Direkt zum Inhalt

Editorial: Evolution statt Revolution

Redaktionsleiter Dr. Hartwig Hanser

Lang ist es her: Im Herbst 1978 wurden innerhalb weniger Wochen Johannes Rau und Franz Josef Strauß Ministerpräsidenten, Sigmund Jähn flog als erster Deutscher ins Weltall, und Papst Johannes Paul II. trat sein Amt an. Und »Spektrum der Wissenschaft« hatte seine Premiere, mit einer Nahaufnahme einer Fleisch fressenden Pflanze auf der Titelseite. An diese legendäre »Erst-Edition« musste ich denken, als ich den Artikel ab S. 30 über die Evolution solcher Karnivoren las. Der damalige Text gab einen fundierten Überblick über die raffinierten Techniken, mit denen Sonnentau & Co. Insekten anlocken und verdauen.

Im aktuellen Heft geht es dagegen um die Frage, wie sich diese seltsamen Organismen eigentlich entwickelt haben. Intuitiv würde man annehmen, dass dies ein langwieriger Evolutionsweg gewesen sein muss. Doch wie Rainer Hedrich und Jörg Schultz von der Universität Würzburg darlegen, war der Schritt zur Karnivorie gar nicht so groß. Diese Gewächse haben einfach ohnehin vorhandene Gene umfunktioniert, indem sie sie an anderen Orten und in anderem Zusammenhang anschalteten. So nutzen viele Pflanzen ebenfalls Chitin und Proteine abbauende Enzyme, etwa zur Schädlingsabwehr. Entsprechend entstand die Fähigkeit, Tiere als Stickstoffquelle zu nutzen, mehrmals im Verlauf der Evolution. Sie ging aber auch wieder verloren, wenn es keine Notwendigkeit mehr dazu gab. Schließlich ist es ein großer Aufwand, den entsprechenden Apparat zum Tierfang – von Klebesekreten bis hin zu den komplexen Blättern der Venusfliegenfalle – herzustellen und zu unterhalten.

Beim Vergleich der beiden Artikel fiel mir zudem auf, wie relevant viele Themen der Erstausgabe von 1978 heute noch sind. So warnte schon der erste Aufsatz darin vor den klimatischen Folgen der zunehmenden Kohlendioxid-Freisetzung durch menschliche Aktivitäten. Ein weiterer Beitrag drehte sich um die Oberfläche des Mars, die gerade jetzt wieder einmal genauer untersucht wird. Und während die damals vorgestellte optische Datenübertragung inzwischen ein alter Hut ist, erscheint der Artikel über die Epidemiologie der Influenza zu Zeiten der Covid-19-Pandemie geradezu brandaktuell.

Der Blick zurück zeigt, dass es »Spektrum« von Anfang an gelungen ist, bedeutende Themen für die Zukunft auszuwählen und keine wissenschaftlichen Eintagsfliegen. Ich hoffe, man wird das in einigen Jahrzehnten auch über die vorliegende Ausgabe sagen können: mit ihrem breiten Themenspektrum von der Manipulation einzelner Atome durch Laser bis zu drängenden Fragen der Gesundheitspolitik.

Eine erhellende Lektüre wünscht
Hartwig Hanser

Kennen Sie schon …

Spektrum der Wissenschaft – Federn – Meisterwerk der Evolution

Der lautlose Flug der Eulen, Langstreckenrekorde von Zugvögeln, bunte Pracht für die Balz, Wärmedämmung und vieles mehr: Federn sind ein Meisterwerk der Evolution. Unsere Titelgeschichte nimmt Sie mit auf eine spannende Reise durch die Entwicklungsgeschichte von einer einfachen Hautstruktur zur hoch spezialisierten Vielfalt des Federkleids heutiger Vögel. Eine weitere Reise, aber mit einem Forschungsschiff, bietet der Beitrag »Am Puls des europäischen Klimas«. Das Ziel der Expedition in die raue Grönlandsee: Daten, die Modelle zur Zukunft der atlantischen Umwälzzirkulation (AMOC) verbessern sollen. Unser Autor Tim Kalvelage war dabei. Um die Forschung an Viren geht es in einem Gastbeitrag von Christian Drosten. Sogenannte Gain-of-function-Forschung verändert deren Eigenschaften – unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Mit Aufkommen der These, Sars-CoV-2 stamme aus solchen Experimenten, ist diese Forschung jedoch unter Druck geraten. Christian Drosten legt die Grundlagen und den Nutzen des Forschungsgebiets umfassend dar. Und Antje Boetius, Leiterin des Monterey Bay Aquarium Research Institute, beantwortet eine der großen Fragen der Wissenschaft: »Was lauert in der Tiefsee?«

Gehirn&Geist – Verbrechen: Die Psychologie des Bösen

Warum faszinieren wahre Verbrechen? True Crime ist ein Spiegel unserer psychologischen Neugier: Was macht Menschen zu Tätern – und wie gelingt es Ermittlern, die Wahrheit ans Licht zu bringen? In dieser Ausgabe geht es um die Kräfte, die Menschen in den Abgrund treiben oder zurückholen. Wir zeigen, warum Rache selten Frieden bringt, wie gefährliche Häftlinge in Sicherungsverwahrung leben, was das Stockholm-Syndrom über Überlebensstrategien verrät und mehr.

Spektrum - Die Woche – Immun gegen Sucht

Was zeichnet Personen aus, die »immun« gegen Sucht sind und wie kann uns dieses Wissen bei Vorbeugung und Behandlung helfen? Antworten darauf in der aktuellen »Woche«. Außerdem: »Drei ist nicht immer einer zu viel« – was versprechen sich Menschen von Sex zu dritt?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.