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Anwendungen I: Dringend gesucht: die Killer-Applikation

Nur wenn möglichst viele Kunden die neuen Dienste intensiv nutzen, machen sich die teuren Lizenzen bezahlt.


Schon vor der Versteigerung der deutschen UMTS-Lizenzen unkte die Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner, mittelfristig könne der Privatverbraucher auch mit WAP und GPRS seine Bank- und Börsengeschäfte tätigen, seine Pizza bestellen und Staumeldungen erfahren. UMTS brauche er vorläufig nicht.

Dem widerspricht die zwölfte Auflage des Branchenreports "Technology Forecast 2001–2003" der internationalen Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers. Deren Experte für Mobile Business, Manfred Briede, sieht die Lage eher optimistisch: "Bedürfnisse beim Verbraucher zu wecken, das funktioniert im Mobilfunk wie auf anderen Märkten auch. Die Automobilindustrie bietet schnellere und komfortablere Fahrzeuge an, und der Kunde will sie haben. UMTS wird diverse Dienstleistungen schneller und komfortabler machen, und der Verbraucher wird gerne umsteigen."

Die Entwicklung in benachbarten Technologiefeldern wie der Computer-Branche scheinen diese Einschätzung zu bestätigen, investieren PC-Nutzer doch immer wieder größere Summen, um mit neuer Hardware den wachsenden Software-Anforderungen zu genügen. Allerdings waren es dort bestimmte Anwendungen, die den Markt öffneten, insbesondere Spiele, Büro-Software und das World Wide Web. Welche "Killer-Applikation" bietet UMTS?

Die Telecoms-Division der Marktforschungsgruppe Taylor Nelson Sofres veröffentlichte im Juni dieses Jahres eine Umfrage unter Handy-Nutzern in fast allen Ländern der Europäischen Union sowie Polen, der Slowakei, der Tschechischen Republik und den USA. Das Ergebnis: "Versenden und Empfangen von E-Mails", "Verkehrsinformationen" und "Aktuelle Nachrichten" haben die besten Aussichten auf den begehrten Titel, Spiele dürften ein Nischendasein führen.

Welche Dienste im UMTS-Zeitalter eine besondere Rolle spielen werden, beschäftigt auch die Wissenschaftler des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), des Sekretariats für Zukunftsforschung (SFZ) und des Instituts Arbeit und Technik (IAT), die letzten beiden in Gelsenkirchen. Anhand von Online-Befragungen unter mehreren hundert kleinen und mittelständischen Content-Anbietern sowie Multimedia-Agenturen kamen sie ebenfalls zu dem Schluss: Eine einzige Killer-Applikation wird es nicht geben, wohl aber "Schlüsselapplikationen, die neue Dienstleistungen erschließen".

So führe beispielsweise von den gängigen SMS-Nachrichten (Short Message Services, SMS) über die Verbindung mit Ton und Bildern (Enhanced Messages) der Weg zu mobilen Multimediadiensten, die über das Internet, aber auch unabhängig davon laufen können. Eine andere Schlüsselfunktion haben kleine Anwendungen, die nicht unbedingt hohe Umsätze generieren, aber von vielen Nutzern als unverzichtbar im Alltag empfunden werden, beispielsweise bestimmte Payment-Dienstleistungen, etwa das Bezahlen von Parkhausgebühren, Fahrkarten oder Ähnlichem via Handy. Innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre sollten mobile Multimediadienste demzufolge langsam einen Markt finden. Dann wird eine breite Palette von Endgeräten, auch integriert in Fahrzeuge, Teil des Alltags werden. Übereinstimmend betonen die Wissenschaftler der drei Institute, dass es insbesondere darauf ankommen wird, nicht bloß konventionelle E-Commerce-Anwendungen aufs Handy zu übertragen, sondern dass auch die neuen Möglichkeiten der Mobilkommunikation – beispielsweise die Lokalisierung des Handytelefonierers (siehe den folgenden Beitrag) – genutzt werden.

"Vor den Privatkunden dürften allerdings Profis und Unternehmen UMTS nutzen, sofern es im Wettbewerb Vorteile bringt", ist Hansjürgen Paul vom IZT überzeugt. Firmen könnten mobilen Mitarbeitern einen Intranetzugang bieten. Außendienstmitarbeiter hätten dann im Kundengespräch direkten Zugriff auf wichtige Daten und könnten Verträge vor Ort online bearbeiten oder Produkte und Dienstleistungen bestellen.

Viel versprechend dürfte auch das gesamte Gebiet des so genannten Teleservice sein: Was bei Industrieanlagen heute schon möglich ist – Ferndiagnosen und -wartungen via Datenleitung –, könnte mit UMTS auch für andere Bereiche attraktiv werden. So ist es durchaus denkbar, Statusdaten von Automobilen an Wartungszentralen zu übertragen und den jeweiligen Zustand zu kontrollieren. Auch das Flottenmanagement großer Fuhrparks ließe sich effizienter gestalten.

Gewinnen die Netzbetreiber erst einmal die Geschäftswelt, so werden wachsende Nutzerzahlen die Kosten senken, bis sich der Massenmarkt öffnet. Entscheidend dürfte sein, mit welchen Preiskonditionen die Anbieter auf den Markt gehen. Teure Endgeräte und eine hohe monatliche Grundgebühr schrecken ebenso ab wie hohe laufende Kosten. Vorreiter könnten vor allem Jugendliche sein, wie schon beim derzeitigen Mobilfunk. UMTS, sagt Karlheinz Steinmüller vom SFZ, könnte für sie ein Lifestyle-Element werden, integraler Bestandteil einer Always-On-Kommunikationskultur.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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