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Die Überfischung der Meere

Der sich scheinbar immerzu erneuernde Fischreichtum der Ozeane ist nicht unerschöpflich. Mit technologisch hocheffizienten, aber ökologisch rücksichtslosen Fangmethoden läuft ein ganzer Industriezweig Gefahr, sich die eigene natürliche Grundlage zu entziehen und eine wichtige Proteinquelle der noch wachsenden Menschheit auszuplündern.

An den französischen Biologen Jean-Baptiste Antoine de Lamarck (1744 bis 1829) erinnert man sich heute vor allem wegen seiner Abstammungslehre, in der er die Vielfalt der Lebensformen durch eine – von Charles Darwin (1809 bis 1882) widerlegte – Theorie der Vererbung erworbener Eigenschaften zu erklären suchte. Weniger bekannt sind seine Ansichten über die Hochseefischerei: "Tiere, die im Meer leben", schrieb er, "sind gegen die Vernichtung ihrer Spezies durch den Menschen geschützt. Ihre Vermehrung ist so rapide und ihre Fähigkeit, Nachstellungen zu entgehen, so groß, daß er niemals fähig sein wird, eine gesamte Art irgendeines dieser Tiere auszurotten." Auch hierin irrte Lamarck.

Einem Naturforscher an der Schwelle des Industriezeitalters mag man die Unfähigkeit verzeihen, sich vorzustellen, daß man eines Tages Fische schneller fangen würde, als sie sich fortzupflanzen vermögen. Aber seither sind viele – nicht zuletzt Fachleute für Fischfang – demselben Denkfehler aufgesessen. Dadurch wurden zahlreiche Fischpopulationen extrem dezimiert, marine Ökosysteme aus dem Gleichgewicht gebracht und viele Küstengemeinden in Armut gestürzt. Gerade das Streben nach schnellem Profit hat Unternehmen und Steuerzahler bereits Milliarden Mark gekostet; außerdem bedroht es die Nahrungsversorgung vieler Entwicklungsländer. Die fundamentale Torheit dabei war, daß man Fische nicht als hegenswerte Wildtiere anerkannte; insofern sind sie die einzigen, die noch in großem Maßstab bejagt werden.

Weil die Regenerationsrate frei lebender Bestände von der Natur vorgegeben ist, läßt sich die Versorgung des Marktes mit Fischen nicht unbegrenzt steigern. Diese Grenze scheint im Atlantik, im Mittelmeer und im Pazifik schon überschritten zu sein: Außer im Indischen Ozean gehen die Fangzahlen überall zurück (Bild 2). Der Höhepunkt des weltweiten Fischfangs wurde 1989 mit 82 Millionen Tonnen erreicht; seither ist anstelle von langfristigem Wachstum Stagnation oder sogar Rückgang eingetreten (Bild 4).

In einigen Gebieten, wo die höchsten Fangzahlen schon in den frühen siebziger Jahren erreicht wurden, haben die Anlandungen um mehr als 50 Prozent abgenommen. Noch beunruhigender ist, daß einige der weltweit größten Fanggründe – zum Beispiel die Große Neufundlandbank und die George-Bank vor der Nordostküste der USA – völlig zusammengebrochen und praktisch gesperrt sind. Die dort einst vorherrschende Tierwelt wurde so stark dezimiert, daß sie unter kommerziellen Gesichtspunkten als ausgestorben gilt.

Angesichts dieser katastrophalen Entwicklung verständigten sich die Mitglieder der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO), die noch vor einem Jahrzehnt die Expansion der großindustriellen Fischerei befürwortet hatten, kürzlich auf das Prinzip der Nachhaltigkeit. Sie erkennen nun an, daß der marinen Umwelt – und somit den zahlreichen davon abhängigen Wirtschaftszweigen – bereits schwerer Schaden zugefügt worden ist.

Auch die nationale Wissenschaftsakademie der USA konstatierte im April 1995, daß durch menschlichen Eingriff die Bestände vieler Arten bevorzugter Speisefische drastisch reduziert worden seien; Vielfalt und Individuenhäufigkeit von Meerestieren und -pflanzen hätten sich so stark verändert, daß das Funktionieren der marinen Ökosysteme gefährdet sei (Bild 3). Dieser Studie zufolge ist die Fischerei unter den vielen Tätigkeiten, mit denen der Mensch die Ozeane bedroht, die folgenschwerste.

Tatsächlich sind die Umweltprobleme der Meere in mancher Hinsicht dringlicher als die des Festlands. Daniel Pauly vom Fischereizentrum der Universität von British Columbia in Vancouver (Kanada) und Villy Christensen vom Internationalen Zentrum für das Ressourcenmanagement von Wasserlebewesen in Manila, der Hauptstadt der Philippinen, haben darauf hingewiesen, daß die allermeisten flachen Kontinentalschelfe überfischt sind, während es noch immer weite Flächen unberührten Regenwaldes gibt. Für Wissenschaftler, die nutzbare Meeresorganismen erforschen, sind die Einbußen unübersehbar; Vaughn C. Anthony etwa, der früher für den nationalen Meeresfischereidienst der USA gearbeitet hat, sagt einfach: "Auch der größte Dummkopf weiß, daß es weit und breit keinen Fisch mehr gibt."


Ein Krieg gegen Fische

Wie kam es zu diesem Zusammenbruch? In den fünfziger und sechziger Jahren machte die Fischereitechnik rapide Fortschritte, indem verschiedene militärische Techniken für die Jagd auf hoher See adaptiert wurden. Radar ermöglicht zügige Fahrt selbst in dichtem Nebel, und mittels Echolot lassen sich Fischschwärme auch in trüben Tiefen aufspüren – die sogenannte Fischlupe, ein Ultraschallgerät, zeigt auch ihre Größe genau an. Dank elektronischer Navigationshilfen und Satelliten-Ortungssysteme (vergleiche "Entwicklung & Technologie" auf Seite 102) können die Schiffe auf knapp 20 Meter genau einen bestimmten Ort erreichen, von dem man weiß, daß sich dort Fische sammeln und fortpflanzen. Heutzutage empfangen die Fangflotten Satelliten-Karten der Wassertemperaturzonen, aus denen hervorgeht, wo Fischschwärme wohl ziehen werden. Manche Reedereien setzen auch Flugzeuge mit speziellen Suchgeräten ein, um Schwärme aufzuspüren (Bild 1).

Viele Fangschiffe sind schwimmende Fabriken, die ihren Rohstoff mit gewaltigen Ausrüstungen einholen: Angelleinen mit 130 Kilometern Gesamtlänge und Tausenden beköderter Haken, beutelförmigen Schleppnetzen, in die zwölf Jumbo-Jets passen würden, und bis zu 65 Kilometer langen Treibnetzen (die generell verboten, aber in einigen Ländern immer noch in Gebrauch sind). Die industrielle Fischerei ist so effektiv, daß sie von manchen Populationen jährlich 80 bis 90 Prozent aus dem Wasser holt.

In den letzten zwanzig Jahren bekam dieser Wirtschaftszweig allerdings zunehmend zu spüren, daß die natürliche Reproduktion der Bestände mit dem Abfischen nicht mehr Schritt hält. Aber auf den Rückgang bevorzugter Fischarten reagierte man, indem man auf geringerwertige umstieg – meist solche, die in der Nahrungskette tiefer stehen; damit raubte man größeren Fischen, Meeressäugern und Seevögeln die Nahrung.

In den achtziger Jahren machten bereits fünf weniger begehrte Fischarten fast 30 Prozent der weltweiten Fänge aus, aber nur sechs Prozent des gesamten Marktwerts. Inzwischen gibt es praktisch keinen weiteren Seefisch mehr, der sich wirtschaftlich nutzen ließe.


Aquakultur

Wegen des Niedergangs so vieler Spezies hat man versucht, den Mangel durch Züchten wettzumachen. Der Ertrag an Muscheln, Krebstieren und Fischen der Aquakultur (des systematischen Bewirtschaftens kontinentaler Gewässer und künstlicher Meeresbereiche, teils mit Netzgehegen) ist seit 1985 um zehn Millionen Tonnen gestiegen und hat sich damit in einer Dekade verdoppelt. Bei Süßwasserfisch übersteigt er schon die Ausbeute des Fangs mit Angeln, Reusen und Netzen; doch auch die Lachszucht in Salzwasser konkurriert bereits mit dem Fang von Wildlachs, und rund die Hälfte der gegenwärtig verkauften Garnelen wird in Salzwasserteichen gezogen. Alles in allem liefert die Aquakultur ein Fünftel des vom Menschen verzehrten Wassergetiers.

Unglücklicherweise hat sich dadurch der Druck auf die wildlebenden Populationen nicht verringert – ganz im Gegenteil. Die Garnelenzucht erzeugt Bedarf an in anderer Hinsicht wertlosem Beifang. In einigen Ländern praktizieren die Züchter mittlerweile gar sogenannte Biomassen-Fischerei in großem Maßstab: Sie lassen mit feinmaschigen Schleppnetzen einfach alles aus dem Wasser sieben, was als Futter für ihre Krustentiere verwendet werden kann. Ein Großteil des Fangs sind Jungfische wertvoller Arten, die sich so kaum vermehren können.

Fischfarmen wiederum schädigen oft wildlebende Bestände, weil man für die vor den Küsten angelegten Gehege Mangrovenwälder roden muß, deren Unterwasserwurzeln natürliche Refugien für Garnelen und Fische bilden. Peter Weber vom Worldwatch Institute zufolge ist die Aquakultur einer der Hauptgründe dafür, daß weltweit die Hälfte aller Mangroven zerstört worden ist. Außerdem bedroht die Aquakultur den Seefischbestand, weil gerade besonders wertvolle Zuchtobjekte wie Zackenbarsche, Milchfische und Aale sich in Gefangenschaft nicht vermehren und darum aus wild gefangener Brut aufgezogen werden müssen; der fortwährende Verlust an Jungtieren beschleunigt den Niedergang dieser Arten noch mehr.

Überdies erweist sich die Aquakultur als schlechter Ersatz für den Fischfang, denn sie erfordert erhebliche Investitionen, intensive Bewirtschaftung ausgedehnter Zonen der flachen Schelfmeere beziehungsweise von Seen und Fließgewässern sowie große Mengen sauberen Wassers. Den meisten Menschen, die an den übervölkerten Küsten der Erde leben, mangelt es an all diesen Ressourcen. In vielen Entwicklungsländern liefert die Aquakultur oft nur Garnelen und teure Fischsorten für den Export in reichere Länder, während die Einheimischen für ihre eigenen Bedürfnisse auf den schwindenden Ertrag des Seefischfangs angewiesen bleiben.


Ein gigantisches Verlustgeschäft

Angesichts dieser verfahrenen Situation muß man sich fragen, warum Fisch so leicht erhältlich und in den meisten Industrieländern auch erschwinglich ist. Tatsächlich sind die Preise für Meerestiere stärker gestiegen als die für Geflügel, Schweine- oder Rindfleisch, doch dieser Umstand hemmt wiederum die Umlage der wahren ökologischen Kosten: Die Kunden würden, wenn Fisch noch wesentlich teurer würde, nur noch Fleisch kaufen.

Um die Verteuerung auf den devisenstarken Märkten zu bremsen, verstärkt man die Importe, hält durch Überfischen das Angebot hoch (bis es zusammenbricht) und forciert die Aquakultur. Zum Beispiel ist es gelungen, den Preis für Shrimps nach dem Rückgang vieler wildlebender Populationen durch den Bau von Zuchtanlagen niedrig zu halten.

Somit kontrolliert das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage nur bis zu einem gewissen Grade den Fischpreis. Die Fischerei muß nicht einmal nach rein ökonomischen Regeln – also ungeachtet der Umweltschäden und der Plünderung von Ressourcen, die für künftige Generationen lebenswichtig wären – profitabel sein. Um weltweit jährlich Fisch im Wert von 70 Milliarden Dollar (rund 100 Milliarden Mark) zu fangen, hat die Fischereiindustrie in letzter Zeit Gesamtkosten von 124 Milliarden Dollar aufgewandt. Das Defizit von 54 Milliarden Dollar wird größtenteils durch Subventionen gedeckt. In der Europäischen Gemeinschaft stiegen diese Beiträge zwischen 1983 und 1993 von 80 Millionen Dollar auf 580 Millionen – das heißt um 625 Prozent. Die Unterstützung umfaßt steuerermäßigten Treibstoff, Preiskontrollen, zinsgünstige Darlehen sowie direkte Zuschüsse für Ausrüstung oder Infrastruktur. Mit derart umfangreichen Subventionen suchen die Regierungen Arbeitsplätze zu erhalten, obwohl die Fischerei damit immer rascher ihre eigene Grundlage untergräbt.

Derlei Anreize haben Investoren viele Jahre lang verleitet, mehr Fangschiffe zu finanzieren, als die Ressourcen der Ozeane ertragen. Zwischen 1970 und 1990 wuchs die gesamte Fischereiflotte der Welt doppelt so schnell wie die weltweiten Fangzahlen; sowohl die Gesamttonnage als auch die Anzahl der Fangschiffe verdoppelten sich. Die Kapazität dieser Armada betrug schließlich das Zweifache dessen, was die Meere nachhaltig – also ohne bleibende ökologische Schäden – herzugeben vermögen.

In der Wirtschaftswissenschaft spricht man bei derartigen Fehlentwicklungen von Überkapitalisierung. Paradoxerweise hätten die Fischer ohne zusätzliche Schiffe genausoviel fangen können. Eine Studie in den USA ergab sogar, daß sich der jährliche Gewinn aus dem Flunderfang von 0 auf 6 Millionen Dollar steigern ließe, wenn mehr als 100 Kutter und Trawler ausgemustert würden.

Da die Überkapazität die Menge des verfügbaren Fisches rapide erschöpft, schwindet die Rentabilität, und der Marktwert der Schiffe fällt. Weil deren Besitzer aber ihren wichtigsten Aktivposten nicht ohne großen finanziellen Verlust verkaufen können, geraten sie in eine wirtschaftliche Zwangslage: Sie müssen unrentabel weiterfischen, um ihre Darlehen zurückzuzahlen.

Die Reeder üben deshalb oft beträchtlichen politischen Druck aus, damit die Regierungen die Fangquoten nicht reduzieren. Dieser verhängnisvolle Zusammenhang ist inzwischen allgemein bekannt. Auch die Vereinten Nationen erkennen jetzt an, daß hohe Subventionen zu viele Nutznießer anlocken und letztlich schwere wirtschaftliche und ökologische Schäden verursachen.


Wachsender Nahrungsbedarf

Während die Anlandung von wildlebendem Seefisch weiter zurückgeht, wächst die Weltbevölkerung jedes Jahr um rund 100 Millionen Menschen – das entspricht etwa der Einwohnerzahl Mexikos. Will man trotzdem das heutige Konsumniveau beibehalten, müßten um 2010 jedes Jahr zusätzlich rund 19 Millionen Tonnen Meerestiere auf den Markt kommen. Das geht nur, wenn sich die Erträge der Aquakultur in den nächsten 15 Jahren verdoppeln; außerdem müßte man die Wildbestände sich wieder regenerieren lassen, um ohne erneutes Überfischen höhere Fangquoten zu ermöglichen.

Mit lebensmitteltechnischen Neuerungen lassen sich vielleicht auch Arten, die momentan nur zur Masttierzucht dienen, direkt als Nahrung für den Menschen nutzen. Doch selbst wenn wir den gesamten derzeit an Schlachtvieh verfütterten Fisch (ein Drittel des weltweiten Fangs) selbst verzehren würden, könnte das heutige Konsumniveau nur 20 Jahre lang gehalten werden; danach hielte selbst ein verbesserter Schutz der Meeresfauna nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum Schritt. Darum wird – was bislang undenkbar schien – im nächsten Jahrhundert die natürliche Fähigkeit der Ozeane, den Bedarf der Menschheit nach Meeresfrüchten zu befriedigen, sich erschöpfen.

Um die begrenzte Ressource optimal zu nutzen, wird man unbedingt genaue Kenntnisse über die Biologie und Ökologie der Meere brauchen. Doch dürfte es äußerst schwierig sein, wissenschaftliche Befunde in praktikable Handlungsanweisungen umzusetzen. Bisher haben Fischereiunternehmen und Politiker die zahlreichen nationalen und internationalen Bestandsaufnahmen der letzten Jahre meist ignoriert.

Wenn überhaupt Vorschriften erlassen wurden, haben viele Fischer sich nicht daran gehalten. So überschritten die in den internationalen Gewässern vor Neufundland tätigen Hochseeflotten zwischen 1986 und 1992 die von der Nordwestatlantischen Fischereiorganisation festgesetzten Fangquoten für Kabeljau, Flunder und Rotbarsch um das Sechzehnfache. Als die kanadische Küstenwacht im Frühjahr 1995 dort ein spanisches Fangschiff aufbrachte, fand sie zwei Logbücher: Eines verzeichnete die tatsächlichen Aktionen, das andere war eine Fälschung für die Behörden. Die Kanadier entdeckten außerdem Netze mit unerlaubt engen Maschen und 350 Tonnen Jungfische des Grönland-Heilbutts; kein Fisch an Bord war ausgewachsen genug, sich schon fortgepflanzt zu haben. Solch eigennützig-kurzsichtige Mißachtung von Regularien hat dazu beigetragen, die Fischgründe der Großen Neufundlandbank zu zerstören.

Obwohl die Vereinten Nationen festgestellt haben, daß etwa 70 Prozent des Weltbestands an eßbaren Fischen, Krusten- und Weichtieren dringend planmäßigen Schutzes bedürfen, ist kein Staat bei der Regelung seiner Fischerei auch nur einigermaßen erfolgreich. Noch schlechter steht es um die internationale Zusammenarbeit. Wenn ein Land mit bestimmten zuvor vereinbarten Einschränkungen nicht einverstanden ist, ignoriert es sie einfach. Beispielsweise einigten sich 1991 mehrere Länder darauf, den Fang von Schwertfisch im Atlantik zu reduzieren, und zwar um 15 Prozent gegenüber dem Niveau von 1988. Spanien und die USA hielten sich daran, aber der japanische Fang stieg um 70 und der portugiesische um 120 Prozent, der kanadische verdreifachte sich fast.

Norwegen hat trotz eines internationalen Moratoriums einseitig beschlossen, die Jagd auf Zwergwale wieder aufzunehmen. Der japanische Walfang dient angeblich wissenschaftlichen Zwecken, beliefert werden jedoch Fischgeschäfte und Spezialitätenrestaurants. So unterhält man einen Markt, der weltweit die illegale Jagd auf diese Meeressäuger anregt (Bild 5 rechts).

Zudem werden bei praktisch jeder Art von Fischerei unerwünschte Lebewesen mitgefangen; im Mittel geht im kommerziellen Fischfang eines von vier gefangenen Tieren ungewollt ins Netz. Die Fischer werfen diesen Beifang traditionell einfach über Bord – unter anderem nicht nur Fische von Arten ohne wirtschaftlichen Wert, sondern auch Jungfische, die noch zu klein für den Verkauf sind.


Unschuldige Opfer

Im Jahre 1990 gingen allein schätzungsweise 42 Millionen unerwünschte Tiere in die Hochseetreibnetze, darunter auch viele Tauchvögel und Meeressäuger. Aufgrund dieser massiven Verluste sprachen die Vereinten Nationen ein globales Verbot großer Treibnetze von mehr als 2,5 Kilometern Länge aus; trotzdem verwenden Länder wie Italien, Frankreich und Irland sie weiter.

In manchen Küstenregionen verfangen sich in Netzen, die nahe dem Meeresboden ausgelegt werden, regelmäßig kleine Delphine. Einige Meeressäugetierarten – der ostasiatische Baiji, der mexikanische Vaquita oder Jakobiterdelphin (die kleinste Delphinart), der Hectordelphin um Neuseeland und die Mönchsrobbe im Mittelmeer – sind durch solche Verluste im Bestand gefährdet. Auch Seevögel werden getötet, wenn sie, während die Fangschiffe die Langleinen mit Angelhaken auswerfen, nach den Ködern schnappen. Die Forscherin Rosemary Gales vom Naturschutzdienst (Parks and Wildlife Service) in Hobart (Tasmanien) schätzt, daß sich auf der Südhalbkugel pro Jahr mehr als 40000 Albatrosse in den Angeln verbeißen und jämmerlich ertrinken, weil die als Thunfisch-Köder ausgelegten Tintenfische auch für sie Leckerbissen sind. Die dadurch erhöhte Sterblichkeitsrate gefährdet sechs von insgesamt 14 Arten dieser majestätischen Wanderseevögel (Bild 5 links).

Manchmal besteht weit mehr als die Hälfte des Fangs aus unerwünschten Tieren. Im Jahre 1992 warfen die Fischer in der Beringsee 16 Millionen rote Königskrabben wieder ins Meer; nur etwa drei Millionen wurden angelandet. Beim Schleppnetzfang von Garnelen fällt am meisten Beifang an: Er macht mehr als ein Drittel der weltweiten Gesamtmenge aus. Die Zahl der weggeworfenen Tiere übersteigt die der behaltenen um 125 bis 830 Prozent.

Beim Garnelenfang im Golf von Mexiko gehen jährlich zwölf Millionen Jungschnapper und 2800 Tonnen Haie über Bord. Weltweit werden so jedes Jahr etwa sechs Millionen Haie nutzlos getötet – die Hälfte des gesamten Fangs. Wahrscheinlich liegen die wahren Zahlen sogar noch höher: Ein großer Teil des Beifangs wird gar nicht gemeldet.

Immerhin gibt es hier und da einen Hoffnungsschimmer. Der Beifang von Meeresschildkröten bei der Schleppnetz-Garnelenfischerei vor den Küsten der USA (ihr fielen nach Schätzungen des nationalen Forschungsrats jährlich bis zu 55000 ausgewachsene Tiere zum Opfer) ist durch kürzlich vorgeschriebene Ausschlußgeräte gesenkt worden – eine Art Schleusentür, welche die großen Reptilien aus dem Schleppnetz hinaus ins Freie bugsiert.

Das wohl bekannteste Beispiel sind die 400000 Delphine, die jährlich beim Netzfang des Gelbflossen-Thunfischs im Pazifik zugrunde gingen. Seit man vor dreißig Jahren Thunfische mit riesigen Umschließungsnetzen zu fangen begann, ist der Delphinbestand vor der amerikanischen Ostküste um 80 Prozent zurückgegangen und die Anzahl der auf hoher See beobachteten zutraulichen Säuger um mehr als die Hälfte. Darum ist man seit 1990 dazu übergegangen, die Netze nicht mehr um die Schulen genannten Ansammlungen von Delphinen herum auszuwerfen, die sich über fischreichen Gründen aufhalten.

Diese Maßnahme war äußerst erfolgreich: Im Jahre 1993 wurden nur noch 4000 Delphine als Beifang getötet. Allerdings ist der Thunfischfang weiterhin für andere Arten verlustreich. Im Mittel fing man in 1000 Netzen, die um Delphinschulen herum gesetzt wurden, unabsichtlich 500 Delphine, 52 Schwertfische und zehn Meeresschildkröten, aber keine Haie. Hingegen enthält der typische Beifang nun zwar nur noch zwei Delphine, jedoch 654 Schwertfische, rund 100 Meeresschildkröten und nahezu 14000 Haie. Außerdem gehen viele zu junge Thunfische ins Netz.

Der bei Netzfischerei unvermeidliche Beifang ließe sich eigentlich nur ausschließen, wenn man den Thunfisch – wie bis in die fünfziger Jahre üblich – wieder kommerziell angeln würde. Dafür müßte man freilich größere Mannschaften anheuern; auf diese Weise würden auch Arbeitsplätze wiederhergestellt, die man durch die Mechanisierung der Fischerei wegrationalisiert hatte (siehe Kasten auf diesen Seiten).

Daß nun Delphin- und Schildkröten mehr geschont werden, gibt immerhin Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Zwar ist das wissenschaftliche Verständnis der Probleme noch unvollständig, reicht aber schon aus, wirksame Maßnahmen gegen Überfischung und exzessiven Beifang vorzuschlagen. Offensichtlich wäre es besonders wichtig, die Fischereibetriebe nicht mehr zu subventionieren; viele, die jetzt noch den Tierbestand der Ozeane dezimieren, wären dann finanziell nicht mehr dazu fähig.

Wo die Fische geschützt wurden, haben sich die Bestände regeneriert – und mit ihnen die sozioökonomischen Strukturen, die vom Fischfang abhängen. Die Wiederkehr des Streifenbarsches an der Ostküste Nordamerikas ist ein schlagendes Beispiel dafür, wie eine Spezies sich dank gezielten Handelns und eines klugen Wiederaufbauprogramms zu erholen vermag.

Die Vereinten Nationen haben jüngst mit neuen Schutzbestimmungen zur Hochseefischerei einen historischen Schritt getan. Solche Maßnahmen sollten – zusammen mit lokalen Initiativen zur Bewahrung der marinen Umwelt – die Vielfalt des Lebens in den Ozeanen für sich und zum Nutzen der Menschheit erhalten.

Literaturhinweise

- Global Marine Biological Diversity: A Strategy for Building Conservation into Decision Making. Herausgegeben von E. Norse. Island Press, 1993.

– Bluefin Tuna in the West Atlantic: Negligent Management and the Making of an Endangered Species. Von Carl Safina in: Conservation Biology, Band 7, Heft 2, Seiten 229 bis 234, Juni 1993.

– Where Have All the Fishes Gone? Von Carl Safina in: Issues in Science and Technology, Band 10, Seiten 37 bis 43, Frühjahr 1994.

– The State of World Fisheries and Aquaculture. United Nations Food and Agriculture Organization, Rom 1995.

– Understanding Marine Biodiversity. Report of the National Research CouncilÕs Committee on Biological Diversity in Marine Systems. National Academy Press, 1995.

– Fischerei – Plünderung der Weltmeere. Greenpeace-Argumente, Heft 4, 1993.

– Leere Meere. Von M. Stührenberg, G. Mendel, M. Zeimet, H.-J. Neubert und C. Schrader in: Greenpeace-Magazin für Umwelt und Politik, Heft 3, Seiten 10 bis 29, 1995.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1996, Seite 58
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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