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Die Teleskope der nächsten Generation

Eine Fülle neuer Großobservatorien auf der Erde und im Weltraum wird in den kommenden Jahrzehnten den Himmel für die Astronomen weiter öffnen denn je. Einen Ausblick gab kürzlich eine internationale Tagung in München.


Noch tiefer in den Kosmos zu sehen und immer mehr Details zu erkennen ist eines der wichtigsten Anliegen der Astronomen; denn nur so lassen sich Aufbau und Geschichte des Universums genauer ergründen und Theorien darüber testen. Doch das Streben nach immer detaillierteren Einblicken in die Weiten des Alls lässt sich nur durch noch größere und technologisch aufwendigere Teleskope verwirklichen. Einen Überblick darüber, was an neuen Instrumenten in der Planung, im Bau oder gerade in Betrieb gegangen ist, gab Ende März die internationale Tagung "Astronomical Telescopes and Instruments 2000" in München.

Hubbles Nachfolger

Ganz oben auf der Planungsliste steht ein Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops (HST), das zwar immer noch spektakuläre Bilder liefert, aber wegen seiner langen Planungs- und Bauzeit schon bei seinem Start im Jahre 1990 den veralteten Stand der Technologie von Anfang der achtziger Jahre verkörperte. Dem soll das Next Generation Space Telescope (NGST) abhelfen, das voraussichtlich um 2010 gestartet wird.

Dabei gilt es, geringes Gewicht (NGST soll leichter und billiger als das omnibus-große HST sein) mit hoher Präzision zu verbinden. So hat die Universität von Arizona mit industriellen Partnern einen 6-Meter-Primärspiegel aus einer nur wenige Millimeter dünnen Zerodur-Membran auf einem Kohlefaser-Träger vorgeschlagen.

Favorisiert wird allerdings ein Spiegel mit acht Metern Durchmesser – wie bei den modernsten erdgebundenen Teleskopen –, der aus sechseckigen, beim Start gefalteten Segmenten besteht (Bild unten). Da er erst im Weltraum ausgeklappt würde, ließe er sich beispielswei-se problemlos in einer Atlas-Rakete mit einem Innenraum-Durchmesser von vier Metern unterbringen. Computergesteuerte Aktuatoren stellen sicher, dass der Spiegel auch bei kosmischer Kälte – 250 Celsiusgrade unterhalb der Temperatur beim Polieren auf der Erde – seine Form mit der nötigen Präzision beibehält.

Tiefe Temperaturen (unter 70 Kelvin) sind aber auch für die Funktion des Teleskops selbst erforderlich, da dadurch störende Vibrationen und thermische Strahlung vermieden werden. Aus diesem Grund – und um Streulichteinflüsse zu minimieren – soll die Umlaufbahn soweit wie möglich von Erde und Mond entfernt sein. Voraussichtlich wird das NGST deshalb am äußeren der beiden so genannten Lagrange-Punkte des Sonne-Erde-Systems stationiert und dort in etwa 1,5 Millionen Kilometer Entfernung (dem vierfachen Abstand zum Mond) auf der sonnenabgewandten Seite gemeinsam mit der Erde die Sonne umkreisen. Eine Wartung durch Astronauten ist dann allerdings nicht möglich – und hoffentlich auch nicht nötig.

Das NGST wird eine zehnfach größere Lichtsammelfläche haben als das HST. Das macht es bei infraroten Wellenlängen von 1 bis 5 Mikrometern tausendmal empfindlicher, sodass auch noch weit entfernte oder schwach leuchtende Objekte registriert werden können – darunter Zeugen von Ereignissen, die weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall stattfanden. Wie und wann entwickelten sich aus dem heißen, dichten Plasma im frühen Universum Galaxien, Sterne und die Elemente, auf denen auch das Leben beruht? Dies ist eine der zentralen Fragen, auf die das NGST Antworten liefern soll.

Sehr junge kosmische Objekte haben auf Grund der Expansion des Universums hohe Rotverschiebungen: Ihr ursprünglich bei optischen Wellenlängen ausgesandtes Licht rückt ins nahe Infrarot jenseits von zwei Mikrometern Wellenlänge. Während das Hubble-Teleskop diesen Bereich nicht registriert, soll das NGST Wellenlängen von 0,6 bis über 10 Mikrometer abdecken. Dabei wird das Verhältnis Signal-zu-Rauschen 200-mal besser sein als bei einem terrestrischen 8-Meter-Teleskop – bei einer Auflösung von 0,06 Bogensekunden.

Dennoch macht das NGST die großen Teleskope auf der Erde keineswegs überflüssig: Diese liefern im optischen Bereich durchaus vergleichbare Aufnahmen, sofern der Einfluss der Erdatmosphäre durch adaptive Optik eliminiert wird (Spektrum der Wissenschaft 8/94, S. 48). Irdische Großteleskope für sichtbares Licht und ein weltraumgestütztes Observatorium für den nahen Infrarotbereich werden sich also in idealer Weise ergänzen.

Das All im Röntgenlicht

Da die Erdatmosphäre hochenergetische Ultraviolett-, Röntgen- und Gammastrahlung absorbiert, sind die Astronomen in diesem Spektralbereich ganz auf Weltraumteleskope angewiesen. Den langjährigen großen Erfolg des deutschen Röntgensatelliten Rosat sollte der 1999 gestartete Abrixas fortsetzen. Wegen einer überladenen und deshalb defekten Batterie umkreist er jedoch funktionslos die Erde.

Immerhin hat er wichtige Vorerfahrungen für den europäischen Röntgensatelliten XMM-Newton (X-Ray Multi Mirror Mission) geliefert, der nach einem Bilderbuch-Start mit einer Ariane 5-Rakete im letzten Dezember seine Arbeit begonnen hat (Bild oben). Er kann gleichzeitig Röntgenbilder und Spektren aufnehmen. Seine Teleskopröhre ist etwa 10 Meter lang und hat 2,5 Meter Durchmesser. 58 goldbeschichtete konzentrische Schalen reflektieren die einfallenden Röntgenphotonen bei kleinen Winkeln erst an einem parabolischen, dann an einem hyperbolischen Spiegel und bündeln sie schließlich in dessen Fokalebene. Eine ebenfalls eingebaute Kamera ermöglicht, gleichzeitig Spektren im optischen Bereich aufzunehmen, was die Interpretation der Röntgenstrahlung erleichtern kann. Die Finanzierung ist für die nächsten zwanzig Jahre gesichert.

XMM dürfte eine Vielzahl entfernter und deshalb sehr schwacher Röntgenquellen entdecken, ebenso Quasare und Schwarze Löcher. Hochaufgelöste Röntgenspektren von einzelnen Sternen, Supernova-Überresten und Galaxien werden neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Sternen und Galaxien zu Tage fördern. Für die Untersuchung von Röntgen-Punktquellen besonders gut geeignet ist der ebenfalls im vergangenen Jahr gestartete amerikanische Röntgensatellit Chandra X-Ray Observatory CXO, der eine Winkelauflösung von weniger als einer Bogensekunde erreicht (Spektrum der Wissenschaft 2/2000, S. 25). Das Nachfolgeprojekt Xeus für diese beiden Observatorien ist bereits in der Planung.

Auch für den Energiebereich unterhalb des sichtbaren Lichts sind neue Weltraumteleskope geplant. Als europäisches Gegenstück zum amerikanischen Cobe-Satelliten, der schon vor Jahren das Spektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung vermessen hat (Spektrum der Wissenschaft 3/90, S. 78), startet die Esa im Jahre 2007 ein 1,5-Meter-Teleskop mit hochempfindlichen Detektoren. Es ist nach Max Planck benannt, der das Spektrum eines Schwarzen Körpers erstmals korrekt deutete und damit die Quantentheorie begründete.

Die kosmische Hintergrundstrahlung entspricht einem solchen Spektrum im Mittel sehr gut. Planck soll jedoch – genauer als Cobe dies konnte – nach kleinen Abweichungen vom Mittelwert in der Größenordnung von einem millionstel Kelvin suchen. Sie deuten auf Inhomogenitäten in der Materie- und Energieverteilung im frühen Kosmos hin, aus denen sich die Galaxien entwickelt haben könnten.

Gemeinsam mit Planck wird das Far InfraRed and Submillimeter Telescope First gestartet. Beide Satelliten sollen noch vor dem NGST den zweiten La-grangepunkt erreichen. Mit dem 3,5-Meter-Spiegel von First und drei Instrumenten (ein hochauflösender Spektrograph, Infrarotkameras und Spektrometer) werden sie Wellenlängen von 60 bis 670 Mikrometern – deutlich oberhalb des NGST-Bereiches – erfassen. Forschungsziel sind somit Sternentstehungsgebiete, planetare Scheiben und komplexe orga-nische Moleküle in Kometenatmosphären, aber auch der Ursprung der ersten Galaxien.

Erdgebundene Teleskope

Neben dem optischen Fenster von 300 bis 800 Nanometern hat die Erdatmosphäre das so genannte Radiofenster bei etwa 1 Millimeter bis 20 Meter Wellenlänge. In beiden Fenstern wird erdgebundene Astronomie auch in Zukunft wichtig bleiben, zumal sich der bei Lichtteleskopen störende Einfluss atmosphärischer Turbulenzen durch adaptive Optik ausschalten lässt: Schon heute liefert ein adaptiv korrigiertes 8-Meter-Teleskop auf der Erde bei gleicher Wellenlänge etwa 3,5-mal schärfere Bilder als das Hubble-Weltraumteleskop.

Eines der ehrgeizigsten Projekte ist das Atacama Large Millimeter Array Alma, das europäische und amerikanische Astronomen in der chilenischen Atacama-Wüste auf 5000 Metern Höhe errichten wollen (Bild auf Seite 14). Es soll noch in diesem Jahrzehnt fertig gestellt werden und detaillierte Untersuchungen von entfernten Galaxien, Sternentstehungsgebieten, protoplanetaren Scheiben und Planeten bei Millimeter-Wellenlängen ermöglichen. Mit 64 Antennenschüsseln von jeweils 12 Metern Durchmesser hat es eine Gesamtfläche von etwa 7000 Quadratmetern. Arbeiten alle 64 Antennen interferometrisch zusammen, wird die Winkelauflösung eine Bogensekunde unterschreiten (zum Vergleich: das 15-Meter Submillimeter-Teleskop Sest in La Silla hat eine Winkelauflösung von 44 Bogensekunden). Die ersten beiden Prototyp-Antennenschüsseln sollen schon bis Ende 2001 fertig gestellt sein.

Durch interferometrische Kopplung der vier 8,2-Meter-Teleskope soll auch das VLT der Eso in Chile zum VLTI ausgebaut werden. Dies wird die Auflösung bis zu Millibogensekunden steigern, so-dass sich möglicherweise erstmals extrasolare Planeten direkt abbilden lassen. In zwei Jahren sollen die ersten beiden der vier 8,2-Meter-Teleskope interferometrisch gekoppelt werden. Im Endstadium werden die vier Spiegel zusammen mit drei beweglichen 1,8-Meter-Zusatzteleskopen das bei weitem größte und flexibelste optische und infrarote Teleskop-Interferometersystem bilden.

Schon jetzt gibt es allerdings detaillierte Projektstudien für noch viel gewaltigere erdgebundene Teleskope – mit Durchmessern bis zu 100 Metern. Sie müssen aus einer Vielzahl von Segmenten zusammengesetzt werden. Anders als in Architektur und Clusterphysik, wo Kombinationen aus Fünf- und Sechs-ecken (Fullerene) besonders stabile Strukturen ergeben, bevorzugen die Teleskopkonstrukteure hexagonale Segmente mit bis zu zwei Metern Umkreis. Diese könnten (wie die monolithischen VLT-Spiegel) aus der Nullausdehnungs-Glaskeramik Zerodur bestehen.

Für ein 100-Meter-Teleskop würden mehr als 2000 solche Elemente benötigt. Das ist technologisch kein unüberwindliches Problem (siehe das nachfolgende Interview mit Massimo Tarenghi). Sehr viel schwieriger wird in dieser Größenordnung jedoch die Handhabung der adaptiven Optik, die man braucht, um die verschmierende Wirkung von Luftturbulenzen, die etwa das Funkeln von Sternen bewirken, zu eliminieren. Doch dafür würden die Einblicke in den Kosmos an Tiefe und Klarheit alles bisher da Gewesene weit hinter sich lassen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2000, Seite 8
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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