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Die Faszination der Evolutionslehre - Darwinismus-Ausstellung in Dresden


Die Evolutionstheorie des englischen Naturforschers Charles Robert Darwin (1809 bis 1882) ist eines der bedeutendsten Beispiele dafür, wie ein wissenschaftliches Konzept, das an sich nur ein natürliches Phänomen erklären sollte, auch tief in gesellschaftliche Abläufe hineinwirkt. Die Präsentation von rund 600 Exponaten, die zur Zeit – vorläufig bis zum 26. Juni – im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden unter dem Titel "Darwin und Darwinismus – eine Ausstellung zur Kultur- und Naturgeschichte" zu sehen ist, veranschaulicht darum in einem weiten Bogen zwei im Grunde eigene historische Prozesse: den wissenschaftlichen Zugriff auf die Ordnung des Lebendigen, woraus im 19. Jahrhundert das Fach Biologie erwuchs, dessen Basis auch heute noch Darwins Theorie ist, sowie die Geschichte (und Vorgeschichte) des Darwinismus mit seinen Auswirkungen auf das Menschenbild bis hin zu den schlimmsten Auswüchsen im Nationalsozialismus.

Zu beiden Bereichen haben Archive und Museen von einem Dutzend Staaten, hauptsächlich Westeuropas, der USA und der ehemaligen Sowjetunion, reiches Material geliefert, das deutlich macht, wie eng verflochten die Wissenschafts-, die Kultur- und die Sozialgeschichte in diesem Felde sind. Neben skurrilen, auch amüsanten Details finden sich denkwürdige Dokumente, die lebendig werden lassen, wie auch Ideengebäude selbst entstehen und sich wandeln, wie der Zeitgeist dabei mitspielt und seinerseits davon beeinflußt wird und wie einzelne Persönlichkeiten mit ihren spezifischen Beweggründen darauf einwirken.

Die fächerübergreifende Sichtweise der Ausstellung wird allenthalben deutlich, etwa wenn die Tradition bestimmter Fragen an die Natur (die teils bis auf das Spätmittelalter, teils bis auf das Altertum zurückgehen) aufgenommen und gezeigt wird, woher einzelne der Überlegungen Darwins stammen, die er dann in seinem Modell des Wandels von Pflanzen und Tieren und der natürlichen Auslese zusammenfügte. Wie sehr seine Deutung der Entwicklung des Lebens dann die Menschen bewegte, erkennt man an der Auseinandersetzung damit beinahe quer durch alle Gesellschaftsschichten: Naturwissenschaftler hofften, endlich auch die Lebensprozesse physikalisch erklären, Ökonomen den Übergang von präindustriellen Wirtschaftsweisen zum Kapitalismus als zwangsläufig darstellen, Staatstheoretiker daraus demographische Gesetzmäßigkeiten ableiten zu können.

So hat Darwins Theorie sich bald verselbständigt: Die Interpretationen – manche in der Absicht, die komplizierten Ideen zu verdeutlichen – entsprachen vielfach nicht mehr dem ursprünglichen Entwurf. Dazu gehörten auch krude Vorstellungen von einer Höherentwicklung, wie sie damals in den westlichen Nationen aufkamen, mit der Konsequenz, daß bestimmte Individuen, soziale Schichten oder ethnische Gruppen als minderwertig eingestuft und behandelt wurden.

Viele Dokumente aus der Sowjetunion sind im Westen noch nie gezeigt worden. Dort wurde die Evolutionstheorie allerdings bald aus ideologischen Gründen zu einer Art Soziallamarckismus zurechtgestutzt. Nachdem der Agronom Trofim D. Lyssenko (1898 bis 1976) die vermeintliche Vererbung erworbener Eigenschaften als "schöpferischen Darwinismus" propagiert und Stalins Protektion gewonnen hatte, wurde jahrzehntelang die Genetik insgesamt verpönt; viele Wissenschaftler kamen ums Leben.

Auch die heutige Rolle biologischer Disziplinen in der Gesellschaft ist Thema der Ausstellung. So wird unter anderem die Entwicklung der Verhaltensforschung und der Genetik – speziell der Gentechnologie – angesprochen, die beide auf ihre Weise auf Darwins Theorie aufbauen und kontroverse Reaktionen hervorrufen. Ein umfangreicher, für sich allein schon informativer Ausstellungskatalog mit vielen Abbildungen und mehr als einem Dutzend Überblicksartikeln vertieft die Einblicke in die präsentierten Epochen und Bewegungen. In diesen Abhandlungen wird der übergreifende, interdisziplinäre Ansatz der Exposition noch einmal herausgearbeitet, die auf neue Weise die Geschichte der Evolutionstheorie, ihre Hintergründe und weitreichenden Folgen darstellt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1994, Seite 119
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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Spektrum der Wissenschaft – Darwin: Darwin

Der Name Charles Darwin gilt auch heute noch als Synonym für die Revolution des wissenschaftlichen Weltbildes, die allgemein unter der Bezeichnung Evolutionstheorie bekannt ist. Seine Formulierung des Evolutionsgedankens löste ebenso euphorische Zustimmung wie heftigen Widerspruch aus.

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