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Die Quadratur des Quadrates


Die Quadratur des Kreises ist eine alte Geschichte: Man finde ein Quadrat, das einem gegebenen Kreis flächengleich ist. Bereits die Griechen der Antike hatten vergebens versucht, diese Aufgabe mit Zirkel und Lineal zu lösen. Die Unlösbarkeit des Problems wurde sprichwörtlich; sie hängt auf sehr tiefliegende Weise mit den Eigenschaften der Zahl PI zusammen.
Verglichen mit diesem ehrwürdigen, fundamentalen Problem ist die Quadratur des Quadrats, wörtlich genommen, ein Witz. Ein Quadrat finden, das einem gegebenen Quadrat flächengleich ist? Man nehme das Quadrat selbst. Gemeint ist etwas anderes: ein Quadrat lückenlos und überdeckungsfrei mit mehreren Quadraten auszulegen. Das ist immer noch leicht: Jedes Schachbrett ist eine Pflasterung eines großen Quadrates mit 8×8 kleinen; ein geeignetes Stück Küchenwand, mit quadratischen Fliesen gekachelt, ist ein weiteres Beispiel. Interessant wird es erst durch die folgende Zusatzbedingung: Alle Kacheln müssen unterschiedliche Größe haben.
Dann allerdings ist das Problem wieder ziemlich schwer. Erst in diesem Jahrhundert wurden Lösungen gefunden, und zwar über eine etwas einfachere Vorstufe: Man versuchte nicht gleich ein Quadrat mit Quadraten zu pflastern, sondern zunächst ein Rechteck mit frei wählbaren Seitenlängen. Die naheliegende Idee, die Quadrate der Fibonacci-Pflasterung zu nehmen, die sich ja in jedem Schritt zu Rechtecken fügen (Spektrum der Wissenschaft, November 1997, Seite 10), scheitert daran, daß diese Konstruktion von Beginn an zwei gleiche Quadrate der Seitenlänge 1 enthält.
Im Jahre 1903 bewies der deutsche Geometer Max Dehn (1878 bis 1952), daß die Seiten eines Rechtecks, das mit Quadraten ausgelegt ist, mit sämtlichen Quadratseiten kommensurabel sein müssen: Alle Seitenlängen sind ganzzahlige Vielfache einer einzigen Zahl. Nach geeigneter Wahl der Längeneinheit sind also alle Seitenlängen ganze Zahlen. Inzwischen gibt es für diesen Satz mindestens ein Dutzend – ziemlich verwickelte – Beweise.
Anscheinend war es der polnische Mathematiker Zbigniew Moro´n (1904 bis 1971), der 1925 die erste Quadratur eines Rechtecks entdeckte. Neun quadratische Kacheln mit den Seitenlängen 1, 4, 7, 8, 9, 10, 14, 15 und 18 ergaben ein Rechteck der Größe 33×32. Vielleicht wollen Sie die Lösung mit selbstgemachten Pappquadraten suchen. Sie steht zum Beispiel in dem unten angegebenen Buch von Croft, Falconer und Guy. Moro´n fand auch eine Quadratur für das Rechteck der Größe 65×47 (Bild 2).
Roland P. Sprague, Studienrat und später Mathematik-Didaktiker in Berlin, entdeckte 1939 die erste Quadratur eines Quadrats. Seine Lösung verwendet 55 Kacheln, hat allerdings einen Schönheitsfehler: Sie enthält ein quadriertes Rechteck, ist also in einem gewissen Sinne aus nicht-elementaren Bausteinen zusammengesetzt. Eine Pflasterung ohne derartige Unterstrukturen nennt man einfach – eine Bezeichnung, die sich als paradox herausstellt, denn einfache Quadraturen sind viel schwieriger zu finden als die anderen.
Um 1940 entdeckten R. L. Brooks, C. A. B. Smith, A. H. Stone und W. T. Tutte, vier Studenten vom Trinity College in Dublin, die erste einfache Quadratur eines Quadrats – auf einem interessanten Umweg. Anstelle einer (noch unbekannten) Pflasterung eines Rechtecks durch Quadrate betrachteten sie einen dazugehörigen Graphen, das sogenannte Smith-Diagramm. Jede waagerechte Linie der Pflasterung entspricht einem Knoten dieses Netzes, jede Kachel einer Kante. Diese verbindet die beiden Knoten, die zu den waagerechten Linien gehören, welche die Ober- und die Unterkante der Kachel enthalten. Jede Kante wird mit der Seitenlänge ihrer Kachel beschriftet (Bild 2).
Wenn man sich nun vorstellt, daß die Kanten des Smith-Diagramms Drähte mit Widerstand 1 sind, und die Zahlen an den Kanten als elektrische Ströme durch die Drähte interpretiert (etwa in Ampere gemessen), dann bildet das ganze Diagramm bemerkenswerterweise ein Netzwerk elektrischer Ströme, in dem die Kirchhoffschen Gesetze gelten. Wenn man Strömen, die in entgegengesetzten Richtungen fließen, unterschiedliche Vorzeichen gibt, lassen sich diese Gesetze auf folgende elegante Weise formulieren:
1. Die Summe der Ströme, die in jeden Knoten fließen, ist null, außer in den Knoten, in denen der Strom in das Netzwerk eintritt oder es verläßt. Anders ausgedrückt: In jeden Knoten fließt soviel Strom hinein, wie aus ihm herausfließt; sonst müßte sich elektrische Ladung im Knoten anhäufen.
2. Die Summe der Ströme in jeder geschlossenen Drahtschleife ist null.
Daß diese Gesetze in unserem Falle zutreffen, folgt leicht aus der Geometrie der Parkettierung. Man betrachte beispielsweise die Schleife, die aus den zuäußerst gelegenen Kanten des Smith-Diagramms besteht. Das zweite Gesetz fordert für diese Schleife, daß die Summe der Seitenlängen der Teilquadrate, die der linken vertikalen Seite des Rechtecks anliegen, gleich der entsprechenden Summe an der rechten Rechtecksseite sein soll; das ist offensichtlich der Fall.
Mit Hilfe von Prinzipien aus der elektrischen Schaltkreistheorie entwickelten die vier Dubliner Mathematiker dann systematische Methoden zur Konstruktion und Analyse von Rechtecksquadraturen mit dem Ziel, schließlich doch eine einfache Quadratur eines Quadrates zu finden.
Der erste Erfolg kam durch unerwartete Hilfe. Brooks hatte für ein Rechteck der Größe 112×75 eine dreizehnteilige Quadratur gefunden und daraus ein Legepuzzle gebastelt. Auch seiner Mutter gelang die Lösung – aber eine andere (Bild 1 links). Eine solche Doppellösung war den Mathematikern noch nicht untergekommen. Aber sie hatten einige Zeit gehofft, zwei Quadraturen ein und desselben Rechtecks zu finden, die kein Quadrat gemeinsam haben. Solche könnte man näm-lich mit zwei zusätzlichen Quadraten leicht zur Quadratur eines Quadrats zusammenfügen (Bild 1 rechts) – es wäre keine einfache, aber immerhin ein Anfang.
Mit Brooks' Rechteck ging das nicht, denn die zwei Quadraturen bestehen ja aus den gleichen Quadraten. Aber bei näherer Betrachtung der Smith-Diagramme bemerkten die Mathematiker, daß in einem von ihnen (oben in Bild 1) zwei horizontale Linien auf derselben Höhe liegen. Für das zugehörige Leitungsnetz bedeutet das, daß die entsprechenden Knoten keine Spannungsdifferenz haben. Durch eine Leitung, die man zwischen beide legt, würde also kein Strom fließen; alle anderen Stromflüsse würden sich auch nicht verändern. Man kann also die beiden Knoten zu einem vereinigen und erhält wieder ein gültiges Smith-Diagramm. Die zugehörige Quadratur ist in diesem Falle die untere in Bild 1 links.
Aus dieser Idee entwickelten Brooks und seine Kollegen weitere Möglichkeiten, Smith-Diagramme zu verändern. Schließlich fanden sie auf diesem Wege ein einfaches quadriertes Quadrat mit 69 Kacheln. Nach weiteren Anstrengungen gelang es Brooks, die Anzahl der Teilquadrate auf 39 zu reduzieren.
Im Jahre 1948 fand T. H. Willcocks von der Bank of England in Bristol eine – allerdings nicht einfache – Quadratur eines Quadrats mit nur 24 Kacheln. Derweil katalogisierten C. J. Bouwkamp von der Technischen Universität Eindhoven (Niederlande), sein damaliger Doktorand A. J. W. Duijvestijn und ihre Kollegen alle Quadraturen von Rechtecken mit bis zu 15 Kacheln und fanden insgesamt 3663. Im Jahre 1962 bewies Duijvestijn, daß jede einfache Quadratur eines Quadrates wenigstens 21 Kacheln haben muß; 16 Jahre später fand er ein solches Quadrat (Bild 3) und bewies, daß es das einzige ist. Im Jahre 1992 veröffentlichten Bouwkamp und Duijvestijn das vollständige Sortiment der 207 einfachen Quadrate-Quadraturen mit 21 bis 25 Kacheln.
Damit ist die Quadratur des Quadrates im wesentlichen erledigt; aber es gibt unzählige Varianten. Wie steht es mit der Quadratur von Dominos, also Rechtecken mit einem Seitenverhältnis von 2 zu 1? Die triviale Lösung besteht darin, an ein bereits gepflastertes Quadrat ein einzelnes Quadrat der gleichen Größe anzufügen. P. J. Federico, Angestellter des amerikanischen Patentamts, Dozent für Rechtswissenschaften an der George-Washington-Universität in der amerikanischen Bundeshauptstadt, Mitglied des Obersten Gerichtshofs der USA und Amateurmathematiker, hat 1963 nichttriviale Lösungen angegeben.
Eine weitere Verallgemeinerung besteht darin, nicht nur Rechtecke der Ebene mit Quadraten zu pflastern, sondern andere topologische Strukturen. Das hat David Gale vom Mathematischen Institut der Universität von Kalifornien in Berkeley in der Kolumne "Mathematical Entertainments" der Zeitschrift "The Mathematical Intelligencer" diskutiert. Man kann beispielsweise gegenüberliegende Kanten eines Rechtecks miteinander identifizieren, also zusammenkleben – jedenfalls in der Vorstellung. Das ergibt einen Zylinder. Verdreht man die eine Kante vor dem Zusammenkleben um 180 Grad, entsteht ein Möbius-Band. Verklebt man beide Paare gegenüberliegender Kanten – ohne Verdrehung –, ergibt sich ein Torus, eine Ringfläche mit einem Loch in der Mitte. Verklebt man beide Paare gegenüberliegender Kanten, eines davon verdreht, so entsteht eine Kleinsche Flasche, jene berühmte einseitige geschlossene Fläche, die sich im dreidimensionalen Raum nicht ohne Selbstdurchdringung darstellen läßt. Verdreht man schließlich beide Kantenpaare vor dem Verkleben, ist das Ergebnis eine projektive Ebene – auch eine einseitige Fläche, die im dreidimensionalen Raum nicht darstellbar ist.
Man kann sich die ganze Verkleberei zwar nicht vorstellen, ohne daß man das Rechteck in Gedanken deformiert wie ein Gummituch. Trotzdem ist die Metrik auf den merkwürdigen Flächen dieselbe wie in der Ebene. Es ist, als ob ein Millimeterpapier-Raster auf das Rechteck gezeichnet wäre und beim Deformieren mitgedehnt würde; alle Entfernungen würden mit dem verzerrten Raster gemessen. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn etwa von einem Quadrat auf einem Torus die Rede ist.
Deswegen ist jede Parkettierung des Rechtecks auch eine Parkettierung der neu entstehenden Flächen. Aber es könnte mehr geben, denn die Kacheln dürfen die Klebekanten überschneiden. Beispielsweise zeigt Bild 4 unten ein Möbius-Band, das mit nur zwei Quadraten der Seitenlängen 1 und 2 überdeckt ist. Die Pfeile deuten an, welche Kanten wie zu verkleben sind. In dem Bild scheint ein Quadrat in zwei Rechtecke zerschnitten zu sein, aber die Teile fügen sich beim Verkleben zusammen.
Diese Parkettierung des Möbiusbandes hat allerdings eine unschöne Eigenschaft: Das kleine Quadrat grenzt mit einer ganzen Kante an sich selbst, denn Oberkante und Unterkante geraten beim Verkleben aneinander. Es ist also selbst ein Möbiusband. Im Jahre 1993 fand Scott T. Chapman von der Trinity University in San Antonio (Texas) eine Parkettierung des Möbius-Bandes mit fünf Kacheln und ohne diese unangenehme Eigenschaft (Bild 4). Mit weniger Kacheln geht es nicht.
Auch einen Zylinder kann man quadrieren, braucht dazu allerdings mindestens 9 Quadrate – wie für Rechtecke. Eine triviale Quadratur besteht einfach darin, zwei Kanten eines Moro´nschen Rechtecks zu verkleben. Aber es gibt auch zwei nichttriviale Lösungen mit 9 Quadraten. Sie haben die gleichen Größen wie die Moro´ns, sind aber anders angeordnet.
Beim Zylinder und beim Möbius-Band müssen – wie beim Rechteck – die Kanten der Kacheln parallel zu den Rändern dieser Flächen verlaufen. Der Torus, die Kleinsche Flasche und die projektive Ebene aber haben keinen Rand; also dürfen die Quadrate im Prinzip in einem beliebigen Winkel zu den ehemaligen Rechteckkanten liegen. In der Tat läßt sich ein Torus auf diese Weise mit nur zwei Quadraten überdecken, wenn auch eines davon an sich selbst grenzt (Bild 4 oben). Diese Anordnung liefert nebenbei einen Beweis des Satzes von Pythagoras. Sehen Sie, warum?
Über Parkettierungen der Kleinschen Flasche weiß man nicht viel. Jede Parkettierung eines Möbiusbandes kann man entlang des Randes mit sich selbst verkleben (es gibt nur einen Rand) und erhält so eine Parkettierung der Kleinschen Flasche. Andere Parkettierungen mit bis zu sechs Kacheln gibt es nicht. Ob das auch für 7 und 8 Kacheln so ist, weiß niemand, aber es gibt eine Parkettierung der Kleinschen Flasche mit 9 Kacheln, die sich nicht aus einer des Möbiusbandes herleiten läßt.
Über Parkettierungen der projektiven Ebene ist fast nichts bekannt. Und wie steht es zum Beispiel mit Parkettierungen einer Würfeloberfläche? Wenn ein Würfel die Kantenlänge 3031451 hat, ist seine Oberfläche in 70 verschiedene Quadrate zerlegbar, wie unter http://www.sciam.com/1998/0398issue/0398mathrec.html zu besichtigen ist.

Literaturhinweise

Unsolved Problems in Geometry. Von Hallard T. Croft, Kenneth J. Falconer und Richard K. Guy. Springer, New York 1991.
Squaring the Square. Von W. T. Tutte. Kapitel 17 in: More Mathematical Puzzles and Diversions. Von Martin Gardner. Penguin Books, 1977.
Tiling of Surfaces by Unequal Squares. Von David Gale in: The Mathematical Intelligencer, Band 15, Heft 1, Winter 1993, Seiten 48 bis 50.
Perfect Square Dissection. Zusammenfassung mit weiteren Links von Eric W. Weisstein. http://www.astro.virginia. edu/~eww6n/math/PerfectSquareDissection.html.
The dissection of rectangles into squares. Von R. L. Brooks, C. A. B. Smith, A. H. Stone und W. T. Tutte in: Duke Mathematical Journal, Band 7, Seiten 312 bis 340, 1940.
Note on some low-order perfect squared squares. Von P. J. Federico in: Canadian Journal of Mathematics, Band 15, Seiten 350 bis 362, 1963


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 10
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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