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Editorial: Kriegsschauplatz Cyberspace



Wer die Attentäter von New York und Washington jemals für Lowtech-Terroristen gehalten hatte, war einem großen Irrtum aufgesessen. Natürlich stammen Teppichmesser nicht aus der Hightech-Kiste; die Waffen waren jedoch Flugzeuge, vom zivilen Transportgerät in handgesteuerte Raketen umgewandelt.

Inzwischen hat sich das Bedrohungsfeld gewandelt. Wie früher Paketbomben werden nun mit Milzbranderregern verseuchte Briefe verschickt ? per Schneckenpost! Auch hier wird eine zivile Infrastruktur in eine Waffe verwandelt. Die Eskalationszeiten im Bioterrorismus sind länger und die Bilder unspektakulärer als bei Flugzeugbomben, die vor laufenden Kameras in Wolkenkratzer einschlagen.

Die Ereignisse haben die Gefahren etwas verdrängt, die dem Internet von so genannten Cyberterroristen drohen. Auch im "Netz der Netze" wird der Terror schon seit Jahren trainiert. Einige von uns haben bereits am eigenen Rechner zu spüren bekommen, wie virtuelle Viren-Post ("I love you!") handfeste Probleme bewirken kann. Experten beziffern allein in diesem Jahr die Schäden durch vier Virenattacken weltweit auf etwa fünf Milliarden Dollar.

Noch immer erscheint die Analogie zur biologischen Welt der Krankheitserreger vielen abwegig. Doch sie ist in verblüffender Weise zutreffend. Kleine Programme, wie zuletzt im September der Wurm "Nimda", sind von ihren Erfindern gleich mit vier unterschiedlichen Angriffswerkzeugen ausgestattet worden (siehe dazu "Sabotage im Internet" auf Seite 56). Damit verstopfen die Täter Breitbandleitungen, bringen Web-Seiten in ihre Gewalt, versklaven Millionen PCs als "Zombies", zerstören Betriebssysteme. Im weltweiten Leitungsverbund können sie außerdem ihre Identität besonders einfach verbergen.

Mit solchen Methoden lässt sich das Internet, dessen Unzerstörbarkeit gegen äußere militärische Angriffe oft gerühmt wurde, von innen heraus attackieren, ähnlich wie die Türme des World Trade Center durch inländische Flugzeuge. Vor allem die USA werden damit überall dort zum Angriffsziel, wo Firmen und Behörden besonders eng vernetzt sind. Flughäfen, Banken, Stromversorger sind ebenso durch Computeranschläge verletzbar wie Börsen, Telefongesellschaften oder Lebensmittelketten. Der Cyberterrorismus agiert aber längst weltweit im Schatten internationaler Konflikte: Während des Kosovo-Kriegs zum Beispiel, aber auch nach der Notlandung eines amerikanischen Spionageflugzeugs in China starteten Hacker lawinenartige Virenattacken.

Das hat eine andere Schadensqualität als bei "klassischen" Hacker-Einbrüchen, in denen bislang "nur" Daten gestohlen oder Webseiten verstümmelt werden sollten. Sich vor Cyberterrorismus zu schützen gleicht dem Hase-und-Igel-Spiel ? jede Maßnahme hinkt der neuesten Infektion hinterher, fast jedes System-Update eröffnet Pforten für neuartige Angriffe. Der Cyberspace droht zum Kriegsschauplatz zu werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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