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Editorial: Billiger Jakob bei neuen Großexperimenten?



Die Nachricht kam als Schock für das Forschungszentrum Jülich: Im Juli ließ der deutsche Wissenschaftsrat nach einer ausführlichen Begutachtungsphase wissen, welche der geplanten wissenschaftlichen Großgeräte er für förderungswürdig hält. Dabei rutschte die Europäische Spallationsquelle (ESS) als Neutronenquelle in die letzte von drei Kategorien, für die weitere "spezifische Stellungnahmen notwendig" seien. Diese Einstufung als drittklassig befördert eines der ehrgeizigsten Projekte der Großforschung beinahe ins Aus. "Ohne eine starke Unterstützung Deutschlands", klagte etwa der Vorsitzende des ESS-Forschungsbeirats Peter Tindemann, "wird es extrem schwierig, das Projekt anzuschieben."

Das Thema ist von strategischem Interesse, weil hier die Zukunft nationaler oder europäischer Großexperimente präjudiziert wird, der Empfehlung dürfte jede neue Bundesregierung im nächsten Januar weitgehend folgen. Wie zufällig hat der Wissenschaftsrat die Projekte aber nach ihren Einkaufspreisen bewertet: je billiger, desto besser.

Das wirft die Frage auf, was sich Deutschland noch leisten will – außerhalb der Regelfinanzierung der Großforschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft sowie der 1,1 Milliarden Euro als unser Anteil an der Internationalen Raumstation. Zwei Projekte, die "ohne Vorbehalt für förderungswürdig" eingestuft werden, sind mit zusammen 125 Millionen Euro die vergleichsweise billigsten: das Magnetlabor in Dresden sowie das Forschungsflugzeug "Halo" für Atmosphären- und Erdbeobachtung.

Teurer schon die "bedingt förderungswürdigen" Projekte der zweiten Kategorie: der beim Desy in Hamburg geplante Linearbeschleuniger Tesla, der zu Tesla gehörige Freie Elektronenlaser für ultrakurze Röntgenstrahlung sowie ein Beschleunigerkomplex für die Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Tesla hat wohl nur eine Chance, wenn sich genügend viele Nationen beteiligen.

Sicherlich muss ein internationales Großprojekt nicht unbedingt in Deutschland landen. Klar ist zudem, dass der Beschleuniger Tesla und die Spallationsquelle nicht beide bei uns gebaut werden. Und man kann daran erinnern, dass am Cern bei Genf gerade der LHC-Beschleuniger entsteht, mit gewaltigen Problemen und Budgetüberziehungen – nicht gerade eine Aufforderung an Europa, diese Erfahrung demnächst zu wiederholen.

Als teuerstes Großgerät würde die europäische Spallationsquelle mit 1,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Man kann nun darüber spekulieren, warum gerade die ESS auf den dritten Rang verwiesen wurde. Denn eine Neutronenquelle liefert der Forschung ein universales Hilfsmittel, von der Medizin bis zur Materialforschung (siehe SdW 08/2002, S. 12). Wo-möglich hat sich das Forschungszentrum Jülich (als ein Standortbewerber) nur zu früh gemeldet: In Garching bei München wartet schließlich eine fast fertige Reaktor-Neutronenquelle auf ihre Nutzung. Da der Reaktor nun mal existiert, sollte er trotz aller politischen Querelen zuerst genutzt werden. Auch wer zu früh kommt, den bestraft manchmal das Leben.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 5
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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