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Serie: Die Botschaft des Genoms (Schluss): Die übrigen 30000 Gene

Eine Art Nachwort


In den vergangenen zwölf Monaten habe ich hier ein Dutzend menschliche Proteine vorgestellt. Das ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem Sortiment von mindestens 30000 Eiweißstoffen, über die unser Körper laut Ergebnis des Human-Genom-Projekts verfügt. Dennoch vermittelt er bereits einen Eindruck von der enormen Bedeutung und Vielfalt dieser Stoffklasse. Demnach reicht das Spektrum ihrer Aufgaben von klassischen Enzymfunktionen, wie sie die molekularen "Scheren" Lysozym und Trypsin ausüben, über die Signalweiterleitung durch Hormone (gewähltes Beispiel: Insulin) oder durch Rezeptoren (Rhodopsin) bis hin zur bloßen Bereitstellung von Baumaterial (Kollagen). Proteine fungieren zudem als Spediteure (Hämoglobin), Kraftmaschinen (Myosin) oder Polizei (Antikörper). Ein besonders wichtiges Betätigungsfeld ist schließlich der Umgang mit dem Erbgut, für den ich daher gleich vier Vertreter beschrieben habe. Sie stehen auch deshalb im Brennpunkt wissenschaftlichen Interesses, weil sie teilweise mit der Entstehung (Telomerase) oder Verhütung von Krebs (p53) zu tun haben.

Damit sind aber noch längst nicht alle bekannten Proteinfunktionen genannt, und es steht zu erwarten, dass im Zuge der nun anbrechenden Postgenom-Ära viele weitere entdeckt werden. Die Kenntnis der "Buchstabenfolge" oder Sequenz eines Gens allein nutzt ja nicht viel. Sie verrät nur die mutmaßliche Zusammensetzung des zugehörigen Proteins, lässt dessen Aufgabe aber im Dunkeln. Für die große Mehrzahl der neu identifizierten Gene weiß man deshalb noch nicht, wozu sie dienen. Diesem Unwissen abzuhelfen ist die große Herausforderung, vor der die Biowissenschaftler in den nächsten Jahren stehen. Sie dürfte noch weitaus anspruchsvoller sein als die Entzifferung des menschlichen Erbguts selbst.

Wie lässt sich die Funktion eines Gens ermitteln? Als Erstes kann man seine Sequenz mit den unzähligen anderen vergleichen, die in Gen-Datenbanken gespeichert sind. Manchmal finden sich dabei Ähnlichkeiten zu einem Gen, das schon besser erforscht ist. Auf diesem Wege lässt sich oft die Zugehörigkeit zu einer bekannten Gen-Familie feststellen.

Wenn man genauer herausfinden will, was ein bestimmtes Gen macht, muss man es klonieren. Dazu schleust man es in ein Bakterium ein und lässt von diesem das zugehörige Protein in großer Menge herstellen. So erhält man genügend Material für weitere Untersuchungen – etwa die Ermittlung der dreidimensionalen Struktur, die Hinweise auf die Funktion verspricht. Außerdem kann man das Protein auf eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Biomolekülen hin testen. Ein Großteil der noch unbekannten Funktionen in menschlichen Zellen spielt sich vermutlich auf der Ebene der Interaktionen zwischen Proteinen oder zwischen diesen und Genen ab. Da existieren vielschichtige Informationsnetzwerke aus Schaltern und Regulatoren, die sich gegenseitig beeinflussen und wesentlich für die Komplexität des menschlichen Organismus verantwortlich sind.

Dass ein Mensch von "nur" 30000 Genen definiert wird, war eine große Überraschung. Das ist bloß das 50-fache der Ausstattung eines einfachen Bakteriums, und nicht einmal doppelt so viel, wie die Taufliege Drosophila melanogaster aufzuweisen hat. Man sollte jedoch bedenken, dass der Komplexitätsgrad eines Organismus keineswegs linear mit der Menge seiner Bausteine ansteigt. Die Wechselwirkungsmöglichkeiten zwischen den Komponenten nehmen vielmehr exponentiell mit deren Anzahl zu. Demnach wären 30000 Gene, wenn es denn dabei bleibt, ebenso ausreichend wie die vorher geschätzten 50000 bis 100000.

In den Zeiten des Internet haben übrigens auch Laien die Möglichkeit, sich auf eigene Faust über den Stand der Erkenntnisse zum menschlichen Erbgut zu informieren. Wie wäre es mit Lysozym, dem ersten Beispiel aus meiner Serie? Wenn Sie die Genomdatenbank besuchen (gdbwww.gdb.org/gdb/), die Optionen "Search all biological data" sowie "by keyword" auswählen und dann in das kleine Suchfenster den englischen Namen "lysozyme" eingeben, erhalten Sie genau einen Treffer mit dem Zugangscode GDB:120160. Klicken Sie darauf, so erscheint eine Seite mit der Übersicht über die verfügbare genetische Information – darunter auch der Hinweis, dass das gesuchte Gen sich auf dem Chromosom Nummer 12 in den Abschnitten p bis q befindet, und dass Mutationen dieses Gens mit der familiären Amyloidose in Verbindung gebracht werden. Ferner gibt es Links zu den vorhandenen Sequenzdaten.

Die zugehörige Aminosäuresequenz findet sich bei Swissprot (www.expasy.ch). Dort stehen auch zahlreiche Publikationshinweise sowie Angaben über medizinisch relevante Variationen und Mutationen des Lysozyms.

Aber wie sieht das Protein denn nun aus? Wenn eine hochaufgelöste Molekülstruktur publiziert worden ist, dann liefert die Protein Data Bank (www.rcsb.org/pdb) ein Bildchen dazu. Bei Lysozym hat man die Qual der Wahl, da Dutzende von Arbeitsgruppen die Struktur dieses Proteins in kristallisierter oder gelöster Form ermittelt haben.

Mit diesen Tipps kann ich das Stillen Ihres Wissensdurstes nun getrost in Ihre Hände legen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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