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Strategie: Die Verantwortung bleibt beim Fahrer

Über Sinn und Grenzen von Fahrerassistenzsystemen sprach "Spektrum der Wissenschaft" mit Christoph Huß, dem Leiter des Bereichs "Wissenschafts- und Verkehrspolitik" des BMW-Konzerns.


Spektrum: Fahrerassistenzsysteme sollen Sicherheit und Komfort erhöhen. Wer haftet, wenn es dennoch zu einem Auffahrunfall kommt?

Christoph Huß: Der Fahrer. Er bleibt immer für sein Tun und Handeln verantwortlich und haftet für Unfallschäden. Die Verantwortung lässt sich niemals auf eine Maschine oder ein System übertragen. Dies ist unsere Überzeugung und Grundlage der Rechtsprechung weltweit.

Spektrum: Jetzt gibt es aber doch durchaus Szenarien, bei denen der Fahrer im Stop-and-go-Verkehr gemütlich Zeitung liest, weil das Fahrzeug automatisch fährt. Was, wenn es hier zu einem Unfall kommt?

Huß: Ich halte diese Szenarien für schlichtweg unseriös. Es ist derzeit äußerst fraglich, ob die Stop-and-go-Funktion bei der gültigen europäischen Rechtsprechung überhaupt zulassungsfähig ist. Im so genannten Code of Practice, der von allen europäischen Ländern akzeptiert und verabschiedet wurde, ist festgeschrieben, dass der Fahrer nicht dazu verleitet werden darf, den Blick zu lange von der Straße abzuwenden. Die einzige Person im Fahrzeug, die beim Ausfall einer Technologie die Steuerung übernehmen kann, darf sich niemals außerhalb des Geschehens befinden. Dazu ist der Straßenverkehr viel zu komplex.

Spektrum: Und wenn die Steuerung von außen erfolgte, über eine Leitzentrale?

Huß: Der Fahrer darf nie in seinen Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Außerdem ist der Mensch Maschinen in kritischen Situationen weit überlegen, da er innerhalb kürzester Zeit aus einer Vielzahl von Entscheidungsmöglichkeiten meist das Richtige auswählt. Der Zuverlässigkeitsgrad eines Fahrers liegt bei nahezu 100 Prozent. Deshalb halte ich auch die von einigen Verkehrspolitikern vertretene These "Der Fahrer ist das unsicherste Glied in der ganzen Kette" für falsch.

Spektrum: Ist der Code of Practice eine EU-verbindliche Rechtsvorschrift?

Huß: Nein, vielmehr eine Empfehlung. Die EU-Verkehrspolitiker haben bewusst davon abgesehen, schon jetzt für kommende Fahrerassistenz- und Telematiksysteme eine Richtlinie zu formulieren. Denn solche Vorschriften können nur Zug um Zug mit der Weiterentwicklung der Technik eingeführt werden. Der Code of Practice beinhaltet vielmehr sicherheitsrelevante Grundsätze und beschreibt, wie On-board-Kommunikations- und Informationssysteme an ihrer Schnittstelle zum Fahrer ausgeführt sein sollten, um Ablenkung und Störung zu verringern. Die europäische Automobilindustrie hat sich freiwillig zur Einhaltung dieser Grundsätze verpflichtet.

Spektrum: In Kalifornien läuft seit 1986 ein Projekt, das automatisches Fahren demonstrierte. Hält denn dies in den USA bald Einzug?

Huß: Wohl auch dort vorläufig nicht. Automatisches Fahren bedeutet, dass der Fahrer die Verantwortung zumindest teilweise an technische Systeme abgibt. Die können aber die heute gegebenen hohen Sicherheitsstandards nur aufweisen, wenn sie über ähnliche kognitive Fähigkeiten verfügen wie der Mensch, und das ist auf absehbare Zeit nicht gegeben. Geschieht ein Unfall, weil das System die Verkehrssituation nicht verarbeiten konnte, wäre der Hersteller zu belangen. Darüber klären übrigens Hinweise im Fahrgastraum amerikanischer Autos auf.

Spektrum: Welches Interesse hatten denn die USA am Projekt "automatischer Highway"?

Huß: Dasselbe wie wir Europäer, die mit dem EU-Projekt Prometheus ein ähnliches Projekt realisiert hatten. Beim automatischen Fahren liegt die Latte sehr hoch, sodass sich die Grenzen des Machbaren wie des Sinnvollen leichter erkennen lassen. Assistenzsysteme, die beispielsweise helfen, den Sicherheitsabstand auf der Autobahn einzuhalten, sind die Frucht dieser Arbeiten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2002, Seite 84
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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