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Die Verbesserung der Raumakustik im Plenarsaal des Deutschen Bundestages

Der Bonner Neubau für die Reden und Debatten, die das Geschick der Bundesrepublik bestimmen, geriet zwar optisch transparent, erzeugte aber ein akustisches Chaos. Nach einer speziellen Analyse dieser Probleme sowie Modellmessungen und Simulationsrechnungen konnte der Saal funktionstüchtig gemacht werden|; dabei blieb die architektonische Konzeption gewahrt.

Im Herbst 1992 bezog der Deutsche Bundestag seinen neuen Plenarsaal. Schon nach einigen Sitzungen stellte sich heraus, daß mit der hochwertigen elektroakustischen Anlage keine ausreichende Sprachverständlichkeit zu erzielen war. Mitkopplungseffekte machten sich durch Instabilitäten und Pfeifen bemerkbar. So ließ sich häufig keine genügende Lautstärke erzielen, vor allem bei den für ein Parlament typischen hohen Grundgeräuschen, etwa durch Gespräche und parallele Diskussionen im Plenum oder Zwischenrufe. Die Volksvertretung mußte wieder in das während der Bauzeit provisorisch genutzte alte Bonner Wasserwerk umziehen.

Es hat fast ein Jahr gedauert, bis der Saal – im September 1993 – funktionsfähig war. Aus einer Analyse der akustischen Probleme wurden Verbesserungsmaßnahmen für die Beschallungsanlage und die Raumakustik abgeleitet und umgesetzt. Am Fraunhofer-Institut für Bauphysik hatten wir die raumakustische Optimierung übernommen.


Störende Reflexionen

Gute Sprachverständlichkeit wird erzielt, wenn der Direktschall von einem Sprecher oder Lautsprecher den Hörer möglichst ungestört erreicht und von kräftigen, nur gering verzögerten Reflexionen aus dem Raum unterstützt wird. Deren Verzögerungszeit darf nicht größer sein als etwa 50 Millisekunden, der Umweg des nützlichen reflektierten Schalles gegenüber dem direkten mithin nicht länger als 17 Meter. Später eintreffende Reflexionen verwischen den Hör-eindruck; solche, die mehr als etwa 100 Millisekunden verzögert sind, werden getrennt wahrgenommen und damit als störende Echos empfunden.

Im neuen Bonner Plenarsaal haben wir derartig lange verzögerte Reflexionen in großen Raumbereichen – in der Saalmitte, wo sich der Präsidentenplatz, das Rednerpult und die vorderen Abgeordnetenplätze befinden, sogar besonders ausgeprägt – festgestellt. Der architektonisch eindrucksvolle Saal (Bild 1) wird, mit Ausnahme der Wand mit dem Bundesadler an der Stirnseite, fast ausschließlich von Wänden aus Glas umschlossen, die optisch transparent sind, aber Schall kräftig reflektieren.

Der Grundriß der unteren Saalebene (Bild 2) wird im wesentlichen von Kreisbögen gebildet. Während einer Rede treffen wegen der großen Entfernungen Reflexionen im mittleren Saalbereich erheblich verzögert ein. Dadurch wird nicht nur das Gesprochene schlecht verständlich; der Redner selbst kann irritiert werden, wenn diese Echos sehr energiereich sind – und das war infolge von Fokussierungseffekten der Kreisbögen der Fall.

Besonders deutlich sind diese Konzentrationen an Bildschirmaufnahmen zu erkennen, die sich durch Simulation von Schallausbreitungen mittels rechentechnischer Verfahren erzeugen lassen. Dafür hat Uwe Stephenson von unserem Institut die von ihm entwickelte Schallteilchen-Simulationsmethode SOPRAN (Sound Particle Program for Room Acoustics and Noise Immission) eingesetzt: Einige 10000 punktförmige Schallteilchen werden von einer Quelle in alle Raumrichtungen ausgesandt. Ihre Pfade, die Schallstrahlen (Bild 3 links) lassen sich über viele Reflexionen an den Begrenzungsflächen des Saales verfolgen. Dabei werden sowohl deren Schallabsorptionseigenschaften als auch die Art der Reflexion (ob spiegelnd oder diffus) berücksichtigt. An den Hörerplätzen, im Rechnermodell durch kleine, schachbrettartig angeordnete, würfelförmige Detektoren repräsentiert, werden alle eintreffenden Teilchen registriert. Aus diesen Daten können dann die vielfältigsten Informationen über die raumakustische Qualität von Platzbereichen gewonnen werden.

Für die Beurteilung der Sprachverständlichkeit ist der Deutlichkeitsgrad ein wichtiges Kriterium. Er wird bestimmt, indem man die bis 50 Millisekunden nach dem Direktschall am Hörerort eintreffende, für die Verständlichkeit nützliche Schallenergie zur gesamten ins Verhältnis setzt. Mit der Schallteilchen-Simulationsmethode lassen sich die Werte auf dem Bildschirm farbig kartieren (Bild 3 rechts).

So war zu erkennen, daß nicht nur die Sprache eines Redners am Pult, sondern auch die Abstrahlung der Lautsprecherampeln von den Wänden störend reflektiert wurde. Für die Hauptbeschallung ist eine Zentralampel in etwa 6,50 Meter Höhe über dem Saaleingangsniveau fast in Saalmitte aufgehängt. Sie ist umgeben von sechs Satellitenampeln, die so angeordnet sind und (zeit- und leistungsgesteuert) betrieben werden, daß auch die jeweiligen Sprecher an einem der Tisch- und Standmikrophone im gesamten Plenarbereich richtungsgetreu geortet werden können. Raumakustisch waren die Lautsprecherampeln wegen ihrer im Vergleich zu natürlicher Sprache wesentlich größeren Schall-Leistung das eigentliche Problem. Reflexionen, die im mittleren Saalbereich störten, kamen vor allem vom unteren Teil der Glaswände.

Geräusche in Nähe der Glasaußenwände, etwa wenn dort Gruppen von Abgeordneten diskutierten, wurden ebenfalls konzentriert zu bestimmten Stellen im mittleren Saalbereich reflektiert, was den Grundgeräuschpegel an den betreffenden Mikrophonstandorten erhöhte und damit die bis zur Mitkopplungsgrenze verfügbare elektroakustische Verstärkung einschränkte. Des weiteren traten in der oberen Saalebene, dem Tribünenbereich, Störungen auf, zwischen den parallel stehenden Seitenwänden auch in Form von Flatterechos (Mehrfachechos).

Zur Analyse dieser Reflexionsvorgänge hat Gerold Schupp von unserem Institut für Bauphysik zusätzlich zu den Rechnersimulationen Modellmeßverfahren eingesetzt. Diese bewährte Untersuchungsmethode beruht darauf, daß Schallausbreitungsvorgänge einander gleichen, wenn sowohl die Geometrie des Raumes als auch die Wellenlänge des zur Messung verwendeten Schalles im gleichen Maßstab verändert werden. In diesem Falle wurde ein im Verhältnis 1:20 verkleinertes Saalmodell verwendet; und die Frequenz des Testschalles wurde demgemäß, von einer Mittenfrequenz für Sprache von 1 Kilohertz im Original ausgehend, auf 20 Kilohertz erhöht. Am Ort der zentralen Lautsprecherampel, auf die es besonders ankam, haben wir im Modell sehr kurze Schall-impulse erzeugt und mit einem sehr kleinen Mikrophon dann an verschiedenen Stellen die sogenannte Raumimpulsantwort gemessen; das ist die zeitliche Folge von Reflexionen an verschiedenen Flächen, die nach dem Direktschall am jeweiligen Standort des Mikrophons eintreffen (Bild 4 oben). Echoartige Reflexionen sind auf solchen Impulsbildern als aus dem Abklingvorgang herausragende Schalldruckspitzen deutlich zu erkennen.

Ungünstig wirkten sich des weiteren die bei mittleren und hohen Frequenzen nur unzureichend schallabsorbierende Adlerwand, die reflektierenden Fußböden sowohl der Hauptgehwege als auch im Mittelbereich des Saales sowie jene Bereiche der als Schallabsorber vorgesehenen Lochplattendecke im äußeren Saalbereich aus, auf denen keine poröse Dämmschicht aufgebracht war. Störend wirkten schließlich auch Reflexionen von den nach unten geneigten gläsernen Brüstungflächen vor den beiden Seitentribünen.


Maßnahmen zur Abhilfe

Eine wesentliche Verbesserung der Beschallungsanlage bestand darin, die Lautsprecherampeln stärker auf die schallabsorbierenden Gestühlflächen des Plenarbereichs und der Tribünen zu richten. Bei den raumakustischen Maßnahmen aber mußten wir uns, weil die Grundformen des Saales nicht mehr verändert werden konnten, auf eine Umgestaltung von Begrenzungsflächen beschränken. Da außerdem die optische Transparenz nicht leiden sollte, waren sonst übliche Hilfsmittel wie Dämmschichten oder Stoffverkleidungen nur begrenzt einsetzbar.

Den Modellmessungen und Rechnersimulationen zufolge war es besonders wichtig, die Reflexionen von der Adlerwand, von den Glaswänden unter den Tribünen sowie von der unteren Hälfte der gekrümmten Glaswände neben der Adlerwand abzuschwächen. Die Adlerwand erhielt dazu eine für ein breites Frequenzgebiet genügend schallabsorbierende Verkleidung. Sie besteht aus Lochplatten, vorn mit farbigem Vlies bespannt, und einer dahinter liegenden porösen Dämmschicht. In gleicher Weise, jedoch ohne Vliesbespannung, wurden die Brüstungsflächen unter den Fenstern der Technik- und Dolmetscherkabinen an der Saalrückwand sowie eine kleine seitliche Brüstung neben der Adlerwand gestaltet.

Die transparenten gekrümmten Wände neben der Adlerwand erhielten hingegen etwa bis zur halben Raumhöhe, teils in zwei übereinander angeordneten Reihen, schallreflektierende Vorsatzelemente aus Glas (Bild 5 links). Damit werden konzentrierte Schallrückwürfe in den Plenarbereich vermieden. Um die Wirksamkeit dieser Reflektoren auch bei tiefen Sprachfrequenzen zu gewährleisten, sollten sie möglichst groß sein. Abmessungen von 1,50 Meter im Quadrat erwiesen sich bei den Modellmessungen als akustisch geeignet und waren statisch gerade noch realisierbar.

Vor den Glaswänden unter den seitlichen Tribünen, die durch zahlreiche Türen mit Glasfüllung unterbrochen sind, wurden reflektierende Glasflächen so angeordnet und geneigt, daß auftreffender Schall zu den hinteren Reihen des Abgeordnetengestühls gelenkt und somit dort absorbiert wird (Bild 5 Mitte). Mit solchen Reflektoren wurden auch die gekrümmten Wände neben der Adlerwand versehen, soweit dort Reflexionen zum absorbierenden Gestühl gelenkt werden konnten.

Vor allen Türen des Plenarbereichs und in einem oberen Streifen vor den Fenstern der Technik- und Dolmetscherkabinen an der Saalrückwand sind transparente Schallabsorber angebracht worden, die Helmut Fuchs und seine Mitarbeiter an unserem Institut eigens entwickelt haben (Bild 5 rechts). Sie bestehen aus gelochtem Acrylglas.

Die gläsernen Brüstungflächen der Seitentribünen wurden um etwa 8 Grad nach oben geneigt. Sie reflektieren nun Schall statt in das Plenum vorzugsweise zum gegenüberliegenden Teil der absorbierenden Lochplattendecke.

Die störenden Winkelspiegelreflexionen zwischen dem Fußboden und den Tischbegrenzungsflächen in der Saalmittte werden durch einen absorbierenden Bodenbelag und Neigen der Tischbegrenzungen nach unten gedämpft oder vermieden. Auch auf den großen Gehflächen sind Teppichböden verlegt worden. Desgleichen wurden die Tribünenunterseiten weitgehend schallabsorbierend gestaltet, soweit sie das noch nicht waren. Die besonders störenden Reflexionen von der oberen Saalrückwand im Tribünenbereich konnten durch Vorsetzen einer Reihe von Reflektoren aus großen Glasplatten, die zur Lochplattendecke gerichtet sind, geschwächt werden. Ein im Zugang zu den Tribünen aufgestellter großer Lochplattenabsorber dient dem gleichen Zweck.

Raumakustische Ergebnisse

Bei einer im August 1993 simulierten Parlamentssitzung haben sich die nach unseren modell- und rechentechnischen Verfahren geplanten Verbesserungsmaßnahmen in Verbindung mit den Änderungen an der Beschallungsanlage als wirksam erwiesen. Der neue Plenarsaal des Deutschen Bundestages ist jetzt akustisch funktionstüchtig. Anhand von Raumimpulsantworten, die im Modell des Plenarsaales im Endzustand gemessen worden waren (Bild 4 unten) und mittels der durch Rechnersimulation gewonnenen Verteilungen der zu erwartenden Deutlichkeitsgrade (Bild 6) konnte dieses Ergebnis vorhergesagt werden.

Auf ein bekanntes Kriterium für die Bewertung der raumakustischen Qualität von Sälen, nämlich die Nachhallzeit, sei hier noch hingewiesen. Das ist die Zeit, die nach dem Abschalten einer Schallquelle in einem Raum vergeht, bis der Schalldruck auf den tausendsten Teil (um 60 Dezibel) abgeklungen ist. In Räumen von der Größe des Plenarsaales ist für gute Sprachverständlichkeit im mittleren Frequenzbereich eine Nachhallzeit von etwa 0,9 bis 1,3 Sekunden günstig; ist sie länger, werden nachfolgende Silben durch zu langsames Abklingen der vorhergehenden verdeckt.

In dem Bonner Neubau lag die Nachhallzeit ursprünglich bei mittleren Sprachfrequenzen an der oberen Grenze des für Sprache optimalen Bereichs (etwa bei 1,3 Sekunden) und wies nach tiefen Frequenzen hin einen geringen, doch für die Verständlichkeit schon nachteiligen Anstieg auf (etwa auf 1,5 Sekunden). Durch Vergrößern der Fläche und Erhöhen der Dicke der auf den Deckenlochplatten aufgelegten porösen Dämmschicht sowie durch die anderen erwähnten Maßnahmen zur besseren Schallabsorption wurde die Nachhallzeit insgesamt erniedrigt (auf etwa 1,0 Sekunde) und ihr Frequenzverlauf etwas linearisiert. Das wirkt sich akustisch günstig aus, hat aber für die Raumakustik dieses Saales nicht die große Bedeutung, die dem Vermeiden der störenden Reflexionen zukommt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1994, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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