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Die Zahlen der Natur. Mathematik als Fenster zur Welt.

Aus dem Englischen von Brigitte Post. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1998. 192 Seiten, DM 39,80.

Aus einem Prozeß wird ein Ding. Ein geometrisches Gebilde unter Wahrung seiner Form im Raum zu bewegen ist zunächst eine Aktion; die mathematische Analyse macht aus diesem Prozeß ein eigenständiges Objekt, während das, was da im Raum bewegt wird, in den Hintergrund tritt. Eine Funktion – eigentlich ein Prozeß, der einem Ding genau ein anderes zuordnet – wird zu einem Punkt in einem abstrakten Raum. Und die ursprünglichen Gegenstände mathematischen Denkens, die Zahlen, sind genaugenommen auch zu Dingen verfestigte (Zähl-)Prozesse.

Ian Stewart, Professor für Mathematik an der University of Warwick in Coventry (England) und Autor der „Mathematischen Unterhaltungen“ in dieser Zeitschrift, richtet in diesem Buch den Blick vorrangig aufs Allgemeine. So arbeitet er – sehr treffend – die Verdinglichung von Prozessen als wesentliches Merkmal der mathematischen Abstraktion heraus. Das Buch enthält nicht nur keine einzige Gleichung, sondern auch kaum Einzelheiten. Eine extrem kurzgefaßte Einführung in die Differential- und Integralrechnung am Beispiel eines in die Luft geworfenen Steins ist schon das Äußerste an Erklärung.

Im Verlaufe des Buches kommt immer deutlicher die Vorliebe des Autors für das Teilgebiet Dynamische Systeme zum Vorschein. Diverse Themen aus Stewarts „Spektrum“-Beiträgen finden sich wieder, von höherer Warte aus betrachtet und deshalb verkürzt: die synchronisierten Glühwürmchen, spontane Symmetriebrechung und die Form eines Tropfens, der sich vom Wasserhahn löst (Februar 1994, Seite 74, Juni 1991, Seite 14, und März 1996, Seite 10).

Das ist nun nicht das einzige Teilgebiet der Mathematik, das sich in heftiger Bewegung befindet, aber sicherlich dasjenige, das am ehesten zu den gefährlichen Warum-Fragen Anlaß gibt. Warum hat der Tiger seine Streifen? Weil das in seinem genetischen Programm festgelegt ist, oder weil das dynamische System der chemischen Substanzen in seiner Haut dieses Muster erzwingt? Im Moment ist die einzige brauchbare Antwort „ja“. Das philosophisch komplizierte Wechselspiel zwischen den verschiedenen Arten von Ursachen, zwischen Einfachheit im Kleinen und Komplexität im Großen – oder auch umgekehrt – verlangt, so Stewart, nach einer neuen, „wirkungsvollen mathematischen Theorie der Form“; er nennt sie „Morphomatik“ und erwartet von ihr, wenn es sie erst einmal gibt, eine gewaltige kreative Potenz.

Wer wissen will, was Mathematik ist – oder zumindest ein wesentlicher Teil von ihr –, ohne sich mit Einzelheiten zu belasten, dem sei dieses Buch empfohlen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1998, Seite 137
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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