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Dinosaurier in Deutschland


In den USA begann sie in den siebziger Jahren zu rollen und schwappte nach kurzer Zeit über die ganze Welt: die Dinosaurier-Welle. Sie erreichte mit der Verfilmung des Romans "Jurassic Park" einen vorläufigen Höhepunkt. In den Regalen der Buchhandlungen stauen sich viele, oft wenig empfehlenswerte Dinosaurier-Bücher, meist über Fossilienfunde in den USA. Da fällt ein Buch mit dem Titel "Dinosaurier in Deutschland" fast zwangsläufig auf.

Beim ersten Durchblättern mögen manche Dinosaurier-Fans, vor allem die Jüngeren, enttäuscht sein wegen der wenigen bunten Bilder. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis verheißt jedoch Spannendes: "Teratosaurus: Das langsame Sterben eines falschen Dinosauriers" oder "Procompsognathus: Zwei Köpfe und eine geheimnisvolle Hand". Da stechen Namen ins Auge, die in populärwissenschaftlichen Dinosaurier-Büchern kaum zu finden sind, wie Atreipus, Liliensternus oder Stenopelix – neuer Stoff zum Auswendiglernen für die Freunde komplizierter Namen. Von der Lebensweise von Dinosauriern, von berühmten Fundstellen und historischen Ausgrabungen ist zu lesen, aber auch von Fährten, Suhlen und Kothaufen.

Die Erwartungen werden nicht enttäuscht. In anschaulicher Sprache erfährt ein Leserkreis vom naturkundlich interessierten Schüler bis zum praktizierenden Paläontologen nahezu alles Wissenswerte. Fachbegriffe werden bereits im Text oder in einem Glossar im Anhang erläutert. Dieser enthält außerdem eine Übersichtskarte mit allen deutschen Fundstellen. Verweise auf Fundortkarten im Text erlauben den raschen Zugriff auf Details, was für die Planung eines Sonntagsausfluges mit den Kindern ebenso hilfreich sein kann wie für die Vorbereitung von Exkursionen mit Schülern oder Studenten. Eine Liste einschlägiger Museen und eine tabellarische Zusammenfassung der Entdeckungsgeschichte machen das Buch zu einem wertvollen Nachschlagewerk. Die Kapitel "Aktuelle Forschungsergebnisse" und "Anmerkungen" im Anhang des Buches haben mir besonders gut gefallen. Darin wird deutlich, daß die paläontologische Forschung nach wie vor Widersprüchliches und Neues aufzuweisen hat.

Der erste Abschnitt gibt nach einer allgemeinen Einführung knapp und anschaulich Auskunft zur Systematik der Dinosaurier und zur Landschaftsgeschichte des Erdmittelalters nach derzeitigem Forschungsstand. Die Tabellen erfordern etliche Fachkenntnisse; einige Kartenskizzen zur Land-Meer-Verteilung wären hilfreich gewesen. Die Autoren stellen den Weg von der Entdeckung bis zur Präsentation eines Fossils dar; sie nennen auch die Gründe, warum die Paläontologen in Deutschland meist auf Notgrabungen angewiesen sind.

Der Hauptteil des Werkes ist nach den Dinosaurier-Zeitaltern Trias, Jura und Kreide in drei Abschnitte eingeteilt. Das ist bei dem Thema üblich; hier jedoch wechseln in den einzelnen Abschnitten Fundgeschichte, Expeditionsberichte und Kurzbiographien mit Fundbeschreibungen, historischen und modernen Dinosaurier-Rekonstruktionen ab. Das garantiert eine spannende und abwechslungsreiche Lektüre. Porträts deutscher Saurierforscher und historische Photographien von Ausgrabungen und Grabungsteams machen hinter der Wissenschaft die Wissenschaftler sichtbar und geben Eindrücke von den Grabungsmethoden und -be-dingungen vergangener Zeiten. Lebendige, aber sachliche Schilderungen von Kontroversen zwischen Wissenschaftlern, Streitigkeiten um Beschreibungs- und Besitzrechte und andere Geschichten zeigen die allzumenschliche Seite paläontologischer Forschung.

Knochen als Hinterlassenschaft vergangenen Dinosaurier-Lebens sind allgemein bekannt; aber da ist noch viel mehr, wie das Buch lehrt: eine kaum geahnte Fülle von Fährten und anderen Lebensspuren allein aus Deutschland. Ernst Probst und Raymund Windolf gelingt es in beeindruckender Weise, die Bedeutung solcher Spurenfossilien herauszuarbeiten. Auch Voraussetzungen für das Entstehen verschiedener Fossilien-Fundstellen werden an Beispielen erläutert.

Trotz der enormen Vielfalt an Informationen wirkt das Buch auf mich inhaltlich geschlossen. Die Recherchen sind akkurat, mit großem Engagement und mit viel Liebe zum Detail durchgeführt worden. Erkennbar ist dies auch an dem umfangreichen und klar gegliederten Literaturverzeichnis.

In Windolf und Probst haben sich zwei Fachleute gefunden, die einander hervorragend ergänzen. Windolf verfügt als Zoologe, Botaniker und Paläontologe über eine breite wissenschaftliche Ausbildung und ist außerdem publizistisch tätig. Probst, Ressortleiter bei der Mainzer "Allgemeinen Zeitung", hat jahrelang Fossilien gesammelt und seine Fähigkeiten als Wissenschaftspublizist bereits durch sein Buch "Deutschland in der Urzeit" (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1992, Seite 130) bewiesen.

Gegenüber dem Text ist die Graphik, mit Ausnahme der Photodokumente und der historischen Rekonstruktionen, etwas karg ausgefallen. Daran ändern auch die wenigen ganz- oder doppelseitigen Farbtafeln nichts. Dem Gesamtwerk tut dies jedoch keinen Abbruch, weil sein Konzept grundsätzlich nicht das eines Bilderbuches ist.

Ein hervorragendes Standardwerk für Hobby- und Berufspaläontologen, das unbedingt und uneingeschränkt zu empfehlen ist.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 136
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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