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Editorial: Die Masse macht´s

Redaktionsleiter Dr. Hartwig Hanser

Noch vor ein paar Jahren waren sie völlig out: künstliche neuronale Netze. Kaum jemand hielt sie für mehr als ein zwar akademisch interessantes, aber praktisch wenig nutzbringendes Konzept – eine Sackgasse der Computerentwicklung, bei der die Orientierung am biologischen Vorbild in die Irre geführt hatte. Nach ersten Anläufen seit dem Zweiten Weltkrieg und in den 1960er Jahren sowie einigen Reanimationsversuchen ab den 1980er Jahren schien damit Anfang des Jahrtausends der Hype um Rechner aus schichtweise angeordneten, Nervenzellen nachempfundenen Schaltelementen endgültig vorbei zu sein. Zu viele in sie gesetzte Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt; hinzu kam der Black-Box-Charakter solcher Systeme, bei denen man weder einzelne Verarbeitungsschritte detailliert vorgeben kann noch überhaupt so richtig versteht, was in ihnen eigentlich abläuft. Wie sollte man dann die Funktionsweise zielgerichtet verbessern können?

Nur wenige Experten hätten wohl vor zehn Jahren prognostiziert, welche Fortschritte die künstliche Intelligenz bis heute machen würde – und zwar gerade auf Grundlage neuronaler Netze. Der entscheidende Unterschied zu früher liegt in ihrem komplexeren Aufbau begründet: Sie bestehen jetzt aus wesentlich mehr als den zuvor üblichen zwei bis drei Schichten, weshalb man sie "tiefe" Netzwerke nennt. Zusammen mit der inzwischen exponentiell gewachsenen Rechenleistung von Computerprozessoren ermöglichte das den Durchbruch – manchmal hilft viel eben doch viel.

Die Folgen erleben wir zunehmend im Alltag, von lernfähigen Sprachassistenten beim Smartphone bis zur Objekterkennung in Fotoverwaltungsprogrammen. Aber auch die Wissenschaft profitiert von den Fortschritten, wie KI-Experte Christoph Angerer ab S. 12 aufzeigt. Ein spek­takuläres aktuelles Beispiel ist der Nachweis der Gravitationswellen vom 17. August 2017, die durch die Kollision zweier Neutronensterne ent­standen. Dank dem Einsatz tiefer neuronaler Netze erfolgte er so rasch, dass weltweit Astronomen zu ihren Messinstrumenten hechten und massenhaft weitere Daten über dieses kosmische Großereignis sammeln konnten. Damit konnten sie auch endlich die bisher ungelöste Frage beantworten, wie besonders schwere Atomkerne, etwa die von Gold oder Platin, entstehen (siehe den Artikel ab S. 58).

Herzlich, Ihr

Hartwig Hanser

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