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Editorial: Warum macht Terrorismus Angst?



Es gehört schon fast zur Tradition dieses Magazins, dass wir Themen wie Rüstungskontrolle, Kriegsforschung, ABC-Waffen oder Terrorismus Platz einräumen (zuletzt im Heft 12/02, S. 72, "Hightech gegen Bioterror"). Der Artikel über "schmutzige Bomben" auf Seite 28 widmet sich der aktuellen Gefahr des Nuklearterrorismus. Das Brisante dieser Art von Terrorwaffen liegt darin, dass sie wesentlich einfacher herzustellen und leichter zu transportieren sind als Atombomben. Stadtteile oder sogar ganze Städte ließen sich so mit relativ geringem Aufwand unbewohnbar machen.

Doch ein Terrrorist will natürlich nicht einfach nur zerstören, sondern terrorisieren, also Angst auslösen. Voraussetzung dieses scheinbar banalen Effekts ist ein komplexer Feedback-Mechanismus: Die Medien und ihre globale Verstärkungswirkung sind dazu ebenso unerlässlich wie unsere allgemeine Neigung zur Panik. Zwei Vorfälle zu Jahresbeginn zeigten es wieder. Im Januar umkreiste ein verwirrter Sportflieger eine Weile die Bankenhochhäuser Frankfurts und legte für Stunden Teile der Innenstadt sowie den Flughafen lahm – CNN ging auf Liveschaltung. Wenige Tage später: In London werden sechs Nordafrikaner verhaftet und in einer kleinen Dachwohnung Spuren des tödlichen Pflanzengiftes Rizin gefunden. Solche Meldungen gemahnen unweigerlich an den 11. September und danach (Frankfurt als "Mainhattan", Rizin als Nachfolger von Anthrax); sie veranlassen die Kommentatoren, von konkreter terroristischer Bedrohung in einem Atemzug mit einem möglichen Irak-Krieg zu sprechen.

Die spontane Furcht, die uns vor konkreten Gefahren rechtzeitig flüchten lässt und damit das Überleben sichert, ist längst einer latenten Dauerfurcht gewichen. "Man lebt in ständiger Angstbereitschaft. Und das so sehr, dass sie zum Betriebsstoff der ­Massenmedien werden kann", bemerkte der Schriftsteller Dietrich Schwanitz kürzlich im "NZZ Folio". Die Kampfmittel der Medien seien permanente "Dramatisierung" und "Konfliktverschärfung", die sich zwanglos mit globalen Katastrophenszenarien verbänden. Eine permanente "Ausrufung des Ausnahmezustands" sei die Folge, ja ein "Katastrophenvirtuosentum".

Und wir, zugleich Opfer und Mittäter dieser Grundstimmung, schlagen täglich die Zeitung auf und suchen regelrecht nach Bestätigung unserer Katastrophenerwartung. Je länger dieses Verhalten kollektiv eingeübt wird, desto mehr tragen insbesondere wir Journalisten zur Angstwirkung terroristischer Aktionen bei.

Es ist auch für eine populärwissenschaftliche Zeitschrift wie "Spektrum" schwer, aus diesem Teufelskreis auszusteigen. Unsere Chance sehen wir darin, dass Sie von uns nicht noch mehr Katastrophenmeldungen erwarten, sondern die wissenschaftlich-technischen Hintergründe drohender Gefahren verstehen möchten – weshalb wir auch weiterhin über diese Themen berichten werden.

Was man versteht, mag man fürchten. Aber es macht keine Angst mehr.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2003, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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