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Standards: Die Schritt-Macher

In drei Stufen soll der Mobilfunk schneller werden, den vorläufig krönenden Abschluss bietet der Standard UMTS.


Im Sommer 2000 verfolgte manch einer ungläubig eine öffentliche Versteigerung in der Tagespresse. In Deutschland erwarben sechs Unternehmen und Konsortien – T-Mobil, Mannesmann Mobilfunk, Mobilcom/France Telecom, E-Plus/Hutchison, Viag Interkom und Telefonica/Sonera – für insgesamt 99,5 Milliarden Mark vom Staat das Recht, zwanzig Jahre lang bestimmte Frequenzen um zwei Gigahertz (Milliarden Hertz) für künftigen Mobilfunk zu nutzen.

Dahinter steht die mittlerweile oft angezweifelte Hoffnung, ab 2003 einen gigantischen Markt zu bedienen: Handy, Notebook und Organizer sollen Tore zu einer multimedialen Netzwelt werden, die nicht mehr an fest verlegte Leitungen gebunden ist. Surfen und Einkaufen im Internet, Bankgeschäfte und mobiles Büro, Spiele, aktuelle Straßenkarten und Telefonieren mit und ohne Bild – mit der UMTS genannten Technik (Universal Mobile Telecommunications System) sind theoretisch Datenraten von zwei Megabit pro Sekunde (Mbps) erreichbar, das ist 200-mal mehr, als mit heutigen Handys möglich, und 30-mal schneller als eine ISDN-Leitung.

Zur Zeit telefonieren die meisten Mobilfunknutzer mit Datenraten von 9,6 Kilobit pro Sekunde (kbps), was fürs Telefonieren und zum Versand kurzer Textmeldungen (SMS, Short Message Service) ausreicht, für den Empfang einfach aufgebauter Internet-Seiten trotz der speziellen WAP-Sprache (Wireless Application Protocol) aber schon mit längeren Wartezeiten verbunden ist. Diese Netze arbeiten nach dem digitalen GSM-Standard (Global System for Mobile Communication).

Jedes Gespräch im GSM-Netz findet auf einem festen Frequenzkanal statt, der beim D-Netz zwischen 880 und 960 Megahertz (MHz) und beim E-Netz zwischen 1710 und 1880 MHz liegt. In diese Frequenzbänder passen einige hundert Funkkanäle mit einer Bandbreite von 0,2 MHz. Jeder dieser Kanäle wird nochmals in acht "Zeitschlitze", so genannte "virtuelle Kanäle", unterteilt, die sich nach jeweils 0,57 Millisekunden abwechseln. Auf einer bestimmten Frequenz können also maximal acht Personen telefonieren, das ständige Umschalten erfolgt für die Sprecher unmerklich.

Auf dem Weg zu UMTS sollen nun drei Erweiterungen von GSM mit immer höheren Datenraten den Markt vorbereiten – für manche Anwendungen machen sie allerdings UMTS bereits Konkurrenz. So ist es eine nahe liegende Idee, einige der acht virtuellen Kanäle wieder zu bündeln, um mehr Daten zu befördern. Das so genannte High Speed Circuit Switched Data-Verfahren (HSCSD), das inzwischen fürs D2- und E-Plus-Netz angeboten wird, fasst maximal vier Kanäle zusammen, um den Energieverbrauch im Handy und die Auslastung des Netzes nicht zu sehr in die Höhe zu schrauben. Da zugleich ein anderes Fehlerkorrekturverfahren als beim "klassischen" GSM benutzt wird, erreicht jeder Kanal zudem 14,4 statt 9,6 kbps. Insgesamt stehen also bis zu 57,6 kbps zur Verfügung, das entspricht immerhin schon einem handelsüblichen PC-Modem im Festnetz.

UMTS wird, wie im Internet üblich, alle Daten, ob Telefongespräche, E-Mails, Programmdateien oder Videos, als Strom kleiner Datenpakete versenden. Der Weg, den das einzelne Päckchen vom Sender zum Empfänger nimmt, richtet sich nach dem aktuellen Zustand des Netzes; am Ende setzt eine spezielle Software alles wieder zusammen. Ein solches Vorgehen nutzt die vorhandenen Ressourcen wesentlich effektiver aus als die feste Kanalzuweisung. Wie gut sich dieses Prinzip für den Mobilfunk eignet, erprobt derzeit der General Packet Radio Service (GPRS). Auch hier werden zudem virtuelle GSM-Kanäle zusammengefasst. Bei maximaler Kanalbündelung wäre eine Rate von 171,2 kbps möglich – sofern der Nutzer der Einzige wäre, der von der Funkzelle Gebrauch macht. In der Realität sinken die GPRS-Raten aber schnell auf etwa 40 kbps.

Statt nach der Nutzungszeit wird dieser Dienst nach dem Datenaufkommen abgerechnet, was für den Kunden den Vorteil hat, dass er ständig online sein kann: Er bezahlt nur für die tatsächlich übertragenen Daten. Derzeit gibt es aber nur wenige Anbieter von GPRS-Handys, und die Tarife sind so teuer, dass eine Nutzung fast nur für professionelle Anwender in Frage kommt.

Als leistungsfähigste GSM-Erweiterung ist EDGE geplant (Enhanced Data Rate for the GSM Evolution). Ein neues Modulations- und Kodierungsverfahren soll die Geschwindigkeit nochmals verdreifachen, sodass bei einer Bündelung von acht Kanälen bis zu 553,6 kbps pro Nutzer durch den Äther rauschen können. EDGE wird vor allem von Betreibern der GSM-Netze angeboten werden, die keine UMTS-Frequenzen ersteigert haben und somit auf den alten Frequenzbändern Dienste anbieten müssen.

Ab 2003 soll dann für mindestens 25 Prozent der Bevölkerung UMTS verfügbar sein. Lizenziert wurden zwei Frequenzbänder mit je 60 MHz und eines von 30 MHz Breite zwischen 1920 und 2170 MHz. Jedes Band wird wiederum in schmälere von fünf MHz Breite unterteilt. Dank eines neuen Verfahrens, das sich von GSM deutlich unterscheidet, kann UMTS wesentlich höhere Datenraten erreichen. Dafür müssen Hard- und Software der Sendeanlagen vollkommen geändert werden; immerhin dürfen die verschiedenen Konsortien dabei kooperieren, um Kosten zu sparen.

UMTS arbeitet nicht mehr mit unterschiedlichen Frequenzkanälen und Zeitschlitzen wie GSM. Jede Funkverbindung nutzt stattdessen die gleiche spektrale Bandbreite von fünf MHz. Das Signal für das eine Handy unterscheidet sich nur dadurch von dem eines anderen, dass es mit einem anderen Code verschlüsselt wurde. Das Endgerät empfängt also eine Vielzahl überlagerter Signale, kann aber mit dem mitgeschickten Code ausschließlich die an seine Adresse gerichteten entschlüsseln. Das erledigt der Algorithmus Code Division Multiple Access (CDMA), den das amerikanische Unternehmen QualComm Mitte der 1980er Jahre aus einem ursprünglich militärischen Verfahren für die zivile Nutzung weiterentwickelt hat.

UMTS wird in den nächsten Jahren zunächst in Großstädten eingeführt. Welche Datenraten in der Praxis zu erreichen sind, hängt zum einen von der Größe der Funkzelle ab, die ein einzelner Sender beliefert. Die genannten zwei Megabit pro Sekunde lassen sich nur in so genannten Pikozellen von etwa zehn Metern Durchmesser erreichen, also in unmittelbarer Nähe eines Senders und geringer Bewegung der Empfänger. Bei einem solchen quasistationären Betrieb entfallen sowohl die Übergabe von einer Funkstation zur nächsten als auch Frequenzverschiebungen durch Dopplereffekte, die beide die Raten senken.

In Mikrozellen von ein- bis zweihundert Metern Durchmesser können Fußgänger und langsame Fahrzeuge bedient werden. Mikrozellen sollen in Innenstädten, Bahnhöfen und Flugplätzen Raten um 384 kbps liefern. Das reicht beispielsweise für viele Büroanwendungen, guten Internetzugang oder eine Videokonferenz mittlerer Bildqualität. Außerhalb der genannten Bereiche sinken die Datenraten für Autofahrer oder Zugreisende beträchtlich, in dünn besiedelten Landstrichen auf maximal 144 kbps.

Ob GPRS, HSCSD, EDGE oder UMTS von den Kunden bevorzugt werden, hängt von vielen Faktoren ab: etwa von der erreichbaren Datenrate und den Bedürfnissen der Nutzer, von der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Netze und nicht zuletzt von den Kostenmodellen der Betreiber. Ein Wermutstropfen aber bleibt in jedem Fall: In den USA und in China werden UMTS-Handys nicht funktionieren. Dort gelten eigene Standards. Wer häufig in diesen Ländern zu tun hat, benötigt mehrere Geräte.


Stichwort: Standard UMTS


Ein Mobilfunk-Standard wie GSM oder UMTS ist ein umfangreiches Konvolut von Spezifikationen: für Frequenzen, Modulationsverfahren, Fehlerkorrekturen, Sicherheitsmerkmale, Datenübergabe beim Wechsel der Funkzellen oder auch Empfehlungen für die Konstruktion von Sendern und Endgeräten sowie die Einbindung verschiedenster Anwendungen. In derartige Standardisierungen gehen auch die Vorarbeiten und Empfehlungen anderer Organisationen mit ein, wie zum Beispiel von ETSI (European Telecommunications Standards Institute) oder der IETF (Internet Engineering Task Force).

Regierungen und Unternehmen koordinieren ihre Aktivitäten auf dem Kommunikationssektor in der ITU, der International Telecommunication Union, mit Sitz in Genf. Zur Zeit gibt es mehr als 2600 explizite ITU-Empfehlungen für Vereinheitlichungen auf dem Gebiet der Telekommunikation. Für den Mobilfunk hat die ITU unter dem Begriff IMT-2000 einen Rahmen entwickelt, in dem sich die verschiedenen Standards des Mobilfunks der 3.Generation (UMTS, cdma2000, TD-SCDMA) wieder finden.

Die Kunst bei der Ausarbeitung eines Standards ist es, auf der einen Seite die Technik so festzuschreiben, dass die Produkte verschiedener Hersteller später miteinander kompatibel sind, aber auf der anderen Seite so viel Freiheit zu lassen, dass der Wettbewerb um die besten Lösungen nicht behindert wird. Wie schwierig das ist, zeigt sich daran, dass der Standard für die nächste Mobilfunkgeneration bereits zu einem Zeitpunkt definiert wird, zu dem die aktuelle gerade startet. So begannen die Planungen zu IMT-2000 im Jahre 1992, als der erste digitale Mobilfunkstandard GSM seinen Betrieb aufnahm. Und zur Zeit ist es dasselbe: Das UMTS-Zeitalter hat noch nicht begonnen, da wird bereits die 4. Mobilfunk-Generation diskutiert.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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