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Editorial: Gedanklich woanders

Lassen Sie mich ein kleines Geständnis ablegen: Beim Schreiben dieses Editorials habe ich mich mehrmals dabei erwischt, dass ich mit meinen Gedanken von der Aufgabe wegdriftete. Ich musste mich selbst mit einem strengen »Jetzt konzentrier dich!« aus der geistigen Abwesenheit holen, um den Fokus zurück auf den Text vor mir zu richten. Mit solchen Erfahrungen bin ich sicher nicht allein; laut Studien verbringen Menschen im Schnitt rund die Hälfte ihrer Wachzeit mit Tagträumen.

Der Zustand hat nachweislich mehrere Vorteile. So beflügelt der »Blick nach innen« die Kreativität und fördert das laterale Denken. Der Psychologe Jonathan Smallwood, der seit zwei Jahrzehnten abschweifende Gedanken erforscht, glaubt, diese dienen vor allem dazu, aus Vergangenem zu lernen und sich auf Künftiges vorzubereiten. Im Interview ab S. 18 erzählt er, wie sein Team das Phänomen untersucht – unter anderem mit unglaublich langweiligen Aufgaben für die Testpersonen – und was es dabei entdeckt hat.

Manche Fachleute bemerkten jedoch auch eine dunkle Seite der Träumereien, über die Eric Taipale ab S. 12 berichtet: Einige verschanzen sich geradezu in ihren Luftschlössern und entfliehen so der Realität, mit negativen Folgen für ihre psychische Gesundheit und ihr Sozialleben. Dieses »maladaptive Tagträumen« hat Studien zufolge während der Covid-Pandemie zugenommen. Eine gezielte Behandlung gibt es nicht, aber psychotherapeutische Verfahren können Betroffenen helfen, wieder ins wahre Leben zurückzufinden.

Meine eigenen abschweifenden Gedanken sind allerdings zum Glück nicht so vereinnahmend, dass ich mich nicht selbst aus ihnen lösen könnte – auch wenn mir die rauschenden Wellen und der sonnige Sandstrand in meinem Kopf gerade verlockender erscheinen als die Nebelsuppe vor meinem Bürofenster.

Eine traumhafte Lektüre wünscht Ihnen
Michaela Maya-Mrschtik

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