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Dreidimensionale Faserverbundwerkstoffe


Die Textiltechnik hat besonders in Deutschland seit Jahrhunderten große industrielle Bedeutung und genügt dementsprechend hohen Qualitätsansprüchen. Doch Billiganbieter aus Südeuropa und Asien drücken in traditionellen Sparten wie Bekleidung und Heimtextilien seit 20 Jahren das Preisniveau. Die Branche sucht deshalb Einsparpotentiale durch Automation und durch innovative Technologien zu nutzen, des weiteren aber auch mit textilen Werkstoffen mehr und mehr in technische Anwendungen vorzudringen, dabei mitunter andere Werkstoffe zu ergänzen oder zu ersetzen.

Dazu eignen sich insbesondere Verbunde aus Fasern – zumeist aus Glas oder Kohlenstoff – in einer Matrix etwa aus Epoxidharz. Große Steifigkeit und Festigkeit bei geringem Gewicht prädestinieren dieses Materialsystem für Leichtbau-Komponenten vor allem für Luft- und Raumfahrzeuge – das Airbus-Seitenleitwerk oder Zellenstrukturen und Rotorblätter von Hubschraubern sind typische Beispiele. Allerdings müssen die zur Armierung dienenden Fasern belastungsoptimal eingebettet werden, also für Zug in Längsrichtung liegen, für Schub in einer Orientierung unter einem Winkel von 45 Grad.

Das in Handarbeit zu bewerkstelligen ist mühevoll und lohnt nur bei Einzelstücken oder kleinen Serien. Die Fertigung von spezifisch auf die jeweilige industrielle Anwendung ausgelegten Faserstrukturen als Vorstufen bestimmter Verbundsysteme und die weitere Verbreitung solcher Materialien beispielsweise im Automobilbau, bei dem leichte Teile zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der Schadstoff-Emissionen beitragen sollen, erfordern rationellere Verfahren. Dafür bieten sich insbesondere Textiltechniken wie Weben, Flechten, Stricken und Nähen an.


Räumliches Weben

In Deutschland begann man vor etwa zehn Jahren, im Rahmen des vom damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderten Projekts "Neue Strukturkonzepte bei Faserverbundwerkstoffen" das Weben in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Projektpartner waren der Luft- und Raumfahrtkonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm, das Textilunternehmen Vorwerk und das Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart.

Herkömmliche Gewebe entstehen durch rechtwinkliges Verkreuzen von Kett- und Schußfäden, sind also quasi auf zwei Dimensionen – die Koordinaten x und y – beschränkt. Nach vier Jahren intensiver Forschung gelang es nun, dreidimensionale Gewebe herzustellen, bei denen ein in Dickenrichtung – also in jener der z-Koordinate – verlaufendes Fadensystem mehrere Lagen verbindet (Bild 2). Damit lassen sich Bauteile nach ihrer Stärke vorkonfektionieren, während man vordem dazu Lagen nacheinander in die Matrix einbetten mußte.

Des weiteren vermag dieses z-Fasersystem ungünstig einfallende Belastungen aufzunehmen und verbessert so die Schadenstoleranz signifikant – in konventionellen Laminaten können sich kleine Beschädigungen ausweiten, so daß die Struktur schließlich versagt.

Besonders deutlich wird dies im Schälversuch, bei dem man eine angerissene Werkstoffprobe unter Zug setzt. Während der Riß in einem herkömmlichen Gewebelaminat fast ungehindert weiterwächst, leisten die z-Fasern im 3D-Gewebe Widerstand und halten ihn fast vollständig auf (Bild 1). Die Delamination genannte Ablösung einzelner Faserlagen, wie sie Schlagbeanspruchung verursacht, läßt sich mithin durch die neue Webtechnik vermeiden. Das ist insbesondere bei kohlefaserverstärkten Kunststoffen von Vorteil, weil man dort im Unterschied zu Glasfaserverbunden Delaminationen von außen nicht sieht; deshalb überdimensioniert man bisher Bauteile aus diesem Material und muß auch einen hohen Aufwand für vorbeugende Inspektionen in Kauf nehmen.

Parallel zu den Arbeiten in Deutschland entwickelten auch französische und englische Forschungsgruppen solche Gewebestrukturen; aufgrund einer anderen Maschinenauslegung fertigen sie statt ebener Gebilde gekrümmte Hohlprofile mit optimierter Faserorientierung. Eine neuartige Textiltechnik, die mit diesen Innovationen verglichen werden kann, ist das shape weaving (Formweben), das Alexander Bürgen erfunden hat, der nun in Remscheid eine eigene Firma betreibt (Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 34).

Zwar ist auch das Bruchverhalten von räumlichen Geweben unter Zug und Druck deutlich besser (Bild 3), denn während im Falle eines Bruchs die einzelnen Lagen zweidimensionaler Proben splittern und sich trennen, sind Schädigungen bei den 3D-Materialien auf kleinere Bereiche beschränkt. Doch verringert das z-Fadensystem den Volumenanteil von Fasern in Längsrichtung, und die Belastbarkeit in der hauptsächlichen Richtung der Krafteinleitung ist vermindert. Einen Durchbruch stellt deshalb die Webtechnik der Universität von North Carolina in Raleigh dar, mit der Kett- und Schußfäden ohne Faserkrümmung abzulegen sind (Bild 5). Dadurch lassen sich die physikalischen Eigenschaften der Fasern besser nutzen, und die Verbundwerkstoff-Kennwerte erreichen das Niveau herkömmlicher Gewebelaminate bei gleichzeitig drastischer Verbesserung der Schadenstoleranz.

Beim Weben ist man auf orthogonal verlaufende Fäden beschränkt. Indem man Fasern in unterschiedlicher Orientierung übereinanderlegt und mittels eines separaten Fadensystems verbindet, erhält man sogenannte multiaxiale Gewirke (als Gewirk bezeichnet man alle mittels Schlingenbildung verfertigten Textilien). Bis zu sieben Einzellagen lassen sich schon auf diese Weise integrieren, was die Schadenstoleranz weiter verbessert.

Flechten und Stricken

Während 3D-Gewebe und multiaxiale Gewirke sich vor allem für ebene Teile eignen, bietet sich das Flechten – das diagonale Verkreuzen und Verschlingen von Fasern – für komplexe, dreidimensional geformte Strukturen an. Pionierarbeit leisteten Forscher der Drexel-Universität in Philadelphia (Pennsylvania) und wieder der Universität von North Carolina.

Prädestiniert sind Geflechte in erster Linie zur Herstellung von Profilen (Bild 4), doch lassen sich auch Körper umflechten. Typische Anwendungen sind Knotenelemente für Fachwerkstrukturen oder Raketendüsen, bei denen man die Form des Grundkörpers aus Schaum oder Wachs fertigt und nach dem Umflechten herauslöst (Bild 6); bei Aufprallschutz-Elementen nutzt man einen energie-absorbierenden Schaum und beläßt ihn am Platz.

Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie geförderten Projekts entwickeln Daimler-Benz, das Institut für Textiltechnik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen und der Flechtmaschinenhersteller Herzog derzeit eine computergesteuerte 3D-Flechttechnik. Eine aufwendige Einzelfadensteuerung, bei der jeder einzelne Flechtklöppel separat bewegt werden kann, erlaubt, Profile mit variabler Querschnittsfläche zu fertigen und die Faser in jedem Bereich der Struktur optimal zu orientieren – dies gelang bislang nur der Natur beispielsweise im Baumaufbau.

Für die Anwendung im Automobil verbinden wir mit dieser Technik unterschiedlich ausgerichtete Fasersysteme, um höchste Festigkeit und Steifigkeit bei optimaler Schadenstoleranz und idealem Crash-Verhalten zu erreichen: Doppel-T-Profile, die mit ausgeprägten Zug- und Druckgurten – also oberen und unteren horizontalen Strukturteilen in Form unidirektionaler Faserbündel – sowie mit Schubstegen aus Fasern in 45-Grad-Richtung ausgestattet sind.

Eine noch größere Flexibilität in der räumlichen Gestaltung bietet das Stricken, also das Durchholen und Zur-Schlaufe-Ziehen von Fäden durch bestehende Maschen, obgleich zu Schlingen gekrümmte Fasern Belastungen schlechter aufnehmen können. Die Firma Stoll in Reutlingen hat eine computergesteuerte Flachstrickmaschine entwickelt, die CAD-Daten rationell bearbeitet und die Maschen in nahezu jede räumliche Form bringt. Eindrucksvolle Produkte sind sphärisch geformte Integralhelmschalen und komplexe, integralversteifte Knotenelemente (Bild 7). Im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts sucht man nun die mechanischen Eigenschaften gestrickter Verbundwerkstoff-Komponenten durch das Einbringen gerader, lasttragender Fasern in die Maschenstruktur zu verbessern.


Verbinden durch Nähen

Ganz gleich, wie komplex die Vorformling-Geometrie und die Faserorientierung sind – komplett gewebte, geflochtene oder gestrickte Automobil-Karosserien oder Flugzeugrümpfe werden wohl eine Vision bleiben. Es gilt vielmehr, für jede Komponente oder Subkomponente die hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften und der Kosten optimale Textiltechnik auszuwählen und damit hergestellte Bauteile zu verbinden. Dazu bietet sich das Nähen an.

In robotergesteuerten Prozessen, wie etwa das Lorscher Unternehmen KSL sie entwickelt hat, lassen sich damit aus Einzelteilen auch großflächige, komplex geformte Objekte fertigen. Ein Beispiel sind rippenversteifte Platten als typische Strukturkomponenten von Flugzeugen, die man aus multiaxialen Gewirkelagen und Geflechtprofilen zusammennäht. Auch die verbindenden Fäden vermögen Belastungen aufzunehmen. Im Vergleich mit dem sonst üblichen Kleben bietet dieses Verfahren eine hohe Strukturintegrität, also auch größere Schadenstoleranz – Decklagen lösen sich nicht so leicht ab, und Versteifungsrippen vertragen Schlagbeanspruchungen besser.

Ein weitere Option besteht im Verstärken von Basis-Textilstrukturen in den mechanisch am stärksten belasteten Bereichen eines Objekts. Roboter können Fasern belastungsoptimal in Hauptspannungsrichtung auch bei komplexen Geometrien rationell aufnähen. Die Grundlagen der Verfahrenstechnik wurden am Polymerforschungsinstitut in Dresden erarbeitet (siehe folgender Beitrag), und die ideale Faserorientierung läßt sich mit einem Optimierungsverfahren des Forschungszentrums Karlsruhe berechnen, das quasi biologisches Wachstum simuliert (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, November 1989, Seite 14).

Eine solche Kombination verschiedener Faserstrukturen mitsamt dem zusätzlichen Aufnähen von Verstärkungselementen kommt der Vision vom hochintegrierten textilen Vorformling schon sehr nahe. Besonders besticht, daß sich der gesamte Herstellprozeß prinzipiell automatisieren läßt, teure Handarbeit mithin auf ein Minimum zu reduzieren ist.


Vom textilen Vorformling zum Faserverbundwerkstoff

Auch die Imprägnierung der Faserstrukturen mit der Harzmatrix wird eingehend untersucht. Meist nutzt man Epoxidharze, die rund 50 Prozent des Gesamtvolumens ausmachen. Gleichmäßige Harzverteilung und geringe Lufteinschlüsse (Lunker) kennzeichnen das Resin-Transfer-Moulding (RTM): Der textile Vorformling wird in eine dichte Form eingelegt und evakuiert, anschließend das Harz eingespritzt. Nach dem Aushärten kann das Bauteil der Form entnommen und beispielsweise mittels Wasserstrahlschneiden nachbearbeitet werden. Von neuen Harzsysteme verspricht man sich Taktzeiten von weniger als fünf Minuten.

Interessant sind zudem thermoplastische Kunststoffe als Matrix, weil sie als Fasern im günstigen Mischungsverhältnis schon während des textilen Prozesses einzubringen sind. Dann erhitzt man die hybride Struktur über die Schmelztemperatur und verpreßt sie, wodurch der Kunststoff die Hohlräume zwischen den Textilfasern ausfüllt.

Andere Verfahren sind die Physical Vapour Deposition, mit der man etwa durch Teilchenbeschuß Gewebe beschichten kann, und die chemische Vakuum-Infiltration, wobei die Matrix, wenn sie zum Beispiel aus Kohlenstoff oder Silicium bestehen soll, aus der Gasphase bei hohen Temperaturen in der quasi porösen Textilstruktur abgeschieden wird. Damit lassen sich Verbundwerkstoffe mit Keramikmatrices für Betriebstemperaturen von mehr als 1500 Grad Celsius verfertigen. In diesem Anwendungsbereich verspricht die Textiltechnik, insbesondere aufgrund der dreidimensionalen Faserverstärkung, eine deutliche Verbesserung der Werkstoffeigenschaften gegenüber gesinterter Keramik.

Somit stehen mittlerweile Technologien zur Verfügung, um auch in Großserien das Leichtbaupotential der Faserverbundwerkstoffe nutzbar zu machen. Das wurde mit Vorderkanten von Flugzeug-Seitenrudern und Motorträgern für Automobile im Labormaßstab bereits exemplarisch bestätigt.

Auch die Kosten dürften sich im Vergleich zur herkömmlichen Laminiertechnik den Versuchsergebnissen zufolge deutlich reduzieren lassen. Deshalb wird die Textiltechnik wohl schon in naher Zukunft im Flugzeugbau eingesetzt werden. Im Automobilbau hingegen sind noch umfangreiche Vorarbeiten nötig; so bedarf es neuer, werkstoffgerechter Strukturkonzepte ebenso wie besonderer Verfahren zu Schadenserkennung und Reparatur.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1996, Seite 91
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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