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Dreidimensionale Einblicke ins Körperinnere

Seit in den 70er Jahren der Computer in der Medizintechnik seinen Einzug hielt, sind bildgebende Verfahren wie die Computer-Tomographie (CT) und Ultraschall aus der Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Extrem leistungsfähigen Rechnern ist es zu verdanken, daß nun die bislang zweidimensionalen Bilder in räumliche Eindrücke aus dem Körperinneren umgewandelt werden können.


Eine Röntgenaufnahme ist im Prinzip nichts anderes als eine Art Schattenbild der durchleuchteten Körperregion. Im Computertomographen drehen sich Röntgenapparatur und Detektor um den Patienten und nehmen aus verschiedenen Richtungen eine ganze Anzahl dieser Schnittbilder auf. Daraus wieder eine räumliche Darstellung des Körperinneren zusammenzusetzen, überfordert allerdings meist das menschliche Vorstellungsvermögen. Diese Aufgabe übernehmen heute leistungsfähige Rechner, die aus den zweidimensionalen Schnitten auf die dreidimensionalen Gegebenheiten zurückrechnen. Benötigt wird dies zum Beispiel bei der virtuellen Endoskopie, bei der sich der Arzt am Computerbildschirm auf den tatsächlichen Eingriff am Patienten vorbereiten kann.

Da eine Endoskopie patientenschonender und kostengünstiger als eine konventionelle Operation ist, setzen Chirurgen beispielsweise bei Brust- und Bauchoperationen immer öfter auf dieses minimal-invasive Verfahren. Doch bisher mißlang ein erheblicher Teil der Eingriffe, weil die gewählten Körperöffnungen, etwa die Bronchien, für das Endoskop nicht weit genug waren oder eine Biopsie von der falschen Stelle genommen wurde. "Wir brauchten also eine Methode, die bereits vor dem tatsächlichen Eingriff Aufschluß über die Chancen einer Endoskopie gibt", sagt Dr. Ali Bani-Hashemi, der am Siemens-Forschungszentrum in Princeton, New Jersey, die virtuelle Endoskopie entwickelte.

Am Beispiel einer Bronchoskopie wird deutlich, wie das System funktioniert: Aus den aktuellen CT-Bildern des Patienten wird mit Techniken der Computergraphik (CAD, CAM) ein dreidimensionales Modell von Lunge, Bronchien und Luftröhre errechnet. Auf dieselbe Weise wird auch ein räumlich korrektes Modell des Endoskops geschaffen. "Mit Hilfe der Computermaus kann der Arzt dann dieses virtuelle Endoskop auf dem Bildschirm über die Luftröhre in die Bronchien hineinführen", erklärt Bani-Hashemi. Auf dem Schirm sieht er dabei zugleich das Bild, das ihm das reale Gerät übermitteln würde, etwa wie sich die Bronchien verengen oder verzweigen.

Dank der Kopplung von Realaufnahmen und Computersimulationen weiß der Chirurg zu jedem Zeitpunkt, wie die tatsächlichen CT-Aufnahmen von der Stelle des Körpers aussehen, an der sich sein Cursor im Simulationsmodell gerade befindet. Wenn es ihm gelingt, das Endoskop bis auf wenige Millimeter an eine vermutete Verletzung oder einen Tumor heranführen kann, dann ist auch ein realer Eingriff möglich. Ebenso wie die Abmessungen von Lunge und Bronchien simuliert und in eine Computergraphik umgewandelt werden können, läßt sich auch ein Tumor aus den CT-Daten modellieren und in die Graphik einblenden. Der Arzt kann auf diese Weise erkennen, wie weit der Tumor von der Bronchienwand entfernt ist und welche Art der medizinischen Behandlung – ob Biopsie, Bestrahlung oder ein chirurgischer Eingriff – vorzuziehen ist.

Auch bei Ultraschallaufnahmen sind heute dreidimensionale Panoramabilder aus dem Körperinneren möglich. Die Herausforderung dabei ist, daß beim Ultraschallverfahren der Arzt – anders als beim Computer-Tomographen – eigenhändig den Sensorkopf führt und deshalb die exakte Position des Sensors dem System nicht bekannt ist. Der Rechner muß deshalb bei den unterschiedlichen Aufnahmen die Bildinhalte vergleichen, übereinstimmende Stellen finden und sie wie bei einem Puzzle zu einem Panoramabild zusammensetzen. Um dies zu leisten, entwickelten Wissenschaftler des Image Computing Systems Laboratory der Universität Washington gemeinsam mit Siemens-Forschern ein Gerät, dessen Rechner mit zwei speziellen Multimediaprozessoren ausgestattet, die vier Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde ausführen können.

Bei der Untersuchung führt der Arzt den Schallkopf über den interessierenden Körperbereich, wobei die aufgenommenen Daten vom Rechner komprimiert werden. Ähnlich der Datenkomprimierung bei Videokonferenzen werden die Bewegungen zwischen den Bildern berechnet und nur die Änderungen übertragen. Damit ist es möglich, 3D-Rekonstruktionen von einigen hundert Ultraschallbildern in lediglich acht Sekunden auf den Bildschirm zu bringen.

Die Rekonstruktion des Körperinneren aus zweidimensionalen Bildern nennen die Experten "digitale Tomosynthese". Dieses Verfahren und die Kopplung von Realaufnahmen und Computersimulationen verhelfen dem Arzt nicht nur zu besseren Diagnosen und einer kostengünstigeren Behandlung, sondern auch dem Patienten zu einer möglichst niedrigen Belastung durch Bestrahlung und operative Eingriffe. Der Leiter der Grundlagenentwicklung des Siemens-Bereichs Medizinische Technik, Peter Kleinschmidt, erläutert, wie in Zukunft eine patientenschonende medizinische Untersuchung ablaufen könnte: "Wir stellen uns vor, daß künftig ein Arzt am Computermodell die Stellen markiert, für die er sich besonders interessiert. Der Computer berechnet dann, wie Röntgenröhre und Detektor bewegt werden müssen, um mit einer möglichst geringen Zahl von Aufnahmen und damit einer minimalen Strahlendosis die höchste Auflösung und die geeignetste Darstellung zu erreichen. Diejenigen Teile des Körpers, die den Arzt nicht interessieren, können dabei durchaus unscharf abgebildet werden."


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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