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Ursprung des Lebens: Die ersten Zellen - echt oder vorgetäuscht?

Unter Paläontologen ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob es sich bei Einschlüssen in 3,5 Milliarden Jahre alten Gesteinen um die ältesten bekannten Lebensformen oder um bloße mineralische Strukturen handelt.


Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren hatte sich die Urerde aus einem Gemisch von Staubpartikeln und kleineren Materiebrocken zu einer glutflüssigen Kugel verdichtet. Doch noch über viele hundert Millionen Jahre wurde sie von umherschwirrenden Meteoriten bombardiert und aufgeheizt. Erst als sie vor rund 3,9 Millarden Jahren ihre Bahn quasi von solchen Geschossen leergefegt hatte, konnte sie genügend abkühlen, um teilweise zu erstarren und die ältesten heute noch erhaltenen Gesteine zu bilden.

Erstaunlich kurze Zeit danach aber musste bereits das Leben entstanden sein – zumindest nach bisheriger Lehrmeinung. Denn die frühesten geologischen Zeugnisse von Zellen wurden auf rund 3,5 Milliarden Jahre datiert. Und nicht nur das: Zu jener Zeit existierte offenbar bereits eine beachtliche biologische Vielfalt, die auf eine viele Jahrmillionen währende Vorgeschichte des Lebens schließen ließ. In den Gesteinsproben machten Paläontologen elf verschiedene Bakterien-Spezies aus, darunter Cyanobakterien (Blaualgen), die schon den hochkomplexen Vorgang der Photosynthese beherrschten, also Licht in chemische Energie umwandeln konnten.

Diese Erkenntnisse sind vor allem einem Mann zu verdanken: dem renommierten Geophysiker William Schopf von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. 1993 hatte er in 3,465 Milliarden Jahre altem Quarzgestein aus dem "Chinaman’s Creek" in Westaustralien, das unter dem Begriff "Apex chert" bekannt ist, jene zellartigen Einschlüsse entdeckt und als früheste Lebensspuren interpretiert. In einer jetzt in der Zeitschrift "Nature" veröffentlichten Arbeit schienen er und seine Mitarbeiter diese Sicht nun eindrucksvoll bestätigen zu können, indem sie mit Hilfe der Laser-Raman-Spektroskopie organisch gebildeten Kohlenstoff in den uralten australischen Proben aufspürten.

"Es besteht kein Zweifel daran, dass wir den biologischen Ursprung der ältesten bislang bekannten Fossilien beweisen konnten", freut sich Schopf daher. Seine Aussage hat indes einen Schönheitsfehler. Direkt auf seinen Nature-Artikel folgt eine Publikation seines Fachkollegen Martin D. Brasier von der Universität Oxford, der dieselben Fossilien begutachtet hat – und genau zum gegenteiligen Schluss kommt. Die Strukturen seien allesamt abiogenen Ursprungs und hätten sich in den Tiefen einer hydrothermalen Quelle aus amorphem Graphit gebildet, behaupten er und sein Team. Schopf habe den geologischen Kontext um die Mikrofossilien herum nicht genügend berücksichtigt und ihre Morphologie einseitig interpretiert, lautet der Vorwurf.

Fossilien-Papst unter Beschuss

Diese Entwicklung entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn ausgerechnet William Schopf hatte immer wieder betont, wie schwierig der Nachweis früher Lebensformen sei, und war nicht zimper-lich mit Kollegen umgesprungen. Harsch kritisierte er beispielsweise jene Nasa-Wissenschaftler, die 1996 verkündeten, außerirdische, bakterienähnliche Lebensformen in einem vom Mars stammenden Meteoriten nachgewiesen zu haben. Dieser in der Antarktis gefundene Himmelskörper mit der Bezeichnung ALH 84001 hatte sich anhand seiner chemischen Zusammensetzung als Brocken vom Mars identifizieren lassen und Carbonat-Ablagerungen aufgewiesen, deren längliche Struktur Bakterien verblüffend ähnelte. Doch Schopf monierte damals, die Strukturen seien hundertfach kleiner als irdische Mikroben und zeigten weder Zellwände noch Zeichen von Stoffwechsel, Vermehrung oder Koloniebildung.

Sollte ausgerechnet der "Papst" der frühen Fossilien – bislang unter Kollegen als äußerst sorgfältig bekannt – sich nun selbst geirrt haben? Es sind vor allem zwei Einwände, die Brasier und sein britisch-australisches Team vorbringen. Zum einen hätten sich dieselben morphologischen Strukturen, die Schopf und Mitarbeiter als Überbleibsel lebender Zellen deuten, bei näherem Hinsehen als überraschend vielfältig und uneinheitlich erwiesen; so erkenne man darunter auch Formen, die überhaupt nicht nach lebenden Zellen aussehen. Als Brasier und Kollegen die Schnitte der Fossilien unter dem Mikroskop in verschiedenen Schärfe-Ebenen betrachteten, machten sie an den zellähnlichen Strukturen ballonartige Ausbuchtungen, schlauchartige Verläufe, Verzweigungen und unscharfe Übergänge aus.

Zum Zweiten ergab die neuerliche geologische Analyse der australischen Fundstelle, dass sich das dortige Urgestein nicht als Sediment im flachen Wasser abgelagert, sondern in einer heißen Quelle am Boden des Urozeans gebildet hatte. In einer metallhaltigen hydrothermalen Ader, möglicherweise unter dem Einfluss heißer vulkanischer Gase, hätte sich damals Kohlenstoff mit Mineralien zu jenen Strukturen verbunden, die vage an Bakterien erinnern – ohne Zutun irgendeines Lebewesens. Eines ist in jedem Fall klar: Wenn die Stelle damals tief unter Wasser am Meeresboden lag, dürften dort schwerlich Cyanobakterien gelebt haben, die auf Licht für die Photosynthese angewiesen waren. Der erste sichere Nachweis dieser fortgeschrittenen Einzeller stamme erst aus einer Zeit vor 2,7 Milliarden Jahren, betont Brasier daher.

Auch der Mikrobiologe Karl Otto Stetter von der Universität Regensburg, ein Spezialist für die bakterienähnlichen, urtümlichen Archaea (früher Archaebakterien genannt), zweifelt an der Existenz von Blaualgen vor 3,5 Milliarden Jahren: "Schopf folgert das aus der Morphologie der Fossilien, in der er Ähnlichkeiten zu heutigen Cyanobakterien sieht. Ich halte diesen Schluss aber für überzogen."

Inzwischen räumt der Gescholtene selbst ein, dass es sich bei seinen Fossilien womöglich nicht um Blaualgen handelt, und akzeptiert zugleich Brasiers Neuinterpretation der Fundstelle als hy-drothermale Quelle. Er bleibt aber dabei, 3,5 Milliarden Jahre alte Lebensspuren nachgewiesen zu haben, und daran möchte auch Stetter trotz der Einwände von Brasier nicht grundsätzlich zweifeln.

Wladyslaw Altermann von der Universität München, der bei der Analyse der archaischen Fossilien mit Schopf zusammengearbeitet hat, hält die Kritikpunkte des britisch-australischen Teams im Wesentlichen für unbegründet. Aus-ufernde Formen und unscharfe Grenzen entlang der Einschlüsse seien nicht ungewöhnlich beim Vorgang der Fossilisierung, unter anderem weil sich zwischen Fossil und Quarz bevorzugt Eisenminerale bildeten. "Es ist ein Wunder, dass sich da überhaupt etwas erhalten hat", betont Altermann. Für ihn steht auch nicht fest, dass die Fossilien zeitgleich mit den hy-drothermalen Quellen entstanden sind. Sie könnten sich ebenso gut erst einige Jahrmillionen später in Gesteinsporen oder an Bruchstellen abgelagert haben.

Duell der Argumente

Vor allem aber, glaubt Altermann, habe die neue Analyse mit der Raman-Spektroskopie Pluspunkte für Schopf gebracht. "Inzwischen ist es möglich, direkt in den Filamenten von Bakterien an fünf Mikrometer großen Stellen zu messen", erklärt der Geologe. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Mikrofossilien eindeutig aus Kohlenstoffpartikeln bestehen und eine "organische Signatur" haben. Dies ergebe sich aus den Anteilen der Kohlenstoff-Isotope C-13 und C-12, die in der organischen Substanz von Lebewesen ein charakteristisches Verhältnis zueinander aufweisen. Genau dieses Verhältnis hat ein Mitarbeiter Schopfs an anderen präkambrischen Proben mittels Massenspektroskopie nachgewiesen.

Allerdings halten manche Kollegen einschließlich Brasier dieses Argument nicht für stichhaltig, da das Verhältnis der Kohlenstoff-Isotope auch durch Hitze während der Bildung von Mineralien beeinflusst werden könne – und damit kein hundertprozentiger Beweis für einen organischen Ursprung der Filamente sei. Davon ist Altermann jedoch überzeugt. Er lässt den Einwand noch aus einem anderem Grund nicht gelten: "Wenn Brasier richtig liegen würde und die Strukturen abiogen entstünden, müsste man sie überall im Gestein finden. In Wirklichkeit sind sie jedoch extrem selten."

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Karl Otto Stetter resümiert: "Die Kontroverse zeigt vor allem, wie schwierig es ist, das Wenige, was aus jener frühen Zeit noch vorhanden ist, zu deuten." Klarheit könnten neue Fossilien bringen, doch die sind äußerst rar. Bislang, betont Altermann, seien aus dem gesamten Archaikum – der Zeit vor mehr als 2,5 Milliarden Jahren – weniger als dreißig mikrofossile Arten aus grade mal fünf Gesteinsformationen weltweit bekannt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2002, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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