissenschaften eine zentrale Rolle zu, so die Herausgeber im Vorwort.

Dies einem breiten Publikum vor Augen zu führen und dabei auch besonders auf die Leistungen deutscher Forscher hinzuweisen, ist die Aufgabe des Buches, das auf Initiative der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsforschung entstand. Eine Visitenkarte der deutschen Geowissenschaften sollte es werden, und das ist auch gut gelungen. Der Bochumer Geophysiker Hans-Peter Harjes und der Aachener Geologe Roland Walter taten gut daran, Wissenschaftler nicht selbst über ihre Fächer schreiben zu lassen, sondern den Wissenschaftsjournalisten (und Geophysiker) Horst Rademacher von der FAZ zu engagieren.

Die 21 Kapitel mit Themen wie „Dynamik des Erdinnern“, „Geowissenschaftliche Meeresforschung“, „Antarktis“, „Klima“, „Geschichte des Lebens“, „Vulkane“, „Erdbeben“, „Geotechnik“, „Schutz von Kulturdenkmälern“, „Geothermische Energie“ und „Abfallentsorgung“ bieten keine enzyklopädischen Darstellungen, sondern ähneln eher Flickenteppichen mit wechselnden, schlaglichtartig beleuchteten Szenen. Der Leser wird mitgenommen bei der Forschungsarbeit – und kommt weit herum. Selbst in Deutschland kann er ungewöhnliche Lokalitäten wie das Erkundungsbergwerk Gorleben oder die stillgelegte Uranerzgrube Königstein in Sachsen besuchen. Im Kontrast dazu gibt es Südseeromantik mit einer tropischen Nacht, Lagerfeuer, Glühwürmchen und dem funkelnden Kreuz des Südens auf der 1883 halb im Meer versunkenen, inzwischen längst wieder nachwachsenden Vulkaninsel Krakatau. An die brodelnde Magmakammer in der Tiefe denkt man in solchen Momenten natürlich besser nicht.

Kapitel für Kapitel wird der Leser mit Problemstellungen, Arbeitsmethoden und Ergebnissen vertraut gemacht. Der Hammer, das Zeichen der Zunft, hat keineswegs ausgedient. Doch spätestens bei der Untersuchung der abgeschlagenen Gesteinsproben im Labor ist High-Tech gefragt. Auch sonst geht es meist nicht ohne großen technischen Aufwand und ausgefeilte Strategien – bei den Bohrungen in die kontinentale Erdkruste, in Tiefseeböden, Seeablagerungen und kilometerdickes Gletschereis (Spektrum der Wissenschaft 3/1996, S. 30 und 4/1998, S. 50); bei der „Durchleuchtung“ der Erde mit verschiedenstem geowissenschaftlichem Gerät; bei den Beobachtungen aus dem All. Zu den feinsten Hilfsmitteln gehören Edelsteine: In winzigen, aus jeweils zwei Diamanten hergestellten Druckkammern werden staubkorngroße Proben von Mineralen Drücken und Temperaturen ausgesetzt, wie sie tief im Erdinneren herrschen.

Das alles ist anregend beschrieben – Geowissenschaften als Appetithäppchen. Wer mehr wissen will, findet eine Liste einschlägiger deutscher Hochschulinstitute und Forschungseinrichtungen außerhalb der Universitäten mitsamt Internet-Adressen.

Zahlreiche Fotos und grafische Darstellungen ergänzen den Text. Ein gefälliges Layout erleichtert den Kontakt. Für den flüchtigen Blätterer gibt es reichlich und einfallsreich formulierte Zwischentitel und zusätzliche Blickfang-Texte auf dem Rand, dazu ergänzende Kästen. Pluspunkte auch: ein Abkürzungsverzeichnis und – leider nicht selbstverständlich – ein Sachverzeichnis.

Der auf hochwissenschaftliche Fachliteratur spezialisierte Verlag hat sich sichtlich Mühe gegeben, die ungewohnt breite Zielgruppe anzusprechen. Bleibt nur zu wünschen, dass er das Buch nun auch auf die Verkaufstische ganz normaler Buchhandlungen bringt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2000, Seite 110
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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