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Trends in der theoretischen Physik: Duale Strings - Elemente einer allumfassenden Theorie?

Auf der Suche nach der einheitlichen Beschreibung aller physikalischen Phänomene meinen einige Forscher nun das ersehnte Ziel in Umrissen zu erkennen. Demnach sollen Strings – hypothetische Grundbausteine der Natur – dem Symmetrieprinzip der Dualität gehorchen.

Unter den Wissenschaftlern, die sich im Sommer 1995 am Zen- trum für Physik in Aspen (US-Bundesstaat Colorado) zu einem Workshop über Stringtheorie trafen, herrschte Aufbruchsstimmung. Mehrere Forscher vertraten dort die Meinung, nun endlich sei die endgültige, allumfassende Theorie (theory of everything oder kurz TOE) zum Greifen nahe.

Der Traum der Physiker wäre eine Weltformel der Art, wie Werner Heisenberg (1901 bis 1976; Nobelpreis 1932) sie in seinen späteren Jahren vergeblich aufzustellen suchte: eine einzige Gleichung, deren Lösung unser Universum vollständig zu beschreiben vermag – mit einem dreidimensionalen Raum und einer Zeitdimension, worin Quarks, Elektronen und andere Teilchen sich zu Atomen, Schmetterlingen und Sternen ordnen, zusammengehalten von Kernkräften, elektromagnetischer Wechselwirkung und Gravitation, und mit einem Urknall am Anfang von allem. Dann würde offenbar werden, daß die beiden bislang unverbundenen großen Theoriegebäude der Physik – Quantenmechanik und Gravitationstheorie – eine enge Einheit bilden. "Unsere physikalischen Begriffe werden sich auf dem Weg dorthin gründlich wandeln", prophezeit Edward Witten vom Institute for Advanced Study in Princeton (New Jersey).


Die Stringtheorie

Große Hoffnungen auf eine solche Vereinheitlichung weckte vor zehn Jahren die sogenannte Stringtheorie; ihr zufolge sind die Grundbausteine des Universums nicht punktförmige Teilchen, sondern unvorstellbar winzige Saiten (englisch strings), deren Schwingungen alle beobachtbaren Teilchen und Kräfte ergeben sollen (Spektrum der Wissenschaft, November 1986, Seite 54). Diese – offenen oder zu Schleifen geschlossenen – Strings sind nur etwa 10-35 Meter lang und können wie eine Violinsaite viele unterschiedliche Eigenschwingungen ausführen. Jeder Schwingungszustand hat eine bestimmte Energie und läßt sich als ein quantenmechanisches Teilchen betrachten (Bild 2).

Doch das Stringmodell stieß bald auf mathematische Hindernisse und zerfiel in fünf konkurrierende Theorien. Mehrere vereinheitlichte Theorien zu haben ist nicht nur "unästhetisch", wie Andrew Strominger von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara findet; obendrein haben sie Tausende von Lösungen, wobei die meisten unserem Universum ganz und gar nicht gleichsehen. Als man Sheldon L. Glashow von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) im Jahre 1986 bat, die einheitliche Theorie in nicht mehr als sieben Wörtern zusammenzufassen, antwortete der hartnäckige Skeptiker in gespielter Verzweiflung: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"


Eine neue Symmetrie

Als wäre der Hilferuf erhört worden, bewirkt eine erst kürzlich ins Spiel gebrachte Symmetrie – die Dualität –, daß alle unterschiedlichen Strings sich gleichsam ineinander verzwirnen. Durch die Dualität werden fundamentale Teilchen – oder Strings – neu definiert. Nun scheint es, als bestünden die Grundbausteine aus eben den Teilchen, die sie selbst erzeugen (Bild 1). Witten glaubt, daß dieses Prinzip nicht nur den Weg zu einer allumfassenden Theorie weise, sondern auch erklären könne, warum unser Universum gerade so und nicht anders beschaffen ist. "Wir nähern uns einer Erklärung der Quantenmechanik", meint er. Derlei Behauptungen stoßen einstweilen kaum auf laute Kritik, denn die Stringtheorie ist für die allermeisten Physiker mathematisch zu kompliziert.

Andererseits wird die Welt unter dem Aspekt des Dualitätsprinzips noch bizarrer, als sie ohnedies schon ist. Strings verwandeln sich ohne weiteres in Schwarze Löcher und umgekehrt; in verschiedenen Bereichen tauchen zusätzliche Dimensionen auf, und das Universum ist nicht nur von Strings erfüllt, sondern auch von Blasen und anderen Grenzflächen. Doch für manche Forscher weisen die vielfältigen Zusammenhänge auf eine tiefere Erklärungsschicht hin – vermutlich die vereinheitliche Theorie von allem.

Für Physiker hat "dual" viele Bedeutungen. Grob gesagt werden zwei Theorien dann als dual bezeichnet, wenn sie sich äußerlich unterscheiden, aber dieselben physikalischen Voraussagen machen. Vertauscht man beispielsweise in den Maxwellschen Gleichungen alle elektrischen und magnetischen Größen, so erhält man eine andere Theorie. Doch wenn man zusätzlich die Hypothese aufstellt, es gebe nicht nur separate elektrische Ladungen, sondern auch magnetische Monopole (so etwas wie den isolierten Nordpol eines Stabmagneten), würden die beiden Theorien völlig identisch – das heißt dual.

In einem engeren Sinn bedeutet Dualität, daß elementare und zusammengesetzte Objekte austauschbar werden: Ob ein Gegenstand fundamental ist oder sich aus noch fundamentaleren Wesenheiten zusammensetzt, ist nur noch eine Frage des Standpunkts. Beide Sichtweisen ergeben dieselben physikalischen Resultate.

Auf erste Anzeichen von Dualität stieß man bei den Quantenfeldtheorien; sie beschreiben Teilchen als quantenmechanische Wellen, die sich in der Raumzeit ausbreiten. Zum Beispiel sind in der Quantenchromodynamik (QCD) die Quarks Elementarteilchen, die eine der elektrischen Ladung ähnliche Eigenschaft namens Farbe haben. Durch die Farbladung ziehen die Quarks einander extrem stark an und bilden Paare oder Tripletts, die direkt beobachtbaren Teilchen wie Pionen oder Protonen entsprechen.

Wie es in der uns bekannten Welt keine magnetischen Monopole gibt, existieren auch keine Teilchen mit farbmagnetischer Ladung. Doch im Jahre 1974 beschrieben Gerard 't Hooft von der Universität Utrecht (Niederlande) und Alexander Poljakow (damals am Landau-Institut bei Moskau), wie sich die den Quarks zugeordneten Felder zu kleinen Gebilden zusammenballen können, die farbmagnetische Ladung tragen. Solche Klumpen – die man sich als Kugeln vorstellt, von denen Vektorpfeile wie Igelstacheln abstehen – sind eigentlich Solitonen (das heißt kompakte, nicht mit der Zeit zerlaufende Wellenpakete) und verhalten sich wie Teilchen. Somit könnte aus einer Theorie für Quarks mit Farbladung die Existenz von Solitonen mit farbmagnetischer Ladung folgen. Diese farbmagnetischen Monopole wären zusammengesetzte Teilchen, die aus den Feldern der fundamentaleren Quarks hervorgingen.

Im Jahre 1977 verfolgten David Olive und Claus Montonen am CERN (dem europäischen Laboratorium für Teilchenphysik bei Genf) die Idee, Feldtheorien mit Farbe seien dual – man könne also, statt Quarks als elementar und Monopole als zusammengesetzt zu betrachten, vielleicht ebensogut die Monopole als Elementarteilchen ansehen. Man würde dann von einer Feldtheorie wechselwirkender Monopole ausgehen und zu Solitonen gelangen, die den Quarks entsprächen. Sowohl die von Quarks als auch die von Monopolen ausgehende Theorie müßte physikalisch auf dasselbe hinauslaufen (Bild 3).

Die meisten Theoretiker waren skeptisch. Selbst wenn die Dualität existieren sollte, hielt man sie für kaum beweisbar: Die QCD ist mathematisch extrem kompliziert, und aus ihr müßte man zwei vergleichbare Mengen von exakten Vorhersagen herleiten. "In der Physik läßt sich nur ausnahmsweise etwas ganz genau berechnen", erklärte Nathan Seiberg von der Rutgers-Universität in New Brunswick (New Jersey). Doch im Februar 1994 zeigte Ashoke Sen vom Tata-Institut in Bombay (Indien), daß Dualität sich zuweilen exakt nachweisen läßt. Diese Berechnung bekehrte die Stringtheoretiker. "Früher hat Witten jedem erzählt, das sei Zeitverschwendung. Jetzt hält er es für das Allerwichtigste", stichelte Jeffrey A. Harvey von der Universität Chicago (Illinois) bei dem Treffen in Aspen. Immerhin hat Witten – von Spöttern oft Papst der Stringtheorie genannt – in den vergangenen zwanzig Jahren mehrfach neue Trends in der Teilchenphysik etabliert.


Supersymmetrie und Dualität

Unterdessen entwickelte Seiberg ein für die QCD-Forschung äußerst hilfreiches Rechenverfahren, das auf der sogenannten Supersymmetrie beruht; nach dieser Theorie ist jedem Materieteilchen ein kraftübertragendes Partnerteilchen zugeordnet und umgekehrt (Spektrum der Wissenschaft, August 1986, Seite 68). Die Supersymmetrie ist mit heutigen Teilchenbeschleunigern nicht nachzuweisen, wird aber von Theoretikern gern beschworen.

Indem Seiberg mittels Supersymmetrie die theoretische Vielfalt der Wechselwirkung zwischen den Teilchen einschränkte, konnte er einige zuvor unmögliche QCD-Berechnungen durchführen. Er und Witten wiesen zudem nach, daß supersymmetrische Versionen der QCD dual sind.

Das hat erstaunliche Vorteile: Quantenchromodynamische Berechnungen sind wegen der starken Kopplung zwischen den Quarks äußerst schwierig. Hingegen ist die Wechselwirkung zwischen Monopolen schwach und läßt sich leicht kalkulieren. Aufgrund der Dualität können die Theoretiker Monopole behandeln – und damit alle Probleme der QCD lösen. "Es ist wie ein Zaubertrick", meint Harvey. "Allerdings verstehen wir noch nicht, warum er funktioniert." Auf diese Weise berechneten Seiberg und Witten sehr detailliert, warum man in der Natur niemals freie Quarks beobachtet; damit bewiesen sie eine Behauptung, die 't Hooft und Stanley Mandelstam von der Universität von Kalifornien in Berkeley schon in den siebziger Jahren aufgestellt hatten.

Freilich beruhen all diese Resultate auf der Annahme, daß es die Supersymmetrie tatsächlich gebe. Seiberg hofft aber, das Dualitätsprinzip bleibe sogar ohne Supersymmetrie gültig, so daß "die Ergebnisse auch dann qualitativ stimmen, wenn sie quantitativ von der Supersymmetrie abhängen".

Doch Dualität ist viel mehr als ein bloßes Rechenwerkzeug, sondern geradezu eine neue Weltsicht. "Etwas, das bisher als zusammengesetzt galt, wird fundamental", konstatierte Harvey – und umgekehrt. Selbst der sonst eher konservative Physiker Seiberg spekuliert nun darüber, ob die Quarks vielleicht Solitonen seien, das heißt duale Partnerteilchen noch fundamentalerer Partikel.


Verflochtene Strings

Zwar ist das Konzept der Dualität aus Feldtheorien erwachsen, fügt sich aber Sen zufolge "viel zwangloser in die Stringtheorie". Die Dualität vermag verschiedenartige Strings zu vereinigen, die in unterschiedlichen Dimensionen und in Raumzeiten unterschiedlicher Gestalt existieren. Dadurch könnte die Stringtheorie ihre Mängel verlieren und zu einer allumfassenden Erklärung aufsteigen.

Früher war dies daran gescheitert, daß sie allzu viele Stringtypen voraussetzte und eine unerwünschte Vielfalt von Lösungen lieferte. Der Grund ist, daß die Theorie eine zehndimensionale Raumzeit erfordert. Die reale Welt hat aber nur vier Dimensionen: drei für den Raum und eine für die Zeit. Die sechs übrigen sollen sich so eng zusammenrollen, daß sie nicht einmal das Verhalten der Quarks – geschweige das von Alltagsobjekten – beeinflussen (Bild 4). "Es ist wie bei einem Gartenschlauch", erläuterte Brian R. Greene von der Cornell-Universität in Ithaca (US-Bundesstaat New York): "Von weitem sieht er aus wie eine eindimensionale Linie. Erst aus der Nähe erkennt man, daß er eigentlich eine zweidimensionale Oberfläche hat, wobei eine Dimension eng zusammengerollt ist."

Zum Leidwesen der Stringtheoretiker können sich die sechs zusätzlichen Dimensionen auf vielerlei Art einrollen. "Offizielle Schätzungen gehen in die Zehntausende", spottete Strominger am Rande der Tagung in Aspen. Jede Alternative ergibt für die Stringtheorie eine andere Lösung und ein eigenes Bild der vierdimensionalen Welt – nicht gerade das, was man von einer einheitlichen Theorie erwartet.

Durch eine Form von Dualität, die Spiegelsymmetrie, gelang es Ende der achtziger Jahre, zumindest einige Alternativlösungen zu verschmelzen, indem man nachwies, daß die Strings in zwei unterschiedlich zusammengerollten Räumen manchmal dieselben Teilchen ergeben. Wenn zum Beispiel eine Dimension sehr klein wird, kann eine um sie gelegte Stringschleife (ähnlich einem Gummiband um einen Schlauch) dieselben Teilchen erzeugen wie eine Schleife, die sich um eine weniger stark eingerollte Dimension bewegt.

Die Restgröße einer zusammengeschrumpften Dimension hängt in der Stringtheorie mit der Stärke der Kraft zwischen Teilchen zusammen. Im Jahre 1990 stellten Anamaria Font, Luis E. Ibáñez, Dieter Lüst und Fernando Quevedo am CERN darum die Hypothese auf, auch für Bindungskräfte gebe es eine Art Spiegelsymmetrie. So wie große Räume kleinen physikalisch gleichwertig sein können, könnte eine Stringtheorie mit starker Wechselwirkung dieselben Resultate liefern wie eine mit schwacher Kopplung.

Diese Vermutung verknüpfte verschiedene Stringtheorien ebenso, wie die Dualität das im Falle der Feldtheorie geleistet hatte. Zudem sehen Strings von weitem wie Teilchen aus; darum folgt aus der Dualität in der Stringtheorie eine Dualität in der Feldtheorie und umgekehrt. In beiden Fällen bestand die Dualität bisher alle Tests mit Bravour und brachte die beiden Gebiete einander immer näher.

Unterdessen tauchte die Dualität auch in einem gänzlich anderen Bereich auf – der Supergravitation (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1985, Seite 78). Diese Vereinheitlichung sucht die Gravitationstheorie Albert Einsteins (1879 bis 1955; Nobelpreis 1921) um den Aspekt der Supersymmetrie zu erweitern. (Hingegen will man mit der Stringtheorie die Teilchentheorie so modifizieren, daß die Gravitation hineinpaßt.) Im Jahre 1986 entwickelte Michael J. Duff am Imperial College in London ein Modell der Supergravitation, das auf den Vibrationen einer Blase beruht und damit eine völlig neue fundamentale Wesenheit einführte; während Strings sich durch zehn Dimensionen schlängeln, schwimmt diese Blase in einer elfdimensionalen Raumzeit.

"Die meisten Stringtheoretiker interessierte das überhaupt nicht", erinnert sich Duff, der nun an der Texas-A&M-Universität (Hauptsitz College Station) forscht – wahrscheinlich, weil niemand wußte, wie man mit derartigen Blasen Berechnungen anstellen sollte. Trotzdem arbeitete Duff weiter an unterschiedlichen Modellen mit geschlossenen Grenzflächen.

Dabei fand er heraus, daß eine fünfdimensionale Membran, die sich in einem zehndimensionalen Raum bewegt, als alternative Beschreibung der Stringtheorie in Frage kommen könnte: Wickelt sich die Membran um einen darin eingerollten Raum wie eine Haut um die Wurst und schrumpft der eingeschlossene Raum auf ein Nichts zusammen, gleicht die Blase am Ende einem String. Duff zufolge war dieses zusammengerollte String tatsächlich dasselbe Objekt wie in der Stringtheorie; er postulierte praktisch eine String-String-Dualität.

Zur gleichen Zeit entwarfen in England Christopher M. Hull vom Queen-Mary-and-Westfield-College und Paul K. Townsend von der Universität Cambridge viele stringtheoretische Verallgemeinerungen des Dualitätsprinzips. "Aber keine Gruppe", so Duff, "kümmerte sich damals viel um die Arbeit der anderen."


Dualität und Solitonen

Das änderte sich schlagartig im März 1995 bei einer Zusammenkunft an der Universität von Südkalifornien in Los Angeles. Witten hielt den Eröffnungsvortrag und trug aus verschiedenen Bereichen Indizien für Dualität zusammen. Er bemerkte, daß Hull, Townsend und Duff eigentlich dieselbe Idee verfolgten, und behauptete, Duffs Blasen in elf Dimensionen seien Solitonen eines bestimmten zehndimensionalen Strings.

Nach Witten sprach Seiberg. "Er war von Wittens Vortrag so tief beeindruckt", erzählte John H. Schwarz vom California Institute of Technology später, "daß er sagte: Ich sollte Lastwagenfahrer werden." Doch auch Seiberg präsentierte so viele neue Resultate, daß Schwarz – ein Begründer der Stringtheorie – seinen Vortrag mit den Worten begann: "Ich besorge mir ein Dreirad."

Seither herrscht hektische Aktivität. Tag für Tag finden die Wissenschaftler in der elektronischen Preprint-Bibliothek des Nationallaboratoriums in Los Alamos rund zehn neue Abhandlungen zum Thema. "Damit beginnt für uns jeder Morgen", bemerkte Anna Ceresole von der Technischen Hochschule Turin geprächsweise bei dem Aspener Workshop einige Monate später, "wie bei anderen mit der Zeitung." Dabei tauchen einstweilen unzusammenhängende und merkwürdige Hinweise auf Dualität auf; sie verknüpfen Strings und Blasen mit Solitonen jeder Art und Form.

Eines dieser Solitonen gleicht einer Linie, die wie eine haarige Raupe von Vektorpfeilen starrt; es erwies sich als dual zu einem fundamentalen String. Obendrein ähnelt es einem sogenannten kosmischen String – einer Art hypothetischer Bruchlinie in der Raumzeit, die beim Urknall entstanden sein soll (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1988, Seite 94). Außerdem hat sich herausgestellt, daß unterschiedliche Stringtypen dual sind, wenn sie durch Einrollen der überschüssigen Dimensionen gleichsam in unsere vierdimensionale Welt hineingequetscht werden. "Die Gründe sind unterschiedlich, aber am Ende paßt es zusammen", meint Seiberg. "Das kommt einem wie Zauberei vor."

Die hektische Suche nach Dualitäten hat durchaus Methode. "Viele Stringtheorien sind sicherlich nicht realistisch", betont Sen, "doch wir müssen sie alle verstehen, um die richtige zu finden." Mittels Dualität lassen sich die Varianten verknüpfen und somit reduzieren. Witten zufolge werden sich die fünf Stringmodelle in zehn Dimensionen, die man derzeit bevorzugt, schließlich als Aspekte ein und derselben grundlegenden Stringtheorie erweisen.

Duff spricht sogar von einer "Dualität von Dualitäten": Die Dualität zwischen unterschiedlichen Räumen könnte mit derjenigen zwischen Elementarteilchen und zusammengesetzten Objekten zusammenhängen. Aus dieser Idee würde folgen, daß die Größe eines eingerollten Raumes die Stärke der Teilchenwechselwirkungen beeinflußt und umgekehrt: Wenn eine interne Dimension groß ist, sollte demnach die Teilchenkopplung stark sein.

Zudem kann die Größe der internen Dimension von Ort zu Ort variieren, erklärt Leonard Susskind von der Harvard-Universität: Wenn eine zusammengerollte Dimension in einem fernen Winkel des Universums aufplatzt, wächst der Raumzeit dort zusätzlich eine fünfte Dimension zu. Bleibt sie hingegen – wie in unserer unmittelbaren Umgebung – eng zusammengepreßt, treten Quanteneffekte auf.

Tatsächlich hängt der fundamentale Maßstab der Quantentheorie – die Plancksche Konstante – eng mit der Dualität zusammen. Diese Größe setzt zum Beispiel die Masse eines Teilchens oder Strings mit der des dualen Partners in Beziehung. "Das ist für mich das stärkste Indiz dafür, daß wir aus der Stringtheorie etwas über Quantenmechanik lernen können," sagte in Aspen Stephen H. Shenker von der Rutgers-Universität.

Der Brite Townsend schlug dort außerdem eine Art fundamentaler Demokratie vor: Die Membranen, die in der Stringtheorie als Solitonen erscheinen, sind vielleicht so fundamental wie die Strings selbst. Von dieser Idee sind die amerikanischen Kollegen allerdings noch nicht überzeugt; sie betonten, daß Berechnungen mit Membranen noch immer keinen Sinn ergäben. So kommentierte Cumrun Vafa von der Harvard-Universität skeptisch: "Es ist ein schräger Einstieg – aber man kann nie wissen."


Kleine Schwarze Löcher

Im April 1995 zeichnete sich sogar ein Zusammenhang zwischen Strings und Schwarzen Löchern ab – und damit ein Ausweg aus dem zweiten Hauptpro-blem der Stringtheorie. Wie Strominger, Greene und David R. Morrison von der Duke-Universität in Durham (North Carolina) herausfanden, lassen sich mit Schwarzen Löchern vielleicht Tausende von mehreren zehntausend Lösungen der Stringtheorie zu einem komplexen Gewebe verknüpfen. Dadurch wird es viel einfacher, die zu unserem Universum passende Lösung herauszufinden.

In gewissem Sinne lauerten die Schwarzen Löcher seit jeher am Rande der Stringtheorie. Wenn sich an einem Ort genügend viel Masse ansammelt, kollabiert sie unter ihrer eigenen Schwerkraft zu einem Schwarzen Loch (dessen Größe je nach seiner Masse durch den sogenannten Ereignishorizont bestimmt ist). Nach Stephen W. Hawking von der Universität Cambridge kann ein Schwarzes Loch, obgleich es klassisch betrachtet alles – sogar Licht – verschluckt, aus quantenmechanischen Gründen dennoch Teilchen aussenden; dabei verliert es allmählich an Masse und schrumpft immer weiter. Falls die ursprüngliche Masse aus Strings bestünde, würde durch den Zerfall letztlich ein Objekt ohne jede Ausdehnung entstehen: ein sogenanntes extremales Schwarzes Loch, das eigentlich eher einem einzelnen Teilchen gliche.

Susskind wendet freilich ein, daß diese winzigen Schwarzen Löcher nichts mit den kollabierten Sternen zu tun haben, nach denen die Astrophysiker suchen: "Stromingers Arbeit ist großartig; aber ich finde es etwas weit hergeholt, hier von Schwarzen Löchern zu reden."

In der Tat sind extremale Schwarze Löcher – oder Schwarze Blasen oder Schwarze Flächen – einfach Klumpen von Stringfeldern, das heißt Solitonen. Strominger untersuchte, wie sich extremale Schwarze Löcher verhalten, wenn sich eine Dimension der Raumzeit sehr eng zusammenrollt. Man nehme einen unendlich langen Schlauch, biege ihn rund und stecke seine Enden so ineinander, daß er wie ein Schwimmring oder Torus aussieht. Auf diese Weise können die zwei Dimensionen seiner Oberfläche derart zusammenschrumpfen, daß ein viel kleinerer (aber immer noch unbegrenzter) Raum entsteht. Angenommen, dieser Torus schnürt sich nun an einer Stelle sehr eng ein. Wie Strominger feststellte, werden dabei einige Schwarze Löcher, die aus um die zusammengedrückte Dimension gewickelten Membranen bestehen, völlig masselos. Diese Objekte interpretierte er als quantenmechanische Wellen und bezog sie in seine Berechnungen ein.

Dabei kamen zwei erstaunliche Ergebnisse heraus. Zum einen waren in der Stringtheorie die Berechnungen früher immer gescheitert, wenn sich der Schlauch zu einer Linie zusammenzog; doch mit den quantenmechanischen Schwarzen Löchern gelangt man selbst in diesem Extremfall zu einem befriedigenden Resultat. Das ist der Quantenphysik zu verdanken, erklärt Gary T. Horowitz von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara: "In der klassischen Physik erzeugt ein Elektron, das in die Punktladung eines Protons stürzt, eine Singularität. Erst mit der Quantenmechanik erkennt man, daß das Elektron sich auf eine Umlaufbahn begibt."

Zweitens taucht nun plötzlich eine große Zahl masseloser Schwarzer Löcher auf: Das System hat einen Phasenübergang – ähnlich der Kondensation von Dampf zu Wasser – durchlaufen.

Der Phasenübergang spiegelt einen Wandel im Torus selbst wider. Das Gebilde reißt an der dünnsten Stelle – vor diesem gewaltsamen Akt waren Physiker und Mathematiker immer zurückgeschreckt – und formt sich zu einer Kugel um; somit bildet es weiterhin eine geschlossene zweidimensionale Fläche. Auf diese Weise werden zwei topologisch höchst unterschiedlich eingerollte Räume in der Stringtheorie miteinander in Verbindung gebracht (siehe Kasten auf Seite 47). "Die Mathematiker mögen das nicht, weil dabei etwas reißt", gesteht Strominger, "aber die Quanteneffekte glätten den Übergang."

Unterschiedliche Arten von Rissen könnten so Tausende von Lösungen der Stringtheorie miteinander verbinden. Wenn die internen Räume auf diese Weise verknüpft sind, können die Strings darin umherwandern und den richtigen finden. Ähnlich wie Wasser in der Arktis gefriert und in der Sahara verdampft, würden Strings eine zu ihrer jeweiligen Umgebung passende Gestalt annehmen. Das Herausfinden der richtigen Lösung wird dadurch zu einem dynamischen Problem.

Irgendwo im Universum könnte es Strominger zufolge ein Tröpfchen geben, in dem Strings einen andersartigen internen Raum gefunden haben. Beim Eindringen in dieses exotische Tröpfchen würden Schwarze Löcher sich in Strings verwandeln und umgekehrt. Möglicherweise tauchen selbst in unserer unmittelbaren Umgebung solche Tröpfchen für winzige Zeitspannen als virtuelle Universen auf und verschwinden wieder, bevor wir sie wahrzunehmen vermögen.


Die Theorie überhaupt

Trotz solcher Spekulationen räumen die Physiker nüchtern ein, daß die endgültige Theorie noch in weiter Ferne liegt. "Wenn wir eine schöne Formulierung gefunden haben, heißt sie vielleicht gar nicht mehr Stringtheorie", meint Schwarz. "Vielleicht werden wir sie einfach nur die Theorie nennen." Schon in den achtziger Jahren stießen Ansprüche, man hätte die allumfassende Welterklärung parat, auf so beißenden Spott, daß die Theoretiker heute vor dem Etikett TOE zurückscheuen.

Viele bezweifeln aber auch, daß die große Theorie in absehbarer Zeit zu formulieren sei. "Der Clan der Stringtheoretiker neigt zu Übertreibungen", versetzt 't Hooft bissig. Ein immenses Problem ist, daß man Strings vielleicht nie wird experimentell untersuchen können; selbst mit modernsten Geräten beträgt die maximal erreichbare Auflösung nur 10-18 Meter. Die Theoretiker hoffen, daß der große Hadronen-Collider (LHC), der im Jahre 2005 am CERN in Betrieb gehen soll, wenigstens die Supersymmetrie nachzuweisen vermag (siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1994, Seite 54).

Doch selbst dann wird ein hartnäckiges Problem bleiben: Die uns vertraute vierdimensionale Raumzeit ist flach; aber die von den Theoretikern favorisierte gebrochene Supersymmetrie zwingt Raum und Zeit, sich in den meisten Dimensionen unvorstellbar eng zusammenzurollen.

Witten träumt von einem Ausweg, der auf der Dualität zwischen Theorien mit unterschiedlichen Dimensionen beruht. Vielleicht kann man von einem Universum ausgehen, in dem anfangs nur drei der uns bekannten vier Dimensionen flach sind – eine ist noch eingerollt. Solche Raumzeiten haben zwar seltsame Eigenschaften, doch dafür lassen sich damit die Schwierigkeiten der Supersymmetrie beseitigen. Schließlich würde sich auch die vierte Dimension entrollen, bis die uns vertraute Welt entstünde. "Wittens Idee ist ziemlich gewagt", meinte Schwarz in Aspen, "aber vielleicht hat er recht."

Auch die Eigenart der Gravitation wirft schwierige Fragen auf. Nach Einstein entsteht die Schwerkraft durch Krümmung der Raumzeit. Somit ist die Quantisierung der Gravitation gleichbedeutend mit einer Quantelung von Raum und Zeit. In diesem Falle, erläuterte Horowitz, "verlieren Raum und Zeit vielleicht ihre gewohnte Bedeutung und entstehen erst wieder als so etwas wie eine Struktur, wenn man große Distanzen betrachtet."

Allerdings erfüllt die Stringtheorie solche Ansprüche noch lange nicht. Außerdem wird die große Theorie auch unter extremsten Bedingungen funktionieren müssen, etwa bei der Beschreibung der Entstehung des Universums oder des Inneren eines Schwarzen Lochs. "Die Stringtheoretiker vertrauen blind auf ihre Theorie und sind überzeugt, daß sie mit allem fertig wird", krittelt 't Hooft. "Dabei verstehen sie von einem Gravitationskollaps nicht mehr als jeder andere."

Doch zumindest die in Aspen versammelten Stringtheoretiker ließen sich – fasziniert von den mathematischen Schätzen, deren Funkeln sie schon zu erspähen meinen – von Skeptikern offenbar kaum beirren: Der Genius loci des kleinen Ortes zwischen hohen Gipfeln der Rocky Mountains, der 1878 von Abenteurern nach der Entdeckung von Silbervorkommen gegründet worden war, wehte wieder. Nach dem Abendessen debattierten sie unter freiem Himmel über die Wellenfunktion des Universums, die das gesamte All als ein einziges quantenmechanisches Objekt beschreiben soll. "Es ist, als wanderte man durch ein Tal, stieße einen Stein um und fände eine verwunschene Treppe”, fabulierte Pierre M. Ramond von der Universität von Florida in Gainesville, gefangen von der Stimmung. "Wir machen gerade die Stufen frei." Nicht zu wissen, wohin sie führen – das macht die Sache erst spannend.

Literaturhinweise

- Teilchen, Felder und Symmetrien. Zweite Auflage. Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.

– Theorien für Alles. Die philosophischen Ansätze der modernen Physik. Von John D. Barrow. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1992.

– Kosmologie und Teilchenphysik. Mit einer Einführung von Immo Appenzeller. Spektrum der Wissenschaft: Verständliche Forschung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1990.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1996, Seite 42
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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