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Editorial: Dichtung, Wahrheit und andere Hirngespinste

Christiane Gelitz

Die US-Regierung versteckt Beweise für die Existenz von Außerirdischen? Unsinn. Die erste Mondlandung 1969 war vorgetäuscht? Sicher nicht. Die NSA hört das Handy der Kanzlerin ab? Unfug. Halt – das stimmt doch …

Verbindungen herzustellen, wo andere keine sehen, und dahinter die finsteren Pläne geheimer Mächte zu wittern: Das kennzeichnet die "Verschwörungsmentalität", wie die Mainzer Sozialpsychologen Roland Imhoff und Pia Lamberty in unserer Titelgeschichte ab S. 12 erläutern. Die Grenze zwischen Paranoia und gesundem Misstrauen kann sich jedoch schnell verschieben. Etwa, wenn Whistleblower verborgene Aktivitäten von Geheimdiensten öffentlich machen oder wenn Journalisten illegale Praktiken der Industrie aufdecken.

Leider äußert sich diese Denkweise nicht nur in journalistischer Intuition und harmlosen Hirngespinsten. Sie hat zwei hässliche Geschwister: Menschenfeindlichkeit und Vorurteile. "Eine Verschwörung zu durchschauen, kann das Gefühl von Kontrolle vermitteln", berichten die Autoren. Womöglich hängen radikale Gruppen deshalb häufig Verschwörungstheorien an.

Die Suche nach verborgenen Zusammenhängen ist allerdings auch das, was unser Denken einzigartig macht. Die menschliche Intelligenz entspringt der Fähigkeit, Geschichten zu verstehen, so formulierte es einer der Pioniere der künstlichen Intelligenz, Patrick Winston. Was Kinder mühelos meistern, wollen Informatiker nun auch Computerprogrammen beibringen. Wie dieses Kunststück gelingen könnte, lesen Sie ab S. 42 im letzten Teil unserer Serie zur künstlichen Intelligenz.

Noch sind die "Cogs", die kognitiven Systeme, der menschlichen Sprachfertigkeit in vielen Alltagssituationen unterlegen. In manchen Berufen sitzt Kollege KI aber schon mit am Arbeitsplatz. Eines Tages könnten Sprachagenten für uns aktuelle Forschung sichten, Interviews führen und journalistische Texte schreiben; im Verfassen von Sport- und Finanznachrichten halten sie heute schon mit. Menschen in sozialen Berufen brauchen allerdings etwas, womit sich Maschinen weiterhin schwertun: ein Gespür für Sorgen, Nöte und irrationales Verhalten. Mit unseren Gefühlen zu ringen oder aus dem Bauch heraus falsch zu entscheiden – gerade das macht uns eben aus.

Herzlichst Ihre
Christiane Gelitz

PS: Dass John F. Kennedy von einem fanatischen Einzeltäter ermordet wurde: Das glaubt ja wohl niemand, der den Film "JFK" gesehen hat … Findet die Redaktion. Und Sie? Wo vermuten Sie geheime Mächte am Werk? Und welche Theorie halten Sie für besonders abwegig? Schreiben Sie uns an redaktion@gehirn-und-geist.de oder unter facebook.de/gehirnundgeist

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