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Die Physik des Instruments 'Stimme'



Obwohl die Stimmlippen eine erstaunliche Vielfalt von Klängen erzeugen können, ist es der Vokaltrakt, der den primären Klang zu Sprache und Musik formt, indem er eine bestimmte Kombination von Tönen auswählt: diejenigen nämlich, die zu den natürlichen Resonanzfrequenzen der Luft im Vokaltrakt passen. Während Menschen sprechen oder singen, heben oder senken sie die Resonanzfrequenzen – die auch als Formantfrequenzen bekannt sind – indem sie beispielsweise Zunge oder Lippen bewegen.

Die Frequenz des ersten Formanten, F1, verhält sich umgekehrt zur Höhe des Zungenrückens (F1 sinkt ab, wenn sich die Zunge hebt wie während der Veränderung von /a/ in "Stadt" zu /i/ in "Kiel"). Die Frequenz des zweiten Formanten, F2, ist an das Vorschieben der Zunge gebunden (F2 steigt, wenn sich die Zunge nach vorn bewegt, wie bei der Vorwärtsbewegung von /o/ in "Ton" zu /i/ in "Kiel"). Theo-retisch gibt es eine unendliche Zahl von Formanten, aber das Verhältnis der ersten beiden oder drei bestimmt in der Hauptsache den Unterschied der Vokalklänge.

Um zu verstehen, warum sich die Formantfrequenzen verschieben, muß man sich vorstellen, daß der Vokaltrakt ein Rohr ist, das an einem Ende (den Stimmlippen) geschlossen und am anderen (den Lippen) offen ist. Man stelle sich weiter vor, daß der Durchmesser des Rohres konstant bleibt. Dann bestimmt die Länge des Rohres die Resonanzfrequenzen, beispielsweise ist bei 17,5 Zentimetern – das entspricht etwa der Länge des Vokaltraktes eines erwachsenen Mannes – F1 am stärksten bei 500 Hertz, F2 bei 1500 und F3 bei 2500 Hertz.

Jede Resonanz entspricht einer stehenden Welle in dem Rohr. Mit anderen Worten: Die Schwankungen des Luftdrucks nehmen eine definierte Form an; ebenso die Vor-und-Zurück-Bewegung der Luftmoleküle als Folge der Druckschwankungen. An den Druckknoten bleibt der Druck konstant, während die Moleküle dort die größte Strecke zurücklegen müssen, die Schwingungsamplitude also maximal ist. An anderen Stellen, den Anti-Druckknoten oder Druckbäuchen, schwankt der Druck maximal, während die Moleküle fast still stehen. Weil das geschlossene Ende die Molekülbewegung verhindert, muß dort ein solcher Bauch sein. Jeder höhere Formant fügt ein weiteres Knoten-Antiknoten-Paar hinzu.


Nun unterstelle man, das Rohr würde zusammengedrückt, also der Durchmesser statt der Länge geändert. Das geschieht beispielsweise, wenn die Zunge den Vokaltrakt verengt. Knoten und Anti-Knoten alternieren weiterhin, aber die Frequenz ändert sich proportional zum Ausmaß der Begrenzung. Eine Verengung in der Nähe eines Druckknotens senkt die Formantfrequenz, wogegen sie bei Verengung an der Stelle eines Anti-Druckknotens steigt. Eine Erweiterung hat den gegenteiligen Effekt. Eine genauere Erklärung dieses Phänomens, die auf der sogenannten Störungstheorie beruht, geht davon aus, daß die stehende Welle eine neue Form annimmt (unten).

Obertonsänger wenden diese Prinzipien ohne Kenntnisse der Theorie an. Wenn sie den Zungengrund an die Rachenhinterwand pressen, wo der zweite Formant einen Druckknoten hat, erniedrigen sie seine Frequenz. Im sygyt-Stil Tuwas drücken sie die Zungenmitte nach oben, um den Anti-Knoten des zweiten Formanten zu verengen und damit seine Frequenz zu erhöhen


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 53
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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