Editorial: Aus vollem Hals
Lieben Sie Musik über alles: zuhören, singen, selbst spielen? Dann blättern Sie gleich weiter zu unserem Titelthema ab S. 38. Sollte Sie unsere Coverzeile jedoch zunächst an die traurigen Resultate eigener Sing- und Musizierversuche erinnern, dann haben Sie in mir eine Leidensgenossin. Aus vollem Hals singe ich nur allein im Auto oder beim Tanzen – sofern die Musik laut genug ist, um die Dissonanzen zu übertönen. Meinen Ohren tut das bestimmt nicht gut. Und heilen wird mein Gesang bestenfalls andere Menschen von ihrem musikalischen Minderwertigkeitskomplex. Doch Forscher belehren die Skeptiker unter uns eines Besseren. Ob wir musikalisch sind oder nicht: Singen und musizieren wirkt heilsam auf Körper und Geist – sei es bei Ängsten, Depressionen, Morbus Parkinson oder nach einem Schlaganfall.
Tragischerweise kann das Leid eines Menschen umgekehrt auch der Forschung helfen. Aus den Erinnerungslücken des berühmten Patienten Henry Molaison, dem wegen einer schweren Epilepsie ein Teil des Hippocampus entfernt worden war, hat der Psychologe Donald G. MacKay viel über das menschliche Gedächtnis erfahren (S. 56). Er meint noch genau zu wissen, wie er "H. M." in den 1960er Jahren das erste Mal traf – oder spielen auch ihm seine Erinnerungen einen Streich?
Als Futter für Ihr Gedächtnis haben wir dieser Ausgabe ein kleines Weihnachtsgeschenk beigefügt: ein kurzweiliges A bis Z der Hirnforschung. Die neuronalen Grundbegriffe von "Aktionspotenzial" bis "Zirbeldrüse" schicken wir damit auf eine hoffentlich nachhaltige Reise durch Ihren Hippocampus. Falls Sie die Neurohäppchen einmal auf einer Weihnachtsfeier zum Besten geben wollen, denken Sie daran: Ein paar Takte "White Christmas" könnten Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
Eine beschwingte Lektüre wünscht
Ihre
Christiane Gelitz
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